„Lage ist sehr schwierig“Kölner Therapeuten beklagen Patientenmangel in Coronakrise
Köln – Der erste Patient kommt um 16 Uhr. Helga Liekenbröcker hat gerade viel Zeit – Zeit zum Joggen und Putzen zum Beispiel. Der Putzfrau, die bislang kam, hat sie absagen müssen. Die 57-Jährige ist Physiotherapeutin in einer Praxis in Nippes. „Zwei Drittel der Patienten haben ihre Termine storniert. Die Lage ist sehr schwierig“, sagt sie. Physiotherapeuten gehören zu den sogenannten „systemrelevanten“ Dienstleistern im Gesundheitswesen, genau wie Ergotherapeuten oder Logopäden. „Unter den Heilmittelerbringern wächst in diesen Tagen allerorts die Verzweiflung“, weiß der Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV).
"Am Rand des Ruins"
Die selbstständigen Praxisinhaber und ihre Angestellten sollen auch in Zeiten der Corona-Krise weiter arbeiten. Doch weil die Patienten ihre Behandlungstermine absagen, befänden sich die Unternehmen „am Rand des Ruins“, so der SHV.
Andere Unternehmen, die per staatlicher Verordnung geschlossen wurden, können mit Entschädigungen rechnen. Wer weiterarbeiten muss, kann das zurzeit noch nicht. Mancher wünscht sich deshalb die Zwangsschließung, die meisten aber wollen ihre Patienten weiter behandeln. „Ich habe in den letzten Tagen viel Zeit damit verbracht, sehr vielen Patienten zu erklären, dass wir kein Massagesalon sind und deshalb weiter arbeiten dürfen und wollen“, sagt Birgit Trend, die eine Praxis in Longerich hat. „Die Verunsicherung in der Bevölkerung ist groß.“ Einige jüngere Kollegen hätten durchaus Angst weiter zu machen, sagt Liekenbröcker. „Wir ältere nicht. Ich möchte weiterarbeiten.“
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So geht es den meisten – weil einige aber fast keine Patienten mehr haben, gibt es sogar bereits Physiotherapeuten, die sich zur Spargelernte anbieten. Dietmar Linsler, der eine Physio-Praxis mit elf Therapeuten auf der Turiner Straße betreibt, hat vor einigen Tagen privates Vermögen auf sein Geschäftskonto geschichtet, „um zumindest im März noch volle Gehälter zu zahlen“. Bis Ostern lasse er abwechselnd in zwei Teams arbeiten. „Zwei Monate können wir das durchhalten, danach geht nichts mehr.“ Rund 60 Prozent der Patienten blieben aus – „die meisten daraus aus Angst.
Die Situation ist grotesk, weil viele Patienten – zum Beispiel bei Brustkrebs, nach Gefäßverletzungen oder Bandscheibenvorfällen – dringend unsere Behandlungen benötigen, um nicht schwere Folgeschäden in Kauf zu nehmen, einige von ihnen aber nicht kommen.“ Die Aussicht, dass, wie in Bayern, geschehen Praxen komplett stillgelegt werden könnten, sei „polemisch. Die Folgen für Praxen und Patienten werden verheerend sein“.
Abklappern von Apotheken
Die Bedingungen sind schwierig, nicht nur wegen der vielen Absagen. Sie klappere Apotheken ab, um Mundschutz und Desinfektionsmittel zu sichern, sagt Helga Liekenbröcker. Sie telefoniere mit dem Gesundheitsamt, ihren Interessenvertretern auf Landesebene und dem Steuerberater, der bei den Anträgen auf Kurzarbeit für die Angestellten hilft. Hinzu komme der schwierige Spagat, alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. Den Mitarbeitern und den Patienten müsse sie möglichst viel Sicherheit gegen eine Infektion bieten. Immerzu müsse man sich selber fragen, ob man Patienten gefährde, wenn diese eine dringend notwendige Therapie erhalten. Allerlei Vorkehrungen sind in der „Praxis für Physiotherapie“ in der Blücherstraße getroffen worden: Keine Überschneidungen im Wartebereich, möglichst keine Wartezeiten, Hygienemaßnahmen und Desinfektionen, Handschuhe und Mundschutz bei den Behandlungen und vieles mehr.
Die Betroffenen fordern Unterstützung von der Politik. Der Verband der Therapeuten will mit unter einen Rettungsschirm, der derzeit für viele Branchen aufgespannt wird. Der SHV will Soforthilfen der Krankenkassen in Form von Ausgleichszahlungen. Die Forderung liegt nahe, denn die Krankenkassen sparen Geld, wenn Behandlungen nicht stattfinden.
Praxen könnten schließen
In der Zeit vor Corona wurde bereits vielerorts die mangelnde Versorgung mit Physio-Angeboten kritisiert. Patienten mussten lange auf Termine warten. Für die Zeit nach der Krise droht nun, dass sich die Versorgungslage weiter verschlechtert, weil viele Praxen schließen könnten. So hoffen die Betroffenen auf unbürokratische Hilfe, aber auch darauf dass vielleicht mancher die sich nun ergebene Gelegenheit nutzen könnte: Es war noch nie so einfach, einen Termin für eine Physiotherapie zu bekommen wie zurzeit, bestätigen Liekenbröker und Linsler. Erlaubt sind allerdings nur vom Arzt verordnete Therapien. Man braucht also ein Rezept. Wer keine Erkältungs- oder Grippesymptome und keinen direkten Kontakt zu Corona-Infizierten gehabt habe, könne kommen, sagen die Physiotherapeuten.