Rocker übten VergeltungTödliche Schüsse im Kölner „No Name“ – neuer Prozess neun Jahre danach

Lesezeit 4 Minuten
Eine Polizistin am Tatort in Nippes im Jahr 2015

Eine Polizistin am Tatort in Nippes im Jahr 2015.

Der Bundesgerichtshof hatte ein erstes Urteil gegen zwei mutmaßliche Komplizen aufgehoben. 

Als die albanische Einbrecherbande in ihrem Versteck, der Kneipe „No Name“ in Nippes, womöglich ihren nächsten Coup planen wollte, stürmten plötzlich bewaffnete Personen das Lokal und eröffneten unmittelbar das Feuer. „Wir dachten erst, das wäre die Polizei“, wird einer der Männer später aussagen. Doch es waren keine Beamten, sondern Mitglieder und Umfeld der Rocker-Gruppierung „Hells Angels“, die zuvor beklaut wurden. Es war ein tödlicher Vergeltungsschlag.

Köln: Mann fiel tödlich getroffen vom Barhocker

Ein 29-Jähriger fiel mit einem Brusttreffer vom Barhocker, starb zwischen Theke und Spielautomaten. Weitere Männer wurden von Kugeln getroffen, laut Staatsanwältin rettete schließlich wohl eine Ladehemmung der Waffe ihnen das Leben. Doch wer die fatalen Schüsse abgegeben hat, das ist auch fast neun Jahre nach dem Verbrechen im November 2015 noch nicht geklärt. Auch die Beteiligung der mutmaßlichen Komplizen wird seit Montag am Kölner Landgericht gänzlich neu aufgearbeitet.

Die Angeklagten mit ihren Verteidigern beim Prozessauftakt im Landgericht Köln

Die Angeklagten mit ihren Verteidigern beim Prozessauftakt im Landgericht Köln

Der Ausgangspunkt des Falls liegt im Lokal „Hangover“ in der Südstadt, das der Bruder eines damals führenden Rocker-Mitglieds auf der Bonner Straße betrieben haben soll. Die Diebesbande war in die Gaststätte eingedrungen, hatte mehrere Geldautomaten aufgebrochen und bis zu 6000 Euro erbeutet. Die „Höllenengel“ schworen daraufhin Rache, setzten eine Belohnung für Hinweise auf die Täter aus. Ein Insider verpfiff die Einbrecher daraufhin und ermöglichte so die blutige Revanche.

Köln: Mutmaßliche Schützen in die Türkei geflohen

In Nippes angekommen soll einer der Beschuldigten dann den Pächter des „No Name“ mit einer Schere in Schach gehalten, weitere das Lokal gestürmt haben. Nach ersten nicht tödlich verlaufenen Schüssen und einer Übergabe der Waffe an den früheren Kölner „Hells Angels“-Boss Erkan A. soll dieser sich dann laut Anklage dem Mann auf dem Barhocker zugewandt haben. „Nicht schießen“, habe das Opfer gebettelt, aber vergebens. Danach seien die Rocker aus dem Lokal geflüchtet.

Neben Erkan A. soll auch die frühere Rockergröße Ibrahim K. die Waffe im Lokal genutzt haben. Beide Männer waren nach dem Verbrechen in die Türkei geflohen, wo sie sich bis heute aufhalten. Während der genaue Aufenthaltsort von Erkan A. den deutschen Behörden nicht bekannt ist, soll sich Ibrahim K. immer noch in Haft befinden. K. soll in der Türkei an einer Schießerei beteiligt gewesen sein, bei der ein Polizist gestorben sein soll. Von einer Gefängnisstrafe von 43 Jahren war die Rede.

In der Erstauflage des Mordprozesses hatte Ibrahim K. per Videoschalte im Landgericht ausgesagt. In seiner Vernehmung, die von einem türkischen Staatsanwalt überwacht wurde, räumte er lediglich ein, dass sich aus seiner Waffe womöglich ein Schuss gelöst habe. Zum weiteren Verlauf des Geschehens verweigerte er die Aussage. Gezielte Schüsse auf irgendjemanden oder gar einen Mordplan habe es nicht gegeben. Auch habe K. die Waffe nie aus der Hand gegeben und später selbst im Rhein versenkt.

Zwei Beschuldigte wehren sich erfolgreich gegen Hafturteile

Wegen Mittäterschaft am Mord hatte das Landgericht den Bruder von Ibrahim K. im Dezember 2020 zu milden zwölf Jahren Haft verurteilt. Während der heute 37-Jährige das Urteil akzeptierte, gingen zwei weitere mutmaßliche Komplizen in Revision. Ein heute 34-Jähriger hatte wegen Beihilfe zum Mord neun Jahre Gefängnis erhalten, ein 38-Jähriger – er hatte laut Urteil den Insidertipp gegeben –  wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge immerhin fünfeinhalb Jahre Gefängnis.

Laut eines Beschlusses des Bundesgerichtshofs sei besonders die Rolle des 34-jährigen Beschuldigten aus der Urteilsbegründung des Landgerichts nicht ganz ersichtlich. Dieser soll die Bar nicht gestürmt, sondern lediglich die Tür bewacht haben. Daher könne man dem Mann nicht ohne weiteres zurechnen, den Mord im „No Name“ gebilligt zu haben. Im damaligen Prozess hatte dieser geäußert, lediglich von einer Einschüchterung oder leichten körperlichen „Abreibung“ ausgegangen zu sein.

Weitere Vorwürfe gegen die beiden Angeklagten

Weiter wirft die Staatsanwaltschaft dem 34-Jährigen Trickbetrug zum Nachteil von betagten Kölnerinnen zu. So soll er sich als Heizungsableser ausgegeben, sich so Zutritt zu den Wohnungen der Opfer verschafft haben. Den Seniorinnen soll er vorgegaukelt haben, eine Rückzahlung zu bekommen, woraufhin sie die Geheimnummer ihrer EC-Karte in ein falsches Lesegerät eingegeben haben sollen. Mit der geklauten Bankkarte sei der Angeklagte dann zum Geldautomaten gegangen. In einem Fall soll er einer Rentnerin 24.000 Euro Bargeld gestohlen haben, was diese für den Fall einer Pflegebedürftigkeit zurückgelegt haben soll.

Der 38-jährige Angeklagte soll außerdem einen Mann in Weidenpesch entführt haben. An einer abgelegenen Stelle musste das Opfer sich laut Anklage bis auf die Unterwäsche ausziehen. Dann habe der Beschuldigte diesem ins Gesicht getreten, sodass sich mehrere Zähne gelockert hätten. 10.000 Euro habe der Angeklagte gefordert, zuvor auf den nahegelegenen Friedhof gezeigt und angedeutet, dass der Verletzte sich auch dort hätte wiederfinden können. Zur Zahlung sei es trotz eines weiteren Angriffs nicht gekommen.

Am Montag im Landgericht schwiegen die Angeklagten, die bereits vor geraumer Zeit aus der Untersuchungshaft entlassen worden waren und sich daher auf freiem Fuß befinden, zu allen Vorwürfen. Nach der Verlesung der Anklageschrift durch Staatsanwältin Sabrina Heimers beantragte der 34-jährige Beschuldigte einen Austausch seiner Pflichtverteidiger. Das hätten die Beteiligten auch im Vorfeld der Hauptverhandlung klären können, rügte die Vorsitzende Richterin. Der Prozess wird fortgesetzt.