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Revolution beim AbwasserWie Kölner Klärwerke künftig Medikamente und Kosmetik herausfiltern

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Heinz Brandenburg von den Stadtentwässerungsbetriebe Köln erforscht mit seinen Kollegen ein spezielles Filtersystem im Klärwerk Rodenkirchen.

Heinz Brandenburg von den Stadtentwässerungsbetrieben Köln erforscht mit seinen Kollegen ein spezielles Filtersystem im Klärwerk Rodenkirchen.

In Köln wird sie seit Jahren erforscht, vermutlich 2032 wird sie zur Pflicht für deutsche Klärwerke: Die vierte Klärstufe.

„Das ist schon so, dass wir ein bisschen stolz darauf sind“, sagt Heinz Brandenburg und zeigt auf einen in den Boden eingelassenen Sauerstofftank mit allerlei Rohren und technischem Beiwerk. Das Gebilde ist Teil eines Forschungsvorhabens, das seit 2016 im Klärwerk Rodenkirchen läuft. Der Kessel dient dazu, das Abwasser mit Ozon anzureichern. Und das Ozon bindet dann Mikroschadstoffe im Wasser, die in den darauffolgenden Becken mit feinporiger Aktivkohle rausgefiltert werden.

„Mit diesem zweistufigen Verfahren haben wir einen Weg gesucht und gefunden, um Schadstoffe zu erwischen, die bisher im Wasser geblieben sind“, sagt Brandenburg, Geschäftsbereichsleiter „Infrastrukturbewirtschaftung Werke“ bei den Stadtentwässerungsbetrieben Köln (StEB Köln). Und dass dieser Aufwand sinnvoll war, bestätigt jetzt auch das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur Umwelt, Klima und Verbraucherschutz (LANUV). Denn etwa jede sechste Kläranlage in NRW soll spätestens bis 2039 auch Mikroschadstoffe aus Haushalt, Industrie und Gewerbe herausfiltern können, die derzeit noch die Gewässer belasten. Bislang verfügen erst 22 der insgesamt rund 600 kommunalen Kläranlagen in NRW über eine solche Reinigungsstufe.

Auch Hormone, Putzmittel oder Pestizide werden herausgefiltert

Tausende Chemikalien, die alltäglich genutzt würden, könnten schon in geringen Mengen das Wasser schädigen, erklärte Elke Reichert, die Präsidentin des Landesamts. Dazu gehörten viele Arzneien, Hormone, Putzmittel, Kosmetika, Pestizide und unzählige andere Stoffe. Gesetzliche Grenzwerte gebe es für die Mikroschadstoffe nicht. Mit der alternden Gesellschaft, einem zunehmenden Bedarf an Medikamenten und neuen Substanzen werde die Problematik weiter zunehmen.

Die derzeit noch freiwillige Vorsorge-Maßnahme zur Aufrüstung der Kläranlagen werde durch eine EU-Kommunalabwasser-Richtlinie weiteren Schub erhalten, betonte die Abwasser-Expertin des Landesamts, Kerstin Menn. Die Richtlinie, die das Europäische Parlament bereits beschlossen hat, verpflichte zum Ausbau der großen Kläranlagen im Einzugsbereich von mehr als 150.000 Einwohnern. In NRW seien das 43 Anlagen.

Deutsche Klärwerke werden aufgerüstet

Das Land NRW fördere den Ausbau mit 50 Prozent der zuwendungsfähigen Ausgaben, erklärte Menn. „Mit der Kommunalabwasserrichtlinie werden aber auch die Hersteller von Arzneimitteln und von Kosmetikprodukten an den Ausbau- und Betriebskosten der Kläranlage beteiligt.“ Ziel sei es, mit der neuen Filtertechnik mehr als 80 Prozent der organischen Mikroschadstoffe aus dem Abwasser zu entfernen.

Modernisiert werden zuerst Klärwerke an besonders belasteten Gewässern sowie in Trinkwassereinzugs- und Naturschutzgebieten. Neben den 22 bereits aufgerüsteten Anlagen seien derzeit zehn weitere im Bau und 17 in der konkreten Planung. „Wir haben auch den Klimawandel im Blick, denn Dürre-Perioden erhöhen die Anreicherung von Schadstoffen in unseren Gewässern“, sagte Menn.

Vierte Reinigungsstufe bringt enorme Verbesserungen

Mit den neuen Verfahren wird in den Kläranlagen eine „vierte Reinigungsstufe“ eingeführt. In der ersten Stufe, der mechanischen Reinigung, holt ein riesiger Rechen so genannte „Schwebstoffe“ wie Toilettenpapier aus dem Abwasser. Aber auch schon den groben Sand, der im aufgewühlten Wasser schwebt. In der zweiten Stufe geht es um den Abbau von Kohlenstoffen, die etwa durch menschliche Exkremente ins Abwasser geraten. Dies geschieht mit Hilfe von Bakterien, die den Kohlenstoff in Kohlendioxid umwandeln, der dann wiederum dem Wasser als Gas entweicht. In der dritten Stufe geht es um die Reduzierung von Stickstoff und Phosphor, der in großer Dosierung zu extremem Algenwachstum in den Gewässern sorgen würde.

Heinz Brandenburg von den Stadtentwässerungsbetriebe Köln (SteB Köln) schaut in eines der Becken, in dem die mit Ozon angereicherten Mikroschadstoffe mit feinporiger Aktivkohle aus dem Abwasser gefiltert werden

Heinz Brandenburg von den Stadtentwässerungsbetriebe Köln (SteB Köln) schaut in eines der Becken, in dem die mit Ozon angereicherten Mikroschadstoffe mit feinporiger Aktivkohle aus dem Abwasser gefiltert werden.

Um den Phosphor zu binden, werden den riesigen Becken der Klärwerke Eisensalze zugemischt. Diese Verbindung wiederum wird durch einen mit Bakterien angereicherten Schlamm aufgenommen. Der „belebte Schlamm“ mit Mikroorganismen, die es auch in Bächen oder Flüssen gibt, hilft im Zusammenspiel mit dem Sauerstoff dann auch dabei, den Stickstoff plastisch ausgedrückt „aufzufressen“.

Kölner Stadtentwässerungsbetriebe waren an Forschungsprojekt beteiligt

Die vierte Reinigungsstufe im verhältnismäßig kleinen Klärwerk Rodenkirchen sei sozusagen der Probelauf für das Hauptwerk in Stammheim gewesen, durch das etwa 80 Prozent des Kölner Abwassers läuft, erläutert StEB Köln-Experte Brandenburg. „Das wird schließlich eine riesige Investition, mindestens 28 Millionen Euro, deshalb wollten wir sicher sein, dass das neue und zu Beginn unseres Versuches kaum erforschte Verfahren auch funktioniert.“

Beim Bemühen, die Vorgehensweise zu optimieren, habe es auch Rückschläge gegeben. Es galt unter anderem, die richtigen Dosierungen der eingesetzten Mittel zu finden. Schließlich komme das Abwasser nicht immer gleich an, erläutert Brandenburg. „In der Trockenperiode beispielsweise ist es sehr dick und bei Regenwetter dünn.“ Ihre Ergebnisse haben die Verantwortlichen der Kölner Stadtentwässerungsbetriebe mit Klärwerken in Deutschland und der Schweiz ausgetauscht und diskutiert, wo an ähnlichen oder auch an ganz anderen Ansätzen gearbeitet wurde.

Planungen für die vierte Klärstufe in Stammheim laufen bereits

Das mittlerweile in Rodenkirchen entwickelte Prozedere sei „jetzt geeignet, es auf Stammheim hochzurechnen und zu übertragen“, versichert der Kölner Geschäftsbereichsleiter. Er sei froh, dass die EU mit der neuen Richtlinie für Rechtssicherheit gesorgt habe. „Ansonsten hätte sich die Frage gestellt, ob alle Gebührenzahler, die die Investition schließlich bezahlen müssen, auch einverstanden gewesen wären mit der Aufrüstung.“

Deutschland müsse die europäischen Anforderungen aber noch in nationales Recht umsetzen. Erst dann sei klar, ab wann eine vierte Reinigungsstufe auch in Stammheim vorhanden sein muss. Dies könnte wohl ab 2032 der Fall sein. Die Großanlage, die jetzt bereits in der Planung sei, werde dann „stehen und funktionieren“, verspricht Brandenburg: „Wir sind bereit.“