Am Sonntag demonstrierten Zehntausende Menschen in Köln auf der Deutzer Werft. Darunter waren auch bekannte Größen aus Kultur und Politik.
„Demokratie schützen, AfD bekämpfen“Kölsches Gänsehaut-Gefühl bei Großdemo mit 70.000 Teilnehmern
Köln kennt nur ein Ziel an diesem kalten Winter-Sonntag: die Deutzer Werft. Aus allen Himmelsrichtungen strömen die Menschen nach Deutz. In der S11 aus Bergisch Gladbach stimmt sich eine Gruppe Seniorinnen und Senioren über den kürzesten Fußweg zur Kundgebung ab. Bei jeder Station füllt sich die Bahn mit weiteren Menschen, die Regenbogen-Fahnen und Transparente tragen. „Ich bin ganz beschwingt, dass so viele kommen“, sagt eine Frau.
Am Deutzer Bahnhof spucken die S-Bahnen aus dem Umland ab 11 Uhr immer mehr Menschen aus – Junge, Alte, Familien mit kleinen Kindern und Bollerwagen. Sie strömen durch die Bahnhofshalle. Die Stimmung ist friedlich, die Laune der Menschen gut. Fast könnte man den ernsten Anlass dieses kollektiven Sonntags-Ausflugs vergessen.
Anlass für Demo waren Recherchen von „Correctiv“
Das Bündnis „Köln stellt sich quer“ hat unter dem Motto „Demokratie verteidigen, AfD bekämpfen“ zu einer Kundgebung auf der Deutzer Werft aufgerufen. Anlass sind die Veröffentlichungen des Recherchenetzwerks „Correctiv“, die ein Geheimtreffen von AfD-Politikern und Mitgliedern der Werteunion mit der identitären Bewegung offenbarten. Dort wurden unter anderem Pläne geschmiedet, Millionen von Menschen aus Deutschland zu vertreiben.
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Bereits am Dienstagabend waren bei einer spontan angemeldeten Demo rund 30.000 Menschen auf den Heumarkt gekommen, um ein sichtbares Zeichen gegen den Rechtsruck zu setzen. Am Sonntag toppt Köln diese Zahl deutlich: Laut Veranstaltern sind 70.000 Menschen gekommen, Polizeisprecher Philipp Hüwe hält diese Zahl für realistisch.
Bereits ab dem Vormittag sammeln sich Dutzende Menschen an den Haltestellen der KVB, um in Richtung Innenstadt zu fahren. Sie sind mit Trillerpfeifen und Plakaten ausgerüstet. „EkelhAfD“, „Gegen Hass und Hetze“ oder „Menschenrechte statt rechter Menschen“ ist darauf zu lesen. In vielen Bahnen herrscht akute Platznot. Laute Sprechchöre wie „Ganz Köln hasst die AfD!“ oder „Alle zusammen gegen den Faschismus!“ sind zu hören. Mittags ist die Deutzer Brücke voll mit Menschen, die auf die rechte Rheinseite zur Deutzer Werft wollen. Zeitweise können die Bahnen der KVB nicht über die Deutzer Brücke fahren.
„Man braucht schon eine sehr gute Ausrede, wenn man heute als Kölner nicht hier ist“, begründet Karl Müller seine Teilnahme. Familie Deppenmeier ist aus Troisdorf nach Köln gekommen. Die sechsjährigen Zwillinge Emil und Leni haben bunte Plakate gebastelt: „Nazis verpisst euch, keiner vermisst euch“ und „Lieber kunterbunt als kackbraun“. Emil weiß gut Bescheid: „Nazis sind Menschen, die nicht wollen, dass Leute aus anderen Ländern bei uns leben.“
Zahlreiche Größen aus der Kölner Politik und Kultur haben im Vorfeld ihre Unterstützung der Kundgebung angekündigt. Um kurz nach 12 eröffnen die Höhner das Programm musikalisch. „Wir möchten die Demokratie verteidigen. Deutschland darf nicht nach rechts rücken“, sagt Frontmann Patrick Lück auf der Bühne. „Wir sind hier, weil wir gemeinsam ein musikalisches Zeichen setzen wollen“. Dann singen Höhner und Cat Ballou zusammen „Wann jeiht d'r Himmel widder op?“.
„Es ist ein wichtiges Zeichen, heute hier zu sein. Es ist rührend zu sehen, wie viele Menschen heute hier sind. Das gibt wieder Zuversicht“, sagt Cat-Ballou-Sänger Oliver Niesen. Für die Kölner Band Cat Ballou sei der Zeitplan zwar gerade sehr eng, aber die Teilnahme an der Demo sei eine Herzensangelegenheit.
„Correctiv“-Chefredakteurin überwältigt von Resonanz
Anette Dowideit, stellvertretende Chefredakteurin von „Correctiv“, wird auf der Bühne frenetisch gefeiert. Sie berichtet, wie es zu der Recherche rund um das Geheimtreffen in Potsdam gekommen ist. Was dort hinter verschlossenen Türen mit dem „sperrigen Begriff Remigration“ geplant wurde, „ist ein Angriff auf unsere Demokratie, auf uns alle“. Dowideit zeigt sich überwältigt von der Resonanz: „Wir bei Correctiv haben nur unsere Arbeit getan. Wir hätten niemals damit gerechnet, was durch unsere Recherche passiert.“
Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) freut sich über die vielen Teilnehmenden: „Ich finde das wirklich beeindruckend, dass von Köln aus immer ein Signal geht, wenn unsere Menschenrechte, unser Frieden oder unsere Demokratie in Gefahr ist. Und auf die Kölner kann man sich einfach verlassen.“ Gleichzeitig dürfe es nicht nur bei der Demonstration bleiben. „Wichtig ist, dass wir alle uns nicht nur hier treffen und uns beweisen, dass wir einer Meinung sind, sondern dass wir in den Dialog treten mit denen, die den Eindruck vermitteln, sie könnten den leeren Versprechungen der AfD nachlaufen und unsere Demokratie in Gefahr bringen.“ Darum appelliert die Oberbürgermeisterin an die Menschen: „Ich bitte Sie alle sehr herzlich darum, mit denjenigen in Dialog zu gehen, von denen Sie glauben, dass sie abdriften. Bitte sprechen Sie mit diesen Menschen!“
Festkomitee Kölner Karneval zeigt Rosenmontagszug-Wagen
Auch das Festkomitee Kölner Karneval positioniert sich klar und unterstützt die Großdemo. „Die Zeit leise zu sein ist vorbei. Wir müssen laut sein“, ruft Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn der Menge zu. Normalerweise werden die Wagen für den Rosenmontagszug nur einmal genutzt – an Rosenmontag. Doch für die Demo macht das Festkomitee eine Ausnahme. Einer der Persiflagewagen, der am 12. Februar durch Köln rollen wird, steht am Sonntag bereits auf der Deutzer Werft. Der auf dem Persiflagewagen dargestellte Kallendresser ist eine historisch-kölsche Figur, deren blanker Hintern am Kölner Alter Markt an einer Regenrinne (Kall) zu sehen ist. Laut Festkomitee soll er stellvertretend für alle Karnevalisten symbolisch auf die Nazis „scheißen“.
Die Bläck Fööss holen für diesen besonderen Anlass noch einmal ihre ehemaligen Mitglieder Bömmel und Erry auf die Bühne und stimmen gemeinsam „Unsere Stammbaum“ und „In unserem Veedel“ an. Die Menschen schunkeln, nehmen sich in die Arme, singen mit und schwenken ihre Plakate. Kölsches Gänsehaut-Gefühl.
Zwischen den Musikbeiträgen kommen auch immer wieder Politikerinnen und Politiker und Menschen zu Wort, die sich gesellschaftlich engagieren. Joachim Frank, Chefkorrespondent des „Kölner Stadt-Anzeiger“, spricht in kurzen Diskussionsrunden mit Vertretern aller Ratsfraktionen außer der AfD. Die Grüne Landtagsvizepräsidentin Berivan Aymaz berichtet von einem Gespräch mit einem 13-jährigen Mädchen aus Afghanistan. „Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Mädchen keine Angst mehr haben muss. Es gibt viel mehr Menschen, die sich gegen diese Faschisten stellen. Ich werde nicht zulassen, dass dieses Land in die Hände der Faschisten gerät.“
Auch die stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) ist zur Großdemo gekommen. Sie wolle zeigen, „dass unsere Demokratie wehrhaft ist, dass wir aufstehen gegen Rechtsextremismus, gegen Faschismus, dass wir die Mehrheit sind.“ Sie freue sich, dass es nicht nur in Köln, sondern allerorten in Nordrhein-Westfalen derzeit ähnliche Bewegungen gibt. Viele ihrer Freunde seien Kinder von Gastarbeitern. „Die fühlen sich nicht mehr sicher. Ich will nicht, dass Nordrhein-Westfalen ein Land ist, in dem sich Menschen, die unser Land wieder aufgebaut haben, nicht sicher fühlen.“ Es sei wichtig, nun Solidarität zu zeigen. „Und dann muss der Kampf gegen die rechtsextreme AfD in den Parlamenten und auf der Straße weitergehen.“
Finale mit „Liebe gewinnt“
Das große Finale der Kundgebung bestreiten Brings: „Der Kölsche Jung ist ein Demokrat und will mit Nazis nichts zu tun haben“, sagt Peter Brings, bevor er mit seiner Band das gleichnamige Lied anstimmt. Anschließend singen Brings gemeinsam mit Querbeat und den Kölner Rappern „Lugatti & 9Ine“ das Lied „Kein Kölsch für Nazis“, bevor mit „Liebe gewinnt“ ein Chor aus 70.000 Menschen das besingt, worum es letztlich allen geht. Zumindest allen, die an diesem Tag zur Deutzer Werft gekommen sind.