Zoll-Razzia in NagelstudiosSo werden die Mitarbeiterinnen in Köln ausgebeutet
Köln – Eigentlich wollten die Zöllner am Donnerstag gleich mehrere Nagelstudios in Köln kontrollieren, doch schon nach der ersten Razzia in Mülheim gegen zehn Uhr hat sich der ehrgeizige Plan erledigt: Gleich die komplette Belegschaft des Ladens an der Frankfurter Straße steht im Verdacht, schwarz zu arbeiten und sich illegal in Deutschland aufzuhalten, der Jüngste ist 17 Jahre alt, die Älteste 23. Keiner der sieben vietnamesischen Angestellten kann einen Pass vorweisen. Der Betreiber ist für die Zöllner nicht erreichbar, gegen ihn wird ein Strafverfahren eingeleitet. „Ein ganzer Laden und alle Beschäftigen vermutlich illegal – das habe ich so auch noch nicht erlebt“, sagt Zollsprecher Jens Ahland. Seine Kolleginnen und Kollegen sind die nächsten Stunden erst einmal mit Vernehmungen und Papierkram beschäftigt.
Wohl jeder kennt sie – zumindest vom Vorübergehen: Nagelstudios haben in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Sie eröffnen in Einkaufsstraßen, Passagen oder in großen Einkaufszentren, sind meist nur wenige Quadratmeter groß. In den Läden riecht es streng nach Chemie. Und ganz häufig sind es Vietnamesinnen und Vietnamesen, die hier arbeiten. Dass viele der jungen Männer und Frauen, die ihnen da geduldig und meist für wenig Geld die Nägel lackieren, ein Martyrium hinter sich haben und ein Leben in Angst führen, ahnen die Kunden oft nicht.
Mitarbeiter werden in kargen Unterkünften versteckt
Nach Erkenntnissen des Zolls werden die Beschäftigten vielfach von Schleusern nach Deutschland gebracht und hier von ihren Arbeitgebern wie Sklaven behandelt. Sie werden in kargen Unterkünften versteckt und müssen von früh bis spät für einen Hungerlohn schuften. Nicht einmal zum Einkaufen dürfen sie ihre Unterkunft verlassen. Sie sind schließlich illegal in Deutschland und dürfen nicht auffallen. Die Frauen werden zudem mitunter sexuell missbraucht und vergewaltigt.
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Ob oder in welchem Umfang diese Erkenntnisse auch auf diejenigen Nagelstudios zutreffen, die das Hauptzollamt am Donnerstag in Köln, aber auch in Bonn und Leverkusen überprüft hat, steht noch nicht fest. Zwar gebe es auch Betriebe, die völlig legal arbeiten, sagt Zollsprecher Ahland, die ihre Mitarbeiter bei der Sozialversicherung angemeldet haben, ihnen den Mindestlohn bezahlen und sie vernünftig behandeln. Aber mindestens ebenso viele Betriebe tun das nicht. „Die Trefferquote bei unseren Kontrollen in dieser Branche ist sehr hoch“, sagt Ahland.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erzählt die Geschichte von Dyen (Name geändert), die den Fahndern vor einigen Monaten bei einer Razzia ins Netz gegangen ist, weil sie einen falschen Pass vorzeigte. In ihrer Vernehmung gab die junge Frau Details preis – was nicht oft vorkommt. Meistens schweigen die eingeschüchterten Mitarbeiterinnen. Dyens Fall steht exemplarisch für viele.
Hintermänner statten Opfer mit Pässen aus
Sie ist 21 Jahre alt, als die Kölner Zöllner sie im Juni während ihrer Arbeit im Nagelstudio aufgreifen. Sie arbeite erst seit zwei Tagen hier und auch nur zur Probe, behauptet sie, Geld habe sie noch nicht bekommen. Das ist mutmaßlich eine Lüge. Die Zöllner hören das regelmäßig. Dyen weist sich mit einem deutschen Pass aus, der als gestohlen gemeldet ist. Das Foto darin sieht Dyen zum Verwechseln ähnlich. „Das legt nahe, dass da eine Struktur hinter steckt, dass womöglich Pässe aufgekauft und die Frauen damit ausgestattet werden“, sagt Jens Ahland.
Ihren richtigen Pass, erzählt Dyen den Fahndern, hätten ihr die Schleuser in Polen, auf dem Weg nach Deutschland abgenommen. Ein übliches Vorgehen, weiß Ahland. „Die Schleuser nehmen den Menschen ihre Pässe und Handys ab, sodass für sie keine Kontaktaufnahme nach draußen mehr möglich ist.“ Erst wenn der Schleuserlohn abgearbeitet ist, erhalten sie die Sachen zurück. „Sie bauen eine Drohkulisse auf, oft auch gegenüber den Familien der Opfer in ihrer Heimat“, sagt Ahland.
Schleuser kassieren 18.000 Euro für den Weg nach Deutschland
Geboren ist Dyen in Nghe An, der größten Provinz der nördlichen Küstenregion von Vietnam. Sie ist nicht verheiratet, hat keine Kinder. Für 18.000 Euro hätten Schleuser ihr eine Arbeit in Deutschland versprochen, erzählt sie den Zöllnern. Mit dem Flugzeug ging es für sie nach Russland, in einem Fahrzeug weiter nach Polen und von dort nach Berlin. In der deutschen Hauptstadt würden die Menschen aus Vietnam dann weiterverteilt, berichtet Ahland.
Dyen sagt, sie sei in Berlin von anderen Vietnamesen sexuell missbraucht worden. Wie eine Geisel, so sagt sie es, habe man sie festgehalten. Dann sei die Reise weitergegangen nach Köln. Nach Erkenntnissen der Ermittler arbeiten die Menschenhändler mit den Betreibern von Nagelstudios zusammen und vermitteln ihnen die Vietnamesen als billige Arbeitskräfte. „Sie werden wie eine Ware gehandelt“, sagt Ahland.
Viele Mitarbeiter tauchen unter und werden später erneut erwischt
Dyen wohnte bei ihrer Arbeitgeberin, sagt sie aus. Dass sie sich illegal in Deutschland aufhielt, sie ihr bewusst gewesen; ihrer Chefin war es das vermutlich auch. Aber das muss der Zoll der Geschäftsfrau erst einmal nachweisen. Viele Nagelstudiobetreiber behaupten, sie wüssten von nichts – und überhaupt: Wie sollten sie denn auch einen gefälschten Pass erkennen?
Nach den Vernehmungen und der erkennungsdienstlichen Behandlung übergibt der Zoll die vietnamesischen Arbeitskräfte dem zuständigen Ausländeramt. Viele beantragen Asyl. Manche flüchten aus ihrer Unterkunft und tauchen unter, um erneut Arbeit zu suchen. Und nicht selten greift der Zoll sie nur Wochen oder Monate später ein weiteres Mal auf, in einem anderen Nagelstudio. Wo Dyen sich im Augenblick aufhält, wisse er nicht, sagt Ahland. Das Ermittlungsverfahren gegen ihre Chefin indes läuft noch.