Martin Bechler von Fortuna Ehrenfeld im Gespräch über das neue Album, den Klimawandel und den Ausstieg von Jenny Thiele
Warum die Band das SOS-Benefizkonzert in der Philharmonie unterstützt
Neue Fortuna-Videos jetzt hier zu sehen
Das Live-Album heißt „Das letzte Kommando“
Die Aufzeichnung ihres ersten Philharmonie-Konzerts im Oktober 2021 erscheint als Doppel-Vinyl/CD am 7.Oktober
Köln – Fortuna Ehrenfeld haben gegen alle Trends ein Live-Album produziert: „Das letzte Kommando“ ist eine Aufzeichnung des ersten Philharmonie-Konzerts vom Oktober vergangenen Jahres und erscheint als Doppel-Vinyl/CD am 7. Oktober, das zweite Video dazu am gestrigen Freitag.
Martin Bechler: Ich wollte den Abend eigentlich nicht aufnehmen, um auch keinen Druck auf das Team zu legen. Sehr kurzfristig habe ich mir das dann anders überlegt, weil ich so dachte: Wer weiß… Dass dann aber plötzlich so alles gepasst hat an dem Abend, konnte ja keiner wissen. Wir hatten dann erstmal keine Zeit, uns das Material anzuhören. Irgendwann haben wir dann spät nachts noch im Studio gesessen und wussten, dass wir ein verdammt gutes Konzert gespielt hatten. Ich habe in dieser Sekunde beim Vertrieb angerufen und gesagt: Schmeißt die Maschinen an! Allen war klar, dass das nicht im Schrank liegen bleiben darf.
Warum war der Eindruck so überwältigend? Weil der Sound der Philharmonie so gut war? Weil die Band so gut war?
Es hat einfach alles gepasst. Der Laden war bumsvoll, und als wir den großen Zeh auf die Bühne gesetzt haben, brauste da diese unglaubliche Stimmung vom Publikum auf. Ich glaube, viele der Leute, die uns schon seit Jahren unterstützt und in den schmutzigsten Clubs gesehen haben, die haben plötzlich gesagt, wenn ihr kleinen Pipis auf diesen edlen Brettern auftretet, dann feiern wir das jetzt gewaltig ab. In der Philharmonie stimmt halt auch so Vieles, dieser Raum flimmert und vibriert, er hat eine enorme Energie. Da sind, glaub ich, fünfzehn Wasseradern drunter. Vater Rhein on top.
Man weiß schon, warum schon die Römer Amphitheater gebaut haben.
Und warum sie auch genau da gebaut haben. Da ist irgendetwas in der Erde. Vielleicht der verbuddelte Geist von Willy Millowitsch (lacht).
Gisbert zu Knyphausen war auch beim Konzert dabei.
Ich kann mich nur wiederholen: An dem Abend hat alles gepasst. Wer mit Gisbert mal gearbeitet hat, der weiß, was er für eine unglaubliche Ruhe und lebensbejahende menschliche Wärme er ausstrahlt. Das war toll, ihn dabei zu haben. Ein sehr runder, ausgebauter Charakter.
Ein positiver Charakter mit sehr viel Bühnenpräsenz, aber eher nicht ruhig, ist Keyboarderin und Sängerin Jenny Thiele. Die hört jetzt auf bei Fortuna Ehrenfeld. Warum?
Ich habe immer gesagt, Fortuna ist ein Raum, den Leute betreten, um Kunst zu machen. Zu diesem Raum gehört auch, dass sich jeder nach seiner Facon, nach seinen Talenten entwickeln soll und muss. Der Umkehrschluss funktioniert überhaupt nicht. Jenny hat mir einige Jahre mit dem Laserschwert den Rücken frei gehalten. Es war jetzt an der Zeit, dass sie Space hat, um ihr eigenes Zeugs zu machen. Sie ist eine tolle Songwriterin. Was sie für eine tolle Sängerin ist, müssen wir nicht extra sagen. Wir sind nach wie vor die besten Freunde, unterstützen, was sie jetzt tut, in any kind of ways.
Das heißt, es gibt schon jemand Neues?
Fragen über Fragen, Herr Worring, Ich habe gerade so eine kleine Amnesie (lacht). Es gibt Plan A, B, C und D. Das könnte reichen vom Sabbatjahr für Fortuna bis zum Orchesterwerk mit lebenden Pferden. Das Leben muss in Bewegung bleiben. Wenn es still steht, kannst du dich einbuddeln. So macht Jenny das, und wir auch. Fortuna Spirit.
Es gibt aber noch diverse gemeinsame Auftritte.
Wir dürfen in die Philharmonie zurückkehren, beim SOS-Benefizkonzert zum Thema Klimawandel am 30. September, für das es übrigens noch Karten gibt. Mit den Halderner Bläser*innen vom Haldern Pop Festival, die uns schon seit vielen Jahren begleiten und absoluten Kultstatus genießen. Und einem riesigen Chor von mehr als 200 Leuten, den Michael Kokott leitet, dürfen wir das große Finale bestreiten. Wir werden zum Schluss den Stammbaum der Bläck Fööss spielen. Ich, der Immi! Wirste bekloppt. Danach feierliche Einweihung eines Bronzedenkmals mit Federboa, neben Willy Millowitsch (lacht). Und dann die Deutschlandtour im Herbst. Jenny on board.
Warum ist es Ihnen wichtig, bei diesem Konzert dabei zu sein?
Wir müssen uns selber eingestehen, dass wir in einer enormen Bringschuld gegenüber der Nachfolgegeneration sind. Wir, meine Generation und die davor, haben das mit dem Klimaschutz verkackt. Wir haben das jahrelang nicht ernst genommen. Ich hatte als junger Kerl einen VW-Bus, der hat 16 Liter Super verbraucht. Und während Al Gore schon Vorträge gehalten hat und uns mit einer simplen mathematischen Rechnung die Kipppunkte erklärt hat, bin ich auf 16 Litern Super zum Chillen nach Portugal gebrettert um da meine Pommestüten ins Meer zu werfen. Wir haben hier was gut zu machen und deshalb stelle ich mich dahin.
Mit Jenny gibt es ein letztes Konzert im Dezember.
Wir wollten das Jahr nicht zu Ende eiern, sondern uns lieber abfeiern, und uns belohnen für das, was wir uns gemeinsam in den letzten Jahren erarbeitet haben. Man darf nicht vergessen: Vor vier Jahren haben wir noch für 3,50 Euro auf der Uni-Party gespielt. Jenny Thiele, Jannis Knüpfer, der jetzt Bentler heißt, weil er geheiratet hat, und ich belohnen uns mit dieser Tour im maximalen Eskalationsmodus. Und den letzten Schlusspunkt der tollen Zusammenarbeit setze ich mit Jenny in der Kulturkirche am 17. Dezember – Taschentücher nicht vergessen. Ich Solo, Jenny im Vorprogramm. Ob es ein gemeinsames Finale gibt? Fragen über Fragen.
„Das letzte Kommando“…
Das allerletzte Kommando.
Wie geht es dann weiter für die Reisegruppe Seltsam?
Die Reisegruppe Seltsam sortiert sich jetzt schon neu. Wir haben lange Vorlaufzeiten in der Branche und gewisse Braten im Ofen, die wir sukzessive ausprobieren. Und wann wir dann ins neue Jahr starten, davon lasse ich mich nicht stressen. Diese Platte kann auch ein Zwischenspeicherpunkt sein, um einfach mal durchzuschnaufen. Ich könnte mir vorstellen, mich auch mal ein bisschen aus der Feuerlinie zu nehmen. Wir haben in einer dermaßen hohen Taktung so viele Reizpunkte erleben dürfen, dass vielleicht jetzt die Zeit ist, um den Fuß mal vom Gas zu nehmen.
Sie haben ein von der Kritik hoch gelobtes Buch geschrieben zusammen mit Sophia Fritz „Kork“. Die gemeinsame Lesetour war deutschlandweit ein Erfolg. Wird es ein zweites Kapitel geben?
Ich bin auf Seite 128. Mein Lektor ist sehr zufrieden mit mir.
Worum geht es?
Es könnte sein, dass auf dem Cover das Unendlichkeitszeichen zu finden ist. Das ist die grobe Thematik meines ersten eigenen Romans. Die Ko-op Fritz/Bechler war von der ersten Minute an hochinspirierend. Unser Verleger Gunnar Cynnybulk hat gefragt, ob nach dem Wein-Thema jetzt Schnaps kommt. (lacht) Der Winter ist lang, da ist noch viel Zeit zu schreiben.
Wann kann man Sie demnächst live sehen in Köln?
Das November-Konzert im Gloria ist ausverkauft, die Kulturkirche auch fast. Aber am 23. September bei Lagerfeuer de Luxe ebenfalls im Gloria gibt es noch Karten (ab 23 Euro). Da sind Sebastian Sturm, der Shooting-Star der Reggae-Szene, und Shelly Phillips dabei, ein Hammer Line-Up. Und ich kann mich vollkommen stressfrei an den Flügel setzen und laufen lassen. Und irgendeine Fortuna Schwurbelei wird mir bis dahin auch sicher noch einfallen. Fragen über Fragen (lacht).