Köln – Wir treffen Jojo und Andy Berger von Querbeat in neuen, selbst gestalteten Arbeits- und Proberäumen in der Südstadt. Hier fühlt man sich wohl, hier ist das neue Album entstanden, und der Kühlschrank ist voll mit Bier.
Acht von dreizehn Bandmitgliedern wohnen in der Südstadt. Wie wichtig ist die?
Jojo: Die meisten von uns sind ja gebürtige Bonner. Bonn ist Heimat, Südstadt zuhause. Wir haben empirische Studien gemacht, hier haben die Kneipen am längsten auf, es gibt am längsten Bier…
Jojo: …für uns ausschlafende Bevölkerung sehr wichtig (beide lachen). Der Schmelztiegel aus alten, linken Hausbesetzern, vielen Künstlern, einer richtigen Straße wie der Severinsstraße mit Menschen, die einen ähnlichen Lebensrhythmus haben, macht das sehr wohnlich für uns. Selbst wenn du fünf Tage hintereinander in der Zeitung warst, ist das kein Problem. Da gibt vielleicht mal einer ein Kölsch aus, aber du kannst auch herrlich abtauchen im kunterbunten Treiben. Für die Brötchen musst du genauso anstehen wie alle anderen.
Das neue Album heißt „Radikal Positiv“…
Andy: Jojo denkt immer schon über einen Albumtitel nach, bevor es überhaupt Musik gibt. Den Titel hatte er schon vor Corona. Die Headline hat uns die letzten zwei Jahre durch die Krise gehyped.
Jojo: Wie ein Mantra. Unser Konzept war, Antworten zu geben. Wenn du manche Songs im Radio hörst, denkst du, du stirbst vor Belanglosigkeit. Was ist, wenn ich merke, dass ich viel zu viel am Handy hänge? Dann will ich keinen Song machen, wie ich in der Hängematte am Handy rumhänge, sondern wie ich da wieder raus komme. „Tanqueray“ ist so ein Song: Auf dem Weg zum Studio sind wir morgens immer an einem Haus vorbeigekommen, an dem ein alter Opa am Fenster hing, jeden Morgen. Der guckt auf die Straße und sieht das echte Leben. Das ist sein Social Media, sein Instagram. Da kriegst du mehr vom wahren Leben mit als bei dem, was dir Leute suggerieren wollen, was wichtig ist. Negative Loops per Algorithmus. Unsere Bottomline ist, wenn du radikal positiv bist, bist du weder ein böser Mensch noch ein Querdenker, ein Nazi, ein Tierfeind oder ein destruktiver Gesellschaftskritiker. Wenn du dich darauf besinnst, findest du deine Antworten. Radikal ist ein edgy Wort, aber eigentlich harmlos: alles, was von der Wurzel kommt, von der Radix. Das ist die DNA des Albums. Diese Schablone kann man auf jeden Song münzen.
Habt ihr ein Beispiel?
Jojo: Mit „Kein für immer“ haben wir einen Song mit für uns ganz anderen Tönen drauf. Wenn Freunde an Corona sterben, wird die Suche nach der Antwort nicht einfach. Wir haben versucht, das zu verarbeiten, textlich und musikalisch zusammen zu weben. Von der ersten Enttäuschung, von der Wut, bis dann im letzten Satz der Ausweg formuliert wird: „Die nächste Träne wird wieder gelacht.“ Der Song ist ein Weg, damit umzugehen, das haben uns super viele Zuschriften bestätigt.
Genauso zählt aber eine Partyhymne wie „Du und deine Disco (Renate)“, wo man sich erinnert, wie man in den dreckigsten Kneipen mit den dreckigsten Böden die besten Stories erlebt hat. Das ist für uns auch radikal positiv, wieder zurück zu gehen zu den guten Events und daraus Power zu ziehen.
Also selbstbestimmt Leben?
Jojo: Absolut. Immer. Weil man es auch immer in der Hand hat. Unsere gesellschaftliche Aufgabe ist doch, aufeinander aufzupassen, uns immer wieder zu justieren. Wenn du die Aufgabe ernst nimmst, in dich reinhörst und zu deiner Wurzel kommst, merkst, dass diese radikal positive Flamme in dir ist, kann das schon eine Marschroute sein.
Auf eine Art ist das sehr politisch.
Jojo: Auf jeden Fall. Die Grenzen zwischen Kreativität und Politik verschwimmen. Wenn wir mit zehn Leuten an einem Tisch sitzen, und einer will sich nicht impfen lassen, und wir versuchen ihn mit Argumenten zu überzeugen, dann ist das Politik im kleinen Kreis. Politiker sind Klassensprecher für die großen Zusammenhänge, aber das entbindet einen nicht von der Verantwortung, sich im eigenen Umfeld politisch aufzustellen.
Eine Verantwortung, die ihr mit auf die Bühne nehmt. Ihr positioniert euch sehr eindeutig gegen Querdenker.
Andy: Klar, das muss man auch. Und wir besonders, schon allein weil das Quer Teil unseres Bandnamens ist. Wir hatten im Merch mal einen Pulli mit einem Q drauf, den Amerikaner, die den gesehen haben, direkt mit Q-Anon in Verbindung brachten. Das kann doch nicht sein, dass die uns unseren positiven Vibe wegnehmen. Wir haben dann „Allein“ geschrieben: Ihr seid eine Minderheit und werdet mit euren kruden Gedanken allein sein, wir sind die Masse. Leider sind die Wenigen oft sehr laut.
Querbeat bei „Allein“ aber auch. Das ist ein anderes Statement, als wenn Karl Lauterbach am Mikro steht.
Jojo: Absolut, aber wir verbinden das auch immer mit einem Tick Humor. Wenn wir etwa singen, dass der Bill-Gates-Chip bei der Impfung schuld daran ist, dass die Querdenker so laut sind. Das bringt uns schon einen Shitstorm ein von denen und wir werden als „Regierungskapelle“ beschimpft und bedroht. Wir hatten beim Konzert in der Lanxess-Arena im November zusätzliche Security da, aber das war unnötig: Da waren nur die richtigen Leute da. Die haben sich vorher Gedanken gemacht: Wir wissen, dass es voll wird, aber wir sind geimpft. Wir haben das Bedürfnis, nach mehr als einem Jahr Pandemie mal wieder richtig loszulassen. Tanzen. Feiern. Aber mit den richtigen Leuten. Das ist die Botschaft von „Allein“ – lasst euch überzeugen, ihr seid allein, wir nicht. Mit einer Prise Humor und Punk die Leute mitnehmen, sie könnten ja auch zu den Gewinnern gehören.
Die Stimmung beim Konzert – 14.000 Menschen feierten ohne Auswirkungen – hatte etwas von einem Befreiungsschlag.
Andy: Wir haben ganz früh auf 2G gesetzt, obwohl 3G auch gereicht hätte. Großveranstaltungen versuchen, mit dem Konzept 2GPlus Teil der Lösung zu sein und keine Pandemietreiber. Natürlich waren wir aufgeregt, ob alle kommen. Aber nach all der Zeit mit Corona können die Leute auch vieles einordnen. Und sie sind gekommen. Wenn sich alle so verhalten wie wir, dann klappt das auch – das ist ja so ein Querbeat-Ding, so selbstbewusst sind wir. Es gibt nicht die Zuschauer und die Künstler, das ist zusammen gewachsen. Das vermischt sich physisch, wenn wir für ein paar Nummern ins Publikum gehen, aber auch psychisch. Wir haben alle vor dem Gig noch einen Schnelltest gemacht und die Besucher über Social Media aufgefordert, das auch zu tun. So funktioniert das. Die im Innenraum nachher Pogo gemacht haben, die haben das alle gemacht. Und die Arena hat das perfekt gemacht. Wir haben mit den Securityleuten selber gesprochen, dass die sehr genau kontrollieren. Und die Techniker haben uns schon vorher gewarnt, dass es weniger Nebel auf der Bühne geben wird, weil die Lüftungsanlage alles absaugt. (grinst) Es war ja quasi ein Frischluftkonzert – Aerosole hatten keine Chance.
Du hast am Ende auf der Bühne gesagt, das wäre das schönste Konzert eurer Karriere gewesen.
Jojo: Auf jeden Fall. Da hingen ja zwei Monate Vorbereitung dran. Dass sich das dann so ausgeht, wie der Wiener sagt, das war schon 50 Prozent der Euphorie. Von neuen Arrangements, Details in den Soli bis zur kleinsten Bühnenfunzel haben wir alles versucht noch besser zu machen. Wir sind ’ne Liveband, wir können und wollen uns nicht in den Kaninchenbau zurückziehen und schlechte Nachrichten gucken.
Andy: Wir waren gut drauf, das Timing war super, und die Leute haben uns sooo viel zurückgegeben.
Jojo: Wir haben sieben neue Songs gespielt und die haben uns das Gefühl gegeben, als gäbe es die schon zehn Jahre. Dieses Movement in der Arena, wenn du merkst, es denken viele gleich, so bekam das eine historische Relevanz für uns. Zumal viele Leute das auch so gespiegelt haben. Die Resonanz berührt total, das Gefühl, dass das ankommt, was wir da machen.
Früher habt ihr vor dem Auftritt Liegestützen im Foyer des Festzelts gemacht. Gibt es diese Rituale noch?
Jojo: Klar, wir pumpen vorher Liegestützen, trinken ne Rum-Runde, es gibt ne kleine Pogo-Action, Flaschendrehen. Das ist lustig und wird immer mehr. Wir brauchen ne Viertelstunde mittlerweile, um alle Rituale abzuarbeiten.
Andy: Wir brauchen die guten Leute um uns rum. Backstage ist immer voll. Und in diesen riesigen Katakomben hängen dann alle in einem Raum ab vor dem Konzert, wie bei einer Party, wo alle in der Küche stehen.
Wie ist der Ausblick aufs neue Jahr?
Andy: Sag du uns das…(lacht)
Jojo: Wir haben viel vor, der Festival-Sommer ist voll. Wir haben im April eine Tour vor der Brust. Die Show steht, wir glauben dran, auch wenn es schon zweimal verschoben wurde.
Andi: Unser eigenes Festival in Bonn wird das Highlight. 30 000 Besucher, das sind viele, viele Menschen. Und man hat ja dieses Jahr gesehen, dass im Sommer und draußen einiges geht. Das Album ist auf Platz 2 der Charts gestartet, das ist zusätzliche Motivation. Als kleines Dankeschön haben wir den Fans ein Video unter den Weihnachtsbaum gelegt: mit den sehr geschätzten Kollegen von Bukahara jammen wir „Bunte Pyramiden/Afraid no more“. Gibt’s kostenlos bei Youtube. Und ab Mitte Januar bringen wir einen eigenen Wein raus. Da hatten wir Bock drauf.