Köln – Am Dienstagmittag steht Osman K. an der Eingangstür vom Kiosk Ubierring. Hier stand er auch am Freitag um 23.50 Uhr, als ein 32-Jähriger fast vor seinen Augen zwischen zwei Wagen der Linie 16 gestoßen wurde und starb. „Der Kioskbetreiber ist ein Bekannter von mir“, sagt Osman K., „Karneval sind immer so viele Besoffene da, da gucke ich manchmal mit, dass nichts passiert.“
Die Haltestelle sei überfüllt gewesen, „bestimmt 200 Menschen, schätze ich“, sagt der Augenzeuge. Kühe, Cowboys, Clowns und Indianer, es sei laut gewesen, plötzlich habe er den Toten vor sich auf den Schienen gesehen, habe Schreie gehört – von einem Freund des Verunglückten, wie schnell gewiss gewesen sei.
„Viele haben ihr Handy gezückt“
K. beschreibt makabre Szenen. „Das Widerlichste war, dass so viele Verkleidete das Ganze gefilmt haben, viele haben ihr Handy gezückt und standen da rum. Wer macht so was, wenn ein Mensch gestorben ist?“, fragt K. Er sei kalkweiß geworden, den Kiosk habe sein Bekannter sofort dichtgemacht. Ein Kumpel sei ähnlich schockiert gewesen – „wie wohl fast alle, die das gesehen haben“.
Während Osman K. sich erinnert, zieht der Karnevalszug durch die Südstadt, die Jecken schreien nach Kamelle und lachen, einige Wurfgeschosse landen an der Haltestelle, in der Nähe der Lichter und Blumen, die Menschen für den Mann niedergelegt hatten, der hier Freitagnacht ums Leben kam. Eine Frau steht mit ihrer kleinen Tochter an der Stelle, an der der 32-jährige Polizist, der am Freitagabend mit zwei Freunden in der Südstadt feiern war, mutmaßlich zwischen zwei Wagen der Linie 16 gestoßen wurde. Die Frau und ihr Kind halten inne, um sie herum tost der Jeckenzug, es ist eine ähnlich paradoxe Situation wie jene, als Ministerpräsident Armin Laschet und Oberbürgermeisterin Henriette Reker am Montag an der Unfallstelle kondoliert hatten – im gelb-grünen Ornat der Ehrengarde. Und ganz anders grotesk als betrunkene, filmende Gaffer.
Tatverdächtiger sitzt in Untersuchungshaft
Neben dem Leid der Angehörigen des LKA-Beamten, der im Staatsschutz auch für den Bereich Islamismus zuständig war, gibt es im Moment mehr Fragen als Antworten. Verdächtigt wird ein 44-Jähriger, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Ob es ein Rempler war oder ein Stoß, Absicht oder nicht, all das steht nicht fest. Der Beschuldigte war dem Haftrichter zunächst wegen Totschlags vorgeführt worden.
Nach einer Analyse des Videos milderte der Richter den Vorwurf auf fahrlässige Tötung, da kein Vorsatz erkennbar sei. Ob es bei diesem Vorwurf bleibt oder die Kölner Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegt, ist unklar. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ von einem Informanten erfuhr, soll der Videomitschnitt der KVB „sehr dunkel und nicht eindeutig“ gewesen sein. An der Haltestelle hätten tumultartige Zustände geherrscht.
Die KVB-Bahn war nach dem Unfall beschlagnahmt, im Betriebshof von der Polizei untersucht und am frühen Morgen wieder freigegeben worden. Der KVB-Fahrer wurde zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht, meldete sich aber am nächsten Tag wieder zum Dienst.
21-Jähriger an Aachener Straße von Bahn erfasst
„Die Karnevalstage bedeuten eine besondere Herausforderung für unsere Fahrer. Sie fahren hochkonzentriert und umsichtig. Wenn jemand auf die Gleise geschubst wird, kann auch eine Notbremsung ein Unglück nicht immer verhindern“, sagt KVB-Sprecherin Gudrun Meyer. An Weiberfastnacht war ein 21-Jähriger, der zum Feiern nach Köln gekommen war, an der Aachener Straße von einer KVB-Bahn erfasst und schwer verletzt worden.
Osman K. sagt, die schrecklichen Bilder von Freitag ließen ihn nicht los. „Ich frage mich, warum es an dem Bahnübergang nur auf einer Seite einen Zebrastreifen gibt“, warum erst eine Tragödie geschehen müsse, bevor mehr für die Sicherheit getan werde. Am Tag nach dem Unglück hätten zehn Ordner die Gleise am Chlodwigplatz gesichert.