Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Nach dramatischer Geisel-AussageRichter verschärft Tatvorwurf im Fall „Kölner Drogenkrieg“

Lesezeit 4 Minuten
In dieser Villa in Köln-Rodenkirchen beendete das SEK im Juli 2024 die Geiselnahme.

In dieser Villa in Köln-Rodenkirchen beendete das SEK im Juli 2024 die Geiselnahme.

Zur Entführung eines Paares in eine Kölner Villa kommt nun ein weiteres mutmaßliches Verbrechen hinzu.  

Die dramatische Zeugenaussage der in einer Villa in Rodenkirchen misshandelten Geisel hat weitere strafrechtliche Konsequenzen. Im laufenden Prozess am Kölner Landgericht verschärfte der Vorsitzende Richter Alexander Fühling den Tatvorwurf gegen einen Angeklagten. Nachdem das Opfer im Zeugenstand berichtet hatte, dass ihm von den Kidnappern auch eine Armbanduhr und Bargeld abgenommen worden seien, komme nun Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung in Betracht.

Köln: Paar aus Bochum wurde des Drogenraubs verdächtigt

Offenbar zu Unrecht waren Drogenhändler davon ausgegangen, dass ein 37-jähriger Bochumer und dessen Familie an einem Raub von 350 Kilogramm Marihuana aus einer Lagerhalle in Hürth beteiligt waren. Um die Drogen oder den Gegenwert von 1,5 Millionen Euro zurückzubekommen, soll der Anführer der Drogenbande laut Anklage die Entführung des 37-Jährigen und dessen Freundin durch einen Bekannten in Auftrag gegeben haben – so sollte der Bruder des Mannes erpresst werden.

Im Zeugenstand hatte der Mann berichtet, wie er und seine Freundin in die Falle gelockt worden seien. Er habe gedacht, womöglich bei einem geplanten Drogendeal behilflich sein zu können. Doch plötzlich hätten mehrere vermummte Männer ihn und seine Freundin mit Waffen bedroht. Sie seien in einen weißen Transporter verfrachtet worden. Die Täter hätten ihm dann auch direkt seine Armbanduhr entrissen und etwa 350 Euro an sich genommen, die er bar in der Tasche gehabt habe.

Köln: Entführer bringen Geiseln zu Villa in Rodenkirchen

„Das war eine Rolex, richtig?“, fragte der Richter. „Nein, nur eine sehr gute Kopie, für 200 Euro aus der Türkei, haben die nicht geschnallt“, so die Antwort des Zeugen, die kurzzeitig für Gelächter im Gerichtssaal sorgte. Der offenbar nicht gerichtsbekannte Umstand sorgte für die Erweiterung der Vorwürfe, die der Vorsitzende Richter in einem Hinweis benannt hat. Allein auf ein solches beschriebenes Raubgeschehen stehen bereits mehrere Jahre Gefängnis für die Beschuldigten.

Für den Bochumer und dessen Freundin war es aber erst der Beginn eines Martyriums. Das Paar wurde in eine leerstehende Villa am Eibenweg in Rodenkirchen verbracht. Der Mann musste sich ausziehen – ein Video zeigt, wie Personen auf den nackten Mann eintreten. Maskierte Täter hätten sich mit „X1“, „X2“ oder „X3“ angeredet. Offenbar herrschte ein reges Kommen und Gehen in dem Gebäude. Zwischendurch sollen die Entführer sich Lebensmittel an der Tankstelle gekauft haben.

Köln: Botan I. wegen Beihilfe auf der Anklagebank

Das Geiselopfer berichtete, an Durst und Hunger gelitten zu haben. Einer der Entführer habe sich dann erbarmt und ihm einen Schluck „Durstlöscher“ aus dem Tetrapak gegeben. Dass dann plötzlich das SEK vor ihm und seiner Freundin gestanden und sie befreit habe, hätte sich angefühlt wie eine zweite Geburt. Er hatte nach den vielen Todesdrohungen längst mit dem Leben abgeschlossen, so das Opfer. Ein mutmaßlicher Entführer war zuvor geflohen und hatte rechtzeitig die Polizei verständigt.

Im aktuellen Prozess am Landgericht muss sich der 30-jährige Botan I. aus Köln-Kalk verantworten. Er soll nicht zu den Geiselnehmern zählen, diesen aber vorher Unterschlupf in seiner Wohnung gewährt und Waffen und Munition gehortet haben. Lockvideos der Täter sollen in seiner Wohnung entstanden sein. So hatte die Geisel etwa von einer Geldzählmaschine gesprochen, die sie gesehen habe. Ein solches Gerät wurde laut Anklage der Staatsanwaltschaft bei Botan I. gesichtet.

Köln: Verteidigerin stellt geplante Einlassung zurück

Verteidigerin Julia Stab hatte eine Einlassung für ihren Mandanten angekündigt, zu der es beim aktuellen Verhandlungstag aber nicht kam. Zwischenzeitlich hatte sich ein mutmaßlicher Beteiligter an der Entführung bei den Ermittlern gemeldet und eine Aussage zu Protokoll gegeben, die etwa 830 Aktenseiten füllt. Der Angeklagte werde darin nicht belastet, jedoch namentlich genannt, sagte die Staatsanwältin. Anwältin Stab will das lange Protokoll nun vor einer Einlassung zunächst lesen.

Der gewaltsame Diebstahl der Drogen, dem laut Anklage ein Verrat innerhalb der Bande aus Kalk vorausging, markierte den Beginn einer Gewaltserie in Köln. Auch mehrere Sprengstoffanschläge vor Wohnhäusern sollen sich gegen Beteiligte des Raubes gerichtet haben – mit dem Ziel, sie einzuschüchtern und die 350 Kilogramm Marihuana zurückzuerlangen. Derzeit laufen drei Strafprozesse in Köln, auch wegen einer weiteren Geiselnahme. Es gibt mehr als 40 Beschuldigte.