Die Kölner Band Erdmöbel veröffentlicht seit zwölf Jahren jedes Jahr ein neues Weihnachtslied.
In den Songs muss „Herodes für 70 Cent aufs Klo“ und „Jesus weint schon“.
Im Interview spricht Sänger Markus Berges über den Segen von misslungenem Essen, Polonaisen zum Fest und Alkohol als Lösung.
Ihr Erdmöbel seid echte Weihnachtsprofis. Seit zwölf Jahren beschert Ihr eure Fans jedes Jahr mit einem neuen Weihnachtslied. Die jährliche Weihnachtstour durch alle großen deutschen Städte gehört für eure Fans quasi zum Fest der Liebe dazu. Warum arbeitet ihr euch gerade an diesem Fest ab?
Markus Berges: Am Anfang war das spielerisch. Wir hatten 2007 den Song „Weihnachten ist mir doch egal“ produziert, die Coverversion von „Last Chrismas“. Dann wollten wir im Jahr drauf was Eigenes machen und haben festgestellt, dass es Spaß macht, sich an Weihnachten abzuarbeiten. Ein Fest, dem man nicht entfliehen kann – das ist ein tolles Popthema. Selbst die Ungläubigen oder Angehörige anderer Religionen können dem Fest nicht entgehen, weil es so kapitalistisch durchzogen ist. Natürlich hat es etwas Anstrengendes, dem Weihnachtsthema immer neue Kreativitätstropfen abzuwringen. Aber das ist ja der Reiz.
In den Songs muss „Herodes für 70 Cent aufs Klo“ und „Jesus weint schon“. Erdmöbel-Weihnachten ist eine Feier, die den Zucker von Weihnachten behält, aber den Stress draußen lässt und das Leichte betont.
Es geht darum, dem Fest seinen Schrecken zu nehmen. Wir in der Band genießen und hassen das Fest – so wie die meisten Leute. Mit unseren Weihnachtskonzerten hat sich quasi aus sich selbst heraus ein Partyformat entwickelt. Ich würde es ritualisiert albern-karnevaleskes Gemeinschaftserlebnis im Weihnachtskontext nennen. Für manche bietet diese Verfremdung die Möglichkeit, Weihnachten wieder zu genießen.
Weihnachten ist oft mit Erwartungen und emotionalen Altlasten überfrachtet. Und obwohl man das weiß, tappt man immer wieder in dieselbe Falle...
Du kannst Weihnachten als Familienfest nicht entgehen und es gibt kaum jemanden, für den das manchmal nicht auch üble Seiten hat. Das taucht ja auch in unseren Songs auf, zum Beispiel in „Ding, Ding, Dong“. Eigentlich eine „Coming Home for Chrismas“-Geschichte, wo eine Familie im Auto nach Hause fährt. Zuhause sitzen dann schon die Eltern und stressen: „Wann kommt ihr denn endlich?“ Damit fängt der ganze Stress ja schon an.
Warum kann ich nicht einfach sagen: Weihnachten ist mir egal, ich mach’ mir ein normales gemütliches Wochenende?
Weil es eben ein Familienfest ist. Selbst wenn deine ganze Familie tot ist, kannst du dich nicht davon frei machen. Da das als Familienfest so stark ritualisiert ist, sitzt deine Familie mit am Tisch. Selbst wenn du sagst, ich scheiß darauf und mach es mir selber schön, ich back’ mir nen Stollen. Dann ist schon klar, dass die Depression auf dich wartet, weil die Familie als stiller Teilhaber die ganze Zeit dabei sitzt.
Was ist denn die Alternative, wenn man keine Lust auf Weihnachten mit der Familie hat?
Viele Leute, die nicht mit der Familie feiern oder keine haben, feiern mit Freunden – quasi mit ihrer urbanen Alternativfamilie. Das kann etwas sehr Schönes sein. Wichtig ist, dass du dich zu Weihnachten verhälst, indem du es aktiv gestaltest – wie immer, wenn etwas stachelig oder problematisch ist. Machst du das nicht, erwischt es dich kalt und du bist unglücklich.
Eure Weihnachtskonzerte leben davon, dass es weniger feierlich zugeht, als vielmehr lustig oder sogar kindlich albern. Zu euren Weihnachtsliedern ziehen erwachsene Besucher freiwillig in einer Polonaise durch die Kirche und bimmeln dazu mit ihren Hausschlüsseln. Wie macht Ihr das?
Die Leute haben einfach Lust auf dieses spielerische Kindsein. Menschen, die im normalen Leben auf ihre Coolness achten, machen sich mal über sich selber lustig und merken, dass das gut tut. Das ist wie ein Spiel und das spielt in unseren Konzerten eine große Rolle: Grenzen überschreiten und sich lächerliche machen. Es ist uns als Band wichtig, dass wir uns über uns selber lustig machen und das Feierliche trotzdem ernst nehmen. Wenn du dich genug lustig machst, wird es irgendwann vielleicht nicht ernst, aber wieder schön. Dann kann da was Erhebendes draus werden, weil du es gemeinsam machst. Das ist ja auch im Karneval so.
Wie lässt sich das auf das Weihnachtsfest daheim übertragen? Wie kriegt man unterm Tannenbaum die Humorkurve hin?
Das ist unser Rat fürs Leben: Mach was du willst und nimm dich trotzdem dabei nicht so wichtig. Das gilt auch für Weihnachten. Alkohol ist fürs Fest daheim eine Lösung. Hilfreich ist , wenn Musik aufgelegt wird, zu der man tanzen kann. Es hilft, eine Form von Zusammensein zu kreieren, bei dem es nicht nur darum geht, zusammen zu sitzen, zu essen und Geschenke auszutauschen, sondern bei dem an einer Stelle nicht klar ist, was passiert. Zum Beispiel dadurch, dass jemand dabei ist, der sonst nicht dabei ist. Oder dadurch, dass das Essen misslingt. Oft sind die Dinge, die daneben gehen , in einem ritualisierten Rahmen der Garant dafür, dass etwas Schönes, Unvorhergesehenes passiert.
Gibt es etwas, bei dem Ihnen im Hinblick auf Weihnachten der Humor abhanden kommt?
Ja, beim Thema Weihnachtsmärkte. Ich hasse sie: Da treffen sich Leute, die einen extra dafür hergestellten Mist kaufen, schlechte Musik hören und sich dabei betrinken. Das finde ich furchtbar. Und das hat mit Konsumkritik nichts zu tun. Ich bin ein großer Freund von Geschenken.
Dabei wird der Band doch immer wieder zugeschrieben, konsumkritisch zu sein...
Das ist totaler Schwachsinn. Das ist nicht die Intention unserer Band. Schlichte Konsumkritik wäre uns zu blöd. Die ist ja im übrigen auch schon fast ein Weihnachtsklischee geworden: mit dem Seufzer, ach Scheiße, im Supermarkt gibt es im September schon wieder Nikoläuse. Das musst du dir ja jedes Jahr anhören.
Nach Weihnachten kommt ja oft die Weihnachtsernüchterung. Mögen Sie die Zeit nach Weihnachten bis Silvester?
Für mich ist das die klassische Zeit der Depression. Das wird nicht besser, wenn man als Musiker auf Weihnachtstour war und entsprechend hochtourig und erschöpft in das Weihnachtsfest reingeht. Dann sind die Tage vor Silvester graue und nutzlose Tage, in denen ich öfter niedergeschlagen bin.
In dem gemeinsam mit Judith Holofernes aufgenommenen Lied „Hoffnungsmaschine“ gibt es den Satz „Steh auf! Ein Jeder ist verantwortlich. Auch die, die gar nichts glauben“. Klingt wie eine Jahreslosung für 2020...
Den Song haben wir bewusst auf dem Ebertplatz präsentiert. Dort – in dem wieder funktionierenden Brunnen – manifestiert sich die Hoffnungsmaschine. Jetzt gibt sogar erstmals nicht nur eine Eisbahn neben dem Brunnen, sondern eine erweiterte Bahn um den Brunnen rum. Das hat zu Weihnachten Symbolwert: Sogar im Winter tobt jetzt hier das Leben. Die ganze Geschichte ist einerseits Ermutigung und zeigt gleichzeitig das totale Versagen der Stadt.
Inwiefern?
Der Platz brauchte nur ein bisschen Liebe und Verantwortung für die eigene Stadt. Aber die Stadt hat bei der Idee, den Brunnen wieder zu aktivieren, aus Kostengründen abgewunken. Da haben es die Kölner in Privatinitiative einfach in die Hand genommen, während die Experten den Platz zubetonieren wollten. Die Visionslosigkeit der Stadt war für die Leute der Anlass aktiv zu werden. Natürlich sind trotz Brunnen und spielender Kinder die Probleme wie etwa die Drogendealer nicht weg. Aber darum geht es auch nicht. Ein Leben ohne Probleme gibt es in einer Großstadt nicht. Es geht darum, den Problemen nicht die Deutungshoheit zu überlassen, sondern die Verantwortungshoheit zu übernehmen und zu gestalten.
Sie verzweifeln gelegentlich an dieser Stadt. Was ist es, das Sie – außer den fehlenden Visionen – besonders stört?
Es ist die herrschende Vorstellung, dass die Stadt den Leuten gehört, die erstens Politik machen und die zweitens Geld haben. Und eben nicht den Leuten, die hier wohnen oder die auf dem Ebertplatz Drogen verkaufen. Die sind ja auch Teil dieser Stadt und die verticken die Drogen weiter, nur woanders. Das heißt, in irgendeiner Form musst du damit umgehen statt Verantwortung zu verweigern. Es braucht einen anderen Blick auf die Frage „Wem gehört die Stadt? „ Hier in Köln ist das eine provokative Frage. In Wien steht die Antwort wie selbstverständlich groß auf allen öffentlichen Bussen: „Die Stadt gehört dir“.