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Kölner Esoterik-MesseMit Steinen und Engeln sprechen – was mache ich hier eigentlich?

Lesezeit 7 Minuten
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Am Stand von Bolormaa Müller gibt es Wunderheilung to go für unseren Reporter Jonah Lemm.

  1. Auf der Esoterik-Messe „Spiritualität und Heilen” in der Stadthalle in Köln-Mülheim” wird Heilung durch Wolldecken und Kontakt zu Erzengeln versprochen. Alles Quatsch?
  2. Reporter Jonah Lemm hat sich für unser Format „Was mache ich hier eigentlich?” auf einen Rundgang gemacht und unter anderem von Engeln heilen lassen. Wovon? Egal!
  3. Schon in der Schlange kam er sich vor wie in einem Hella-von-Sinnen-Doppelgänger-Wettbewerb. Und drinnen ging es munter weiter. Aber lesen Sie selbst.
  4. Und lesen Sie hier auch weitere Folgen unserer Serie.

Köln – Eine menschliche Seele wiegt im Durchschnitt 21 Gramm. So schrieb es der US-amerikanische Wissenschaftler Duncan MacDougall Anfang des vergangenen Jahrhunderts, nach zweifelhaften Experimenten mit sterbenden Patienten.

21 Gramm, das war in etwa die Gewichtsdifferenz, die er gemessen hatte, vor und nach dem Tod. Das, was da von der Waage verschwunden war, musste, da glaubte MacDougall fest dran, die Seele gewesen sein, die aus dem Körper fuhr.

Als sich dieses Klapptisch-Aufstellbanner-Labyrinth vor mir aufbaut und der Weihrauch schon die letzten klaren Einfälle aus dem Kopf naturheilkundet, muss ich an MacDougall denken. Daran, dass die 21-Gramm-Theorie schon zu seinen Lebzeiten als unwissenschaftlich galt. Dass sie kein anderer Forscher je belegen konnte. Und dass sie dennoch eine solche Popularität entwickelte, dass letztlich ein Hollywood-Streifen nach ihr benannt wurde.

Ein Kilogramm Messgeräte

Würde MacDougall jetzt hier seine Messgeräte aufbauen, so viel ist sicher, er würde bestimmt auf 500 Gramm, ach auf ein Kilo kommen. Die Seelen derer, die an ihre Existenz glauben, haben zugenommen. Seit ein paar Jahren werden sie unentwegt gemästet, mit Zellnahrungskeksen, Eselmilchtinktur und energetischem Brot, solange, bis sie die breite Masse erreicht haben, glaubt man. Sehr weit, denke ich, ist man hier davon nicht mehr entfernt, auf den Esoterik-Tagen in der Stadthalle Mülheim.

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So sieht also ein Medium aus: Eric Tallis

Familien, alte Verrückte, junge Normale – und andersherum – viele alleinstehende Frauen, noch allein stehendere Männer staunen gemeinsam über Neuheiten aus Alternativmedizin und Glücksmacherei. Erster Eindruck: Unter den Besuchern könnte man glatt eine gültige Forsa-Umfrage durchführen. Dieser Bundesbürger, von dem sie in den Nachrichten immer sprechen, ist durchaus noch spirituell. Insgesamt 2000 Besucher kommen laut den Betreibern, wenn die in Köln zwei Mal im Jahr ausstellen, was Schulmedizin und Wissenschaft zu großen Teilen für Unsinn halten.

Die Branche wächst dennoch oder vielleicht gerade deswegen, mittlerweile macht sie Schätzungen zufolge gut 20 Milliarden Euro Jahresumsatz in Deutschland. 15 Prozent der Deutschen, sagt eine Studie der Universität Hohenheim, suchen Sinn in der Metaphysik. Laut anderen Umfragen ist jeder vierte hierzulande aufgeschlossen gegenüber Wunder- und Geistheilern.

Ich gehöre nicht dazu.

Vielmehr: Ich verachte Esoterik im Ganzen, obgleich unter diesem Begriff ganz verschiedenste Praktiken zusammengefasst werden – Homöopathie, Wahrsagung, Schutz vor „Erdstrahlung“, um nur ein paar zu nennen. Ich aber halte allesamt für Hochstapelei. Deswegen bin ich heute zur Messe gekommen.

Eine Welt verstehen, die ich nicht verstehen kann

Ich will verstehen, was ich nicht verstehen kann: Warum in einer Welt, die von der empirischen Wissenschaft dominiert wird, in der nur weniges nicht mehr durch Fakten erklärbar ist, die Menschen trotzdem irgendwelchen Gurus zulaufen.

Der Eintritt kostet für reguläre Gäste sieben Euro. Schon im Foyer wird klar: Es ist natürlich wahnsinnig einfach, sich über diese Leute lustig zu machen. Es ist einfach, zu schreiben, dass man sich schon in der Schlange vorkam wie auf einem Hella-von-Sinnen-Doppelgänger-Wettbewerb. Dass danach an 65 Ständen Charakter-QVC angeboten wird, hier ein Energie-Transformator, da ein Blockaden-Harmonisierer. Roboterstaubsauger für die Seele. Es ist einfach, zu schreiben, dass hier in diesen Räumen, die eher nach Versicherungsvertreter-Kongress aussehen, nur verblendete Vollidioten rumstehen.

Ist dann aber doch nicht so einfach. Denn da ist zum Beispiel die 50-Jährige, die einst Wirtschaft studierte und Risikomanagerin bei einem großen Bonner Unternehmen wurde. Die sagt, dass sie kurz vor dem Burn-out stand, kündigte, eine dreijährige Ausbildung zur Rainbow-Reiki-Meisterin machte und jetzt Geistesheilung per Spontan-Vitalisierung verspricht. Da ist Eric Tallis, Star der Messe, der behauptet, er funktioniere als Medium wie ein Hifi-Gerät, er könne die sehr feinen Frequenzen der Geister eben hören und so Kontakt aufnehmen. Im Gespräch sagt er, die Fähigkeit habe nach dem tragischen Tod seines Vaters eingesetzt - als der plötzlich aus dem Jenseits zu ihm sprach.

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Susanne Reuther trainier das Sein – da ist Reporter Jonah Lemm natürlich dabei.

Und da ist Markus, der eine Halbseiten-Lähmung bekam, die, wie er sagt, kein Mediziner erklären konnte. Die Heilung kam, glaubt er, schließlich durch eine mit sogenannten Biophotonen aufgeladenen Wolldecke. Nun vertreibt Markus den Wunderstoff selbst, im Verkaufsgespräch versichert er einer Interessierten: „Ich kenne Erfahrungsberichte, da hat die Decke bei Demenz geholfen und auch bei Bluthochdruck. Eigentlich helfen diese Biophotonen bei allen Krankheiten.“ Das Stück kostet 300 Euro, die Technik dahinter, die Markus „Physik“ nennt, gilt in wissenschaftlichen Kreisen als „hanebüchener Unsinn“. Am Stand gegenüber bietet sich ein Mann als menschlicher Virenscanner an. Laut eigener Aussage im Auftrag von Jesus Christus.

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Massage mit kleinen Bürsten sollen den Energiefluss im Körper verbessern am Stand von VinaMa

Und vielleicht ist es ja genau das: Wo Wissenschaft und Medizin mit ihren Erklärungen doch nicht mehr weiterkommen, sei es aus mangelnder Erkenntnis oder Ignoranz, wo sich Menschen allein gelassen oder überfordert fühlen, setzt die Esoterik an. Wenn eigentlich keine Hoffnung mehr da ist, bietet sie eben doch für jeden noch Rat und Lösung. Solange der Kunde an die selbstgeschaffene Logik glaubt. Klingt gar nicht so neu.

Esoterik ist Religion ohne Institution und Tradition. Und mit anderem Marketing: Im Christentum geht’s essenzieller Weise um das Leiden - Jesus, Kreuz, Märtyrer, man erinnert sich. In der Esoterik geht es um Lebensfreude, innere Ruhe, Selbstoptimierung,.

Schwer verständlich – für alle Nicht-Erleuchteten

Die Methoden dafür sind zwar für alle Nicht-Erleuchteten schwer verständlich. Sie sind aber oft überraschend harmlos. Es scheint nicht gefährlich, wenn etwa Medium Eric Tallis gegen 30 Euro zehn Minuten lang versucht, mit den Toten zu sprechen. Oder wenn die Rainbow-Reiki-Meisterin aus der persönlichen Tageskarte das eigene Chakra liest und mit ein paar Kalendersprüchen zur Seite steht. Das schadet niemandem, vielleicht gibt es ja sogar Motivation oder Hoffnung.

Gefährlich wird es bei Menschen wie Ingrid, wie sie hier heißen soll.

Ingrid verkauft zusammen mit ihrem Mann auf der Messe Heilsteine. Bei einem Vortrag im fensterlosen Kellerraum berichtet sie, schon länger könnten sie und ihr Mann mit Engeln sprechen. Irgendwann habe ihr Gatte angefangen, sich auch für die Genesungswirkung von Mineralien zu interessieren, wollte einen Kurs dazu belegen. Die Engel allerdings hätten das verboten. Irgendwann sprachen sie zu ihm: „Du weißt doch schon alles, du bist seit je her ein Schamane.“ Klar, dachte der Mann und machte aus seinem plötzlich wiederentdeckten Wissen ein Buch. Einfach so. Ingrid selbst habe mittlerweile sogar gelernt, mit den Steinen sprechen. „Das sind nämlich Kristallwesenheiten“, sagt sie. Und hält eine weiße Kristallwesenheit in die Höhe.

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Von den zehn Anwesenden widerspricht niemand oder fragt nach.

Und mir wird schlagartig klar, dass Ingrid und ihr Mann auf sehr merkwürdige Weise ein fundamentales Dilemma der liberalen Demokratie karikieren: Wie viel Freiheit darf ein Staat seinen Bürgern geben? Muss, wer weiterhin SUV fahren, unbegrenzt viel Fleisch essen und Rauchen will – alles aus rationaler Sicht nur schädlich für die Gesellschaft – etwa auch zulassen, dass gleichzeitig Menschen ihre Krankheiten mit Kristallwesenheiten behandeln?

Die meisten Aussteller betonen im Gespräch, dass sie mit vielen anderen Angeboten auf der Messe selbst nichts anfangen könnten. Esoterik ist eben schon der Wortherkunft nach ein sehr unübersichtlicher Bereich aus allem, was sich als alternative, nur einem begrenzenden Personenkreis zugängliche Lehre versteht. Nicht alles ist Quatsch, auch Yoga fällt irgendwie darunter. Ich werde irgendwann von einer „Seinstrainerin“, die laut ihrem Prospekt behauptet, sie habe die Gabe, „den hohen Schwingungszustand des Seins erfahrbar und nutzbar zu machen“, in einer 15-minütigen Sitzung zum ruhigen Atmen gemotivationstrainert. Und fühle mich danach tatsächlich entspannter. Auch sie redet über die Seele, sagt, meine würde gerade zu ihr sprechen. Ist aber trotzdem nicht so unangenehm wie die Rheuma-Heilsteine. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass solche Meditations-Übungen Menschen helfen, konzentrierter durch den Alltag zu kommen.

Mit all diesen Gedanken will ich gerade gehen, rauchen, verarbeiten, für mich sein. Da stellt sich mir ein Mann in den Weg. Ein Bayer, das Haar schon ergraut, gut, aber nicht schick angezogen. Der Geschäftsführer der Messe. Er erkennt mich. Kein Entkommen.

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Wie es mir denn gefallen würde, fragt er, leider aber nur rhetorisch. Bevor ich antworten kann, beginnt er einen Impuls-Monolog über böse Journalisten, die sich regelmäßig über Esoterik lustig machen würden. Kann ich mir jetzt so gar nicht vorstellen, sage ich, dass jemand das tut.

Der Mann, der mit seiner Messe wie mit einem Wunderheiler-Wanderzirkus durch den deutschsprachigen Raum zieht – 14 Termine im Jahr, von Hannover bis Wien –, wird und wird nicht fertig mit seiner Wutrede. Ich überlege, ihm einen Karma-Ausgleich in den Messehallen zu organisieren oder einen Gute-Laune-Stein von Ingrid zu besorgen. Irgendwann kommt er aber von selbst drauf, dass er noch atmen muss. Sein Blick schweift zum Fotografen, der sich schmerzerfüllt an einem Tresen festhält.

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