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ArchiveinsturzU-Bahn-Bau soll im kommenden Jahr weitergehen

Lesezeit 4 Minuten

Blick in die Baugrube des 2009 eingestürzten Stadtarchivs am Waidmarkt

Köln – Baufehler oder womöglich eben doch ein nicht zu verhinderndes Unglück, ausgelöst durch Erdbewegungen in großer Tiefe? Wenn das von dem Gerichtsgutachter Prof. Hans Georg Kempfert angefertigte Spezialgerät erst einmal zum Einsatz kommt, könnte es vergleichsweise schnell gehen an der Einsturzstelle des Stadtarchivs.

Dann wird entweder bestätigt, was zwei Große Strafkammern, die Staatsanwaltschaft und die überwiegende Zahl der Sachverständigen ohnehin für zweifelsfrei erwiesen halten. Oder es stellt sich heraus, dass der Einwand der Bauunternehmen berechtigt ist, der Einsturz habe eine andere Ursache als menschliches Versagen.

Noch ist unklar, wer für Schaden aufkommen muss

„Derzeit laufen die letzten Vorbereitungsarbeiten, um die Braunkohleschicht mittels einer vom Sachverständigen eigens entwickelten Aushub-Saugbox Stück für Stück freizulegen und deren Unversehrtheit zu überprüfen“, teilte die Verwaltung dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Der Zustand der Braunkohleschicht unter dem U-Bahnbauwerk ist von entscheidender Bedeutung: Ist sie unbeschädigt, lässt sich die Annahme der Baufirmen nicht länger aufrechterhalten. In dem Fall können weder Grundwasser, noch Sand und Kies durch die Kohleschicht von unten in die Baugrube gedrungen sein.

Selbst nach den im Oktober 2018 und Februar 2019 erfolgten Strafurteilen dauert die Suche nach Beweisen an. Es geht um die Frage, wer für den Schaden aufkommen muss.

Zeitplan musste mehrfach überarbeitet werden

Wer von der Severinstraße aus in das gewaltige Loch schaut, bekommt von den Erkundungen der Experten für Boden- und Felsmechanik nur wenig mit. Das Vorhaben gilt als technisch äußerst anspruchsvoll, der Zeitplan wurde mehrfach überarbeitet. Im Februar kündigte die Verwaltung an, die Beweisaufnahme könne „voraussichtlich noch im Jahr 2019 endgültig abgeschlossen werden“. Mittlerweile steht fest, dass Kempfert die Baustelle frühestens im kommenden Jahr räumen wird.

Trotz der neuerlichen Verzögerung soll der U-Bahnbau am Waidmarkt in den nächsten Monaten fortgesetzt werden. „Die Sanierungsarbeiten können, in Abhängigkeit von der Beendigung der gutachterlichen Untersuchungen, voraussichtlich Mitte 2020 beginnen“, bestätigte der Sprecher der Kölner Verkehrs-Betriebe AG, Matthias Pesch.

Schadensersatz von 1,3 Milliarden Euro steht im Raum

„Je nach Verlauf der weiteren Planung und Bauausführung“ rechnet die KVB damit, dass die neue U-Bahn zwischen dem Breslauer Platz und dem Bonner Wall frühestens in den Jahren 2026 oder 2027 ihren Betrieb in ganzer Länge aufnehmen wird.

In dem bevorstehenden Rechtsstreit um den Schadensersatz werden die Stadtverwaltung und die KVB von den Bauunternehmen Bilfinger, Züblin sowie Wayss und Freytag, die eine Arbeitsgemeinschaft gebildet haben, eine Summe von mindesten 1,3 Milliarden Euro verlangen. Darin enthalten sind mehr als 700 Millionen Euro für die Restaurierung der beschädigten Archivdokumente. Hinzu kommen etwa 80 Millionen Euro für das neue Archivgebäude, 24 Millionen Euro für das Bergen der Archivgüter und mehr als 70 Millionen Euro für das Besichtigungsbauwerk, das für die Gutachter errichtet wurde.

In den Mittagsstunden des 3. März 2009 stürzt das Historische Stadtarchiv ein und reißt zwei junge Männer aus einem Nachbarhaus in den Tod.

Das Archivgebäude in der Nähe des Waidmarkts beherbergte Zigtausende Urkunden, Handschriften, Baupläne sowie eine halbe Millionen Fotos. 95 Prozent des Bestandes wurden geborgen; es wird noch Jahrzehnte dauern, bis das letzte Dokument restauriert ist. Ein Teil des Nachlasses des Nobelpreisträgers Heinrich Böll gehört ebenso zum Bestand wie Originalhandschriften des Komponisten Giuseppe Verdi und Briefe aus dem Mittelalter.

Bauunternehmen haben weitere Fragen

Um Aufschluss über die Kosten für das Wiederherstellen der beschädigten Archivalien und deren Wert zu bekommen, hat das Gericht den ehemaligen Präsidenten des Bundesarchivs, Prof. Hartmut Weber, als Sachverständigen hinzugezogen. Der Experte errechnete den Gesamtbetrag anhand von Zufallsstichproben. Dabei legte er den Grad der durch den Einsturz bedingten Beschädigung der Dokumente sowie den Aufwand der Restaurierung zugrunde.

Nach seinem ersten Gutachten hatten sowohl die Stadtverwaltung als auch die Bauunternehmen eine Reihe von Fragen. Diese Fragen hat Weber nach Angaben des Presseamtes mittlerweile beantwortet. Seine Schadenshochrechnung habe er „lediglich aufgrund kleinerer Rechenfehler korrigiert“. Die Baufirmen hätten sich weitere Fragen vorbehalten, „deren Inhalt abzuwarten bleibt“.

Verantwortliche wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Im Zusammenhang mit einer Klage auf Wiedergutmachung kann von Belang sein, dass nicht nur ein Oberbauleiter von Züblin wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden ist, sondern auch ein Bauüberwacher der KVB. Die Baufirmen dürften das Urteil gegen den KVB-Beschäftigten zum Anlass nehmen, einen Teil der Verantwortung für den Einsturz von sich zu weisen – und damit auch einen Teil der Pflicht zur Erstattung der dadurch entstandenen Kosten. Noch allerdings sind die Urteile des Landgerichts nicht rechtskräftig. In beiden Fällen wurde Revision eingelegt. „Über diese Revision hat der Bundesgerichtshof bislang noch nicht entschieden“, heißt es bei der Stadt.

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Bei dem Einsturz in den Mittagsstunden des 3. März 2009 sind zwei junge Männer ums Leben gekommen. Sollte der Geoingenieur Kempfert in den kommenden Wochen und Monaten zur eigenen Überraschung dann doch auf eine beschädigte Braunkohleschicht stoßen, stellt sich die Frage nach der Verantwortung ganz neu.