Köln – Die blonde junge Frau hält sich beide Hände vor den Mund, Entsetzen steht in ihrem Gesicht: „Wegen einer Pizza?“, presst sie leise hervor und schüttelt den Kopf. Es ist Samstagmittag, im Kölner Hauptbahnhof herrscht wie immer hektische Betriebsamkeit. Doch vor der Filiale der Fastfood-Kette „Pizza Hut“ bleiben immer wieder Menschen stehen, halten inne, kommen ins Gespräch. Es ist keine 24 Stunden her, dass hier der 27-jährige Marco H. gestorben ist. Der Mitarbeiter der Pizza-Kette ist erstochen worden, im Streit um eine Pizza.
Viele haben von der schrecklichen Tat gehört, einige legen Blumen nieder, Bilder oder Briefe. Für die blonde Frau ist die Nachricht von der Bluttat neu. „Das kann doch nicht sein, wegen einer Pizza?“, wiederholt sie ungläubig. Dieser Gedanke eint die meisten Menschen an dieser Stelle: Wie kann man im Streit um eine angeblich nicht schmeckende Pizza einen Menschen töten? „Du bist ein toller Kerl und ein guter Freund“, hat jemand auf ein braunes Stück Papier geschrieben. Und: „Du warst der Beste.“
Der mutmaßliche Täter sitzt seit Samstag im Gefängnis: „Es wurde Untersuchungshaft wegen Totschlags angeordnet“, sagte eine Polizeisprecher. Ob sich der 27-jährige Michael F. in seiner Vernehmung zu den Vorwürfen geäußert hat, wollte die Sprecherin nicht sagen: „Weitere Erkenntnisse sind nicht vor Montag zu erwarten.“ Der Tatverdächtige soll aus Süddeutschland stammen und bereits wegen mehrerer Gewaltdelikte aktenkundig geworden sein. Unklar ist, warum er sich am Freitag in Köln aufhielt.
Nach bisherigen Erkenntnissen ging es bei der Auseinandersetzung um einen Pizza-Belag. Laut Polizei hatte der Tatverdächtige gegen 15.20 Uhr eine Pizza bestellt, mit der er aber nicht zufrieden war. Er soll dann ein lautstarkes Wortgefecht angezettelt haben. Nur wenige Sekunden später sei die Situation eskaliert. Der Kunde habe ein Messer gezückt und auf den Angestellten eingestochen, hieß es. Marco H. erlitt schwerste Verletzungen im Brustbereich und sackte sofort zusammen. Ein alarmierter Notarzt konnte ihn nicht mehr retten.
Die Filiale ist am Wochenende geschlossen, die großen Glasscheiben sind blickdicht abgeklebt. Über die „Pizza Hut“-Leuchtschrift hat jemand Plastiktüten gezogen, das Licht ist ausgeschaltet. Hunderte Menschen bleiben an diesen Tagen vor dem Tatort stehen, am Sonntag ist die Zahl der Beileidsbekundungen und Blumen noch einmal deutlich gestiegen. Auch die zehnjährige Sarah hat ein Bild für ihren Patenonkel gemalt. Darauf ist unter anderem ein BMW zu sehen – Marco sei großer Fan der bayerischen Automarke gewesen. Marco H. wurde nur 27 Jahre alt, er hinterlässt eine Frau und eine vierjährige Tochter.
Wie der „Express“ erfuhr, ist seine Witwe die Schwester von Lotis K., die 2007 spurlos verschwand. Der spektakuläre Fall beschäftigt seit Jahren als sogenannter „Mord ohne Leiche“ die Justiz. Ehemann Siegfried K., dessen Zwillingsschwester Irmgard K. und deren Ehemann Wilfried K. werden beschuldigt, die damals 33-Jährige getötet zu haben. Ihr Leichnam ist nie gefunden worden. Das Trio wurde vor dem Kölner Landgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Verteidigung der Angeklagten legte Revision gegen das Urteil ein, der Bundesgerichtshof wird in wenigen Tagen in der Sache entscheiden.
„Brennende Kerzen sind in diesem Bereich aus Sicherheitsgründen verboten“, heißt es auf Aushängen der Deutschen Bahn an den Glastüren der „Pizza Hut“-Filiale. Nachdem am Samstag immer wieder Sicherheitspersonal des Bahnhofs die Kerzen ausgepustet hat, bleiben sie am Sonntag unangetastet. „You'll never walk alone“ hat jemand auf Papier geschrieben, „Du wirst niemals allein gehen.“
Am Breslauer Platz steht ein junger Mann neben einem Aschenbecher und dreht aus spärlichen Tabakresten eine Kippe. „Ich kann die ganze Zeit an nichts anderes denken als an diese schlimme Tat“, sagt er und leckt über das Blättchen. Er ist obdachlos und kannte Marco H. flüchtig vom Bahnhof. Er sei einer „von den Guten“ gewesen, sagt der Mann und zieht an seiner Zigarette. „Er hat uns immer mit kostenloser Pizza versorgt. Und jetzt ist er tot.“