Film-DokumentationenDas pralle Leben am Eigelstein
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Innenstadt – Zwischen Hauptbahnhof und Ebertplatz liegt es, das vielleicht urtümlichste Veedel der Stadt. Denn seit jeher ist das Eigelsteinviertel ein Biotop für Alteingesessene und gleichzeitig ein Ankunftsort für Neuankömmlinge – in den 1960er Jahren zunächst von italienischen, später von türkischen Zuwanderern für sich entdeckt. Bis heute finden sich zudem in den Straßen rund um den Eigelstein, ein wenig abgekoppelt von der Entwicklung in der übrigen City, auffallend viele Zeugnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit – wie baufällige Häuser und eingeschossige Einfachst-Bauten. „Einschläge und Ruinen sind im Eigelsteinviertel häufiger als in anderen Stadtteilen zu finden“, bilanziert ein Dokumentarfilm des WDR aus den 1990er Jahren treffend.
Der Verein „Köln im Film“ hat Dokumentationen verschiedener Auftraggeber recherchiert und zusammengetragen, die sich dem Eigelstein-Veedel widmen. Mit einer Auswahl war „Köln im Film“ nun anlässlich der Ausstellung „Drunter und drüber: Der Eigelstein“ im Kölnischen Stadtmuseum zu Gast. Rund 200 Zuschauer drängten sich um die Leinwand im Ausstellungssaal des Erdgeschosses. Dort zeigten die Mitstreiter drei beispielhafte Filme, die sich mit dem Veedel und vor allem seinen Bewohnern befassen. „Wir haben uns gefragt: Wo gehen die Klischees in die Wirklichkeit über – und was macht den skurrilen Charme des Viertels aus? Was ist es, was das Eigelstein-Veedel so besonders macht?“ beschrieb Irene Schoor vom Vorstand des 2013 gegründeten Vereins, der sich mit der Kölner Filmgeschichte beschäftigt und dabei schon mehr als 6000 Filmbeiträge kategorisiert hat, die Aufgabenstellung. Das Fazit war einhellig. „Es sind die Menschen, die hier die Atmosphäre prägen.“
Sittengemälde und Geisteshaltungen
Zurück in die Nachkriegszeit reisen die Zuschauer in einer Kurzdoku von 1963 – die zugleich einen Einblick in die damaligen Gesellschaftsverhältnisse, Sittengemälde und Geisteshaltungen vermittelt. Untermalt von Big-Band-Orchestermusik kommentiert der Sprecher des Beitrags die im Veedel wohnenden, aus Italien kommenden Neu-Kölner auf recht herablassende Weise – stellenweise zum Fremdschämen anregend. „Nicht alle der Söhne Italiens machen den Eindruck, als würden sie einer geregelten Beschäftigung nachgehen. Oft mag man’s auch gar nicht wissen“, heißt es etwa. Ein Journalist spricht immerhin selbst mit einer Migranten-Gruppe; schnell meint man jedoch, sich in einer Polizeivernehmung zu befinden: So fragt er sie etwa nach ihren Wohn- und Partnerschaftsverhältnissen, Autobesitz, Beruf und Verdienst aus – während die italienischen Interviewten die Fragen höflich weglächeln.
Mit großer Vorsicht nähert sich der Film auch dem damaligen Rotlichtmilieu des Viertels, rund um die verwinkelte Seitenstraße Im Stavenhof. „Die seriösen Berufstätigen, wie etwa Sekretärinnen, beeilen sich, durch die Straße zu kommen – und wer kann, meidet sie.“ Und man sieht im Kamerastreif gesetzte Herren, die sich auffällig-unauffällig an Hauseingängen herumdrücken – und sich hin und wieder durch die Türen schleichen.
Deutlich besser machte es Claus Bienfait, der unter dem Titel „Pralles Leben in der Weidenpasse“ im Jahr 1999 für den WDR die Menschen der Meile zwischen Eigelstein und Hansaring porträtierte. Eingerahmt von den Klängen des Höhner-Hits „Levve un levve losse“ geht er ganz nah an die Veedelsbewohner mit ihrer Geradlinigkeit und Originalität heran. Etwa der Friseurmeister, der mit einer Kundin beim Klaaf die Verdrängung alteingesessener Geschäfte durch Filialisten beklagt, den Bestatter („Der Mercedes unter den modernen Särgen ist der Nussbaum hier“, klärt er auf) oder die Verkäuferin in einem türkischen Brautmode-Laden. „Die Kundinnen kommen von weit her, so ’ne Anprobe kann leicht mal einen ganzen Vormittag dauern“, erzählt sie. Mit einer städtischen Sanierungsbeauftragten, die die Umwandlung des Veedels steuert und viel im Kontakt zu den Leuten ist, geht er auf Tour. Weitere Stationen sind ein Geigenbauer in dritter Generation, der im Hinterhof seine Instrumente testet, eine auf der Straße tanzende Transe, die für eine anlaufende Travestie-Show wirbt – sowie eine Kontaktbar mit pragmatischer Chefin. „Na klar können hier auch Damen einfach so rein“, meint sie. „Wenn eine Frau reinkommt, kann ich sie ja nicht gut fragen: Gehen Sie auf den Strich?“