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Ehemaliges PolizeigefängnisKölner Historiker entdeckt NS-Vergangenheit seines Wohnhauses am Bonner Wall

Lesezeit 4 Minuten
Wolfgang Uellenberg van Dawen am Mauerrest des Forts III in der Tiefgarage seines Wohnblocks

Wolfgang Uellenberg van Dawen am Mauerrest des Forts III in der Tiefgarage seines Wohnblocks.

Die Mauerreste in der Tiefgarage des Wohnblocks waren Teil des Forts III, das den Nationalsozialisten später als Polizeigefängnis diente.

Als sich Wolfgang Uellenberg van Dawen entschied, eine Eigentumswohnung am Bonner Wall zu erwerben, ahnte er nicht, wie spannend der Wohnblock für ihn als Historiker noch werden würde. Der 73-Jährige geht hinunter in die Tiefgarage. Dort, am Ende der Zufahrt, türmen sich Ziegel zu einem mächtigen, etwa zwei Meter hohen Mauerrest. Oben schaut ein verrostetes Metallteil heraus. Näheres dazu ist nicht zu erfahren. Aber Wolfgang Uellenberg van Dawen weiß mittlerweile, was sich einst hinter dieser Mauer abspielte. Deshalb sei dieses Relikt für ihn auch ein bisschen bedrückend.

Vor einigen Jahren kauften sich der Gewerkschafter im Ruhestand und seine Frau die Südstadt-Wohnung als Alterssitz. Sie befindet sich im vorderen von zwei neuen Gebäuderiegeln am Bonner Wall 118 A-D. 2017 wurden die insgesamt 32 Wohneinheiten fertig – einige Monate später als geplant. Denn unter der Halle, die für das Neubauprojekt abgebrochen wurde, tauchten unerwartet die Grundmauern des Forts III auf, einem Bollwerk, das 1847 im Zuge des Ausbaus des inneren preußischen Festungsgürtels fertig und mehr als 100 Jahre später abgebrochen wurde.

Nationalsozialisten nutzten das Gebäude als Polizeigefängnis

Wolfgang Uellenberg van Dawen wusste von dieser Vorgeschichte nichts, als er die Wohnung kaufte, arbeitete sich aber ins Thema ein. So erfuhr er, dass es in Fort III durchaus finstere Zeiten gab: Die Nationalsozialisten nutzten die Gemäuer nach ihrer Machtübernahme 1933 vorübergehend als Polizeigefängnis, in dem sie vor allem sozialdemokratische, kommunistische oder in der Gewerkschaft aktive Regimegegner einsperrten und drangsalierten. Wie viele es genau waren, sei ihm nicht bekannt. Aber wer hier einsaß, sei in der Regel in den frühen Konzentrationslagern Esterwegen, Börgermoor oder Oranienburg gelandet.

Fort III in den 1920er bzw. 1930er Jahren

Das Fort III in den 1920er und 1930er Jahren.

Auch der Kommunist Jakob Zorn habe zu den Widerständigen gehört, die im Fort III gefoltert worden seien, weiß Uellenberg van Dawen aus einem Dokumentationsfilm. Für den promovierten Geschichtswissenschaftler, der von 2001 bis 2008 Kölner DGB-Vorsitzender und danach bis zum Ruhestand im Verdi-Bundesvorstand tätig war, gab es nach seinen Recherchen keinen Zweifel: „Jetzt wohnst du also in einem Haus, wo nach 1933 Leute von den Nazis gequält worden sind.“

Zeitungen berichteten zynisch über die Gefangenen

In zynischen Zeitungsberichten aus dieser Zeit, ausgestellt im NS-Dokumentationszentrum, ist davon freilich keine Rede: „Hier ist alles schön hergerichtet, behutsame Arbeit durch Schutzhaftgefangene und Strafverbüßende“, heißt es dort. Die Zellen hätten nicht viel „Schreckhaftes“: „Immerhin ist es kein Spaß, Tag für Tag auf den ersehnten Schub ins Konzentrationslager zu warten, die dreihundert von hier aus schon erlebt haben.“ Am 27. Juli 1933 berichtet der „Westdeutsche Beobachter“, dass 50 politisch Gefangene vom Bonner Wall zum Deutzer Messegelände transportiert worden seien.

Von dort ging es per Zug weiter Richtung Osnabrück, wo die Häftlinge in sumpfigem Gelände Entwässerungsarbeiten zu verrichten hatten: „Die Schutzhäftlinge sind, soweit man das von ihnen erfahren konnte, recht froh, daß sie nunmehr nutzbringende Arbeit verrichten dürfen, die ihnen selbstverständlich viel erwünschter ist, als die Untätigkeit in der Zellenhaft“, so der Berichterstatter.

Bei Ausschachtungsarbeiten wurden die Grundmauern wieder sichtbar

Laut dem Verein „Fortis Colonia“ wurde das Fort III zwischen 1843 und 1847 zeitgleich mit den Forts V, VII und IX errichtet. 1860 waren am Bonner Wall 178 Soldaten beherbergt. Ab 1881 verlor die Anlage ihre Funktion als Wehrbau zur Verteidigung der Stadt, da es nicht in die Umwallung der Neustadt einbezogen wurde. Zwischen 1882 und 1885 sei das auch Reduit genannte Kernwerk zum Festungsgefängnis ausgebaut worden, so Alexander Hess, stellvertretender Vereinsvorsitzender. Der Wall des Forts sei abgetragen und der Graben zugeschüttet worden.

Wohnblock am Bonner Wall

Unter dem Wohnblock am Bonner Wall befinden sich Überreste eines Polizeigefängnisses aus der NS-Zeit.

Nach dem Ersten Weltkrieg stand der Bau leer und diente zeitweilig als Polizeigefängnis, bevor er 1933 und 1934 im Dritten Reich erneut Polizeigefängnis war. Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Fort schwere Beschädigungen, nachdem es zuvor vom Flugwachkommando Köln zur Luftüberwachung genutzt worden war. Der Abbruch erfolgte in den 1960er Jahren. Erst bei den Ausschachtungen für die Gebäude am Bonner Wall 118 A-D wurden 2015 die Grundmauern wieder sichtbar. Das Amt für Denkmalpflege habe den Bauherren verpflichtet, durch einen Teil der alten Mauer das Bodendenkmal sichtbar zu machen, so Uellenberg van Dawen. Laut Fortis Colonia handelt es sich um ein Stück Untergeschoss des Kernwerks.

Immer wieder bietet Wolfgang Uellenberg van Dawen historische Führungen durch die Südstadt an. Im Frühjahr lud er auch seine Mitbewohner dazu ein, inklusive Abstecher zum steinernen Relikt in der Tiefgarage. Ein wenig habe er gezögert, gibt er zu. Wie würden die Nachbarn reagieren, wenn sie erfahren, dass sie dort leben, wo früher ein Gefängnis stand? Doch dann sei das Interesse groß gewesen. „Die Reaktion war: Das darf nicht vergessen werden“, sagt Wolfgang Uellenberg van Dawen. Mittlerweile habe der Beirat der Eigentümergemeinschaft einen Text für eine Infotafel beschlossen, die das Denkmal in der Tiefgarage erklären soll.