- Verkehrsdezernentin Andrea Blome hat die Leitung des Kölner Krisenstabs von Oberbürgermeisterin Henriette Reker übernommen.
- Die parteilose 61-Jährige steht der CDU nahe und wird am 24. Juni Kölns erste Stadtdirektorin.
- Im Interview spricht Blome über die aktuelle Corona-Lage, den Impffortschritt in Köln und eine mögliche Ausgangssperre.
Frau Blome, sind Sie zufrieden mit der Corona-Lage in Köln?Nein, das kann ich nicht sein. Seit einem Jahr ergreifen wir Maßnahmen, um die Pandemie zu bekämpfen. Aber seit Monaten verzeichnen wir eine steigende Zahl von Neuinfektionen. Eine Frage, die nicht nur Köln betrifft, überlagert dabei alles: Wir wissen in den meisten Fällen nicht, wo sich die Leute anstecken. Wir wissen nicht, wo die Ursache liegt. Das ist wie beim Feuerlöschen: Den Brandherd kennt man erst nach langer Zeit. Das macht die Pandemiebekämpfung fürchterlich schwer. Wir versuchen alles, haben in Köln mehrfach strengere Regelungen getroffen als das Land und lockern auch nicht von uns aus. Eine Entspannung spüren wir dennoch nicht.
Im Gegenteil, wir hören Dramatisches aus den Kölner Kliniken.
Die Situation in den Krankenhäusern ist nicht nur in Köln dramatisch. Auf den Intensivstationen in der Region liegen viele junge Menschen, von denen sogar ein unter 30-Jähriger verstorben ist.
Ist die Lage auf den Intensivstationen für Sie handlungsleitend?
Ja. Im Krisenstab diskutieren wir in jeder Sitzung die aktuelle Belegung der Intensivbetten. Am Dienstagvormittag habe ich mit dem leitenden Notarzt der Feuerwehr telefoniert, der mir sagte: Frau Blome, es ist so weit, die ersten Krankenwagen stehen vor den Kliniken und die Kranken können nicht aufgenommen werden. Das sind die Bilder, die wir auf keinen Fall sehen wollten. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir nicht ausschließlich auf die Inzidenz blicken dürfen. Das gilt nun mehr denn je. Durch die britische Mutante sind jetzt auch deutlich jüngere Menschen betroffen. Das ist eine andere Situation als zu Beginn der Pandemie.
Zur Person
Andrea Blome ist Leiterin des Corona-Krisenstabs und seit 2016 Dezernentin für Mobilität und Liegenschaften. Die parteilose 61-Jährige steht der CDU nahe und wird am 24. Juni Kölns erste Stadtdirektorin. Bislang haben ausschließlich Männer den wichtigen Posten in der Verwaltung besetzt. Blome ist studierte Architektin und wurde in Bielefeld geboren.
Sehen Sie diesen Fokus auch in der Landes- und Bundespolitik?
Man kann durchaus bezweifeln, dass es denselben Fokus gibt. Da spielen – anders als hier – auch politische Erwägungen eine Rolle. Uns geht es als Stadt um Gefahrenabwehr, das ist für uns handlungsleitend. Bundestags- und Landtagswahl stehen bevor. Das merkt man schon, auch in den Ministerpräsidentenkonferenzen. Vielleicht hätte man Wissenschaftlern und Volkswirten mehr Entscheidungen im Krisenmanagement überlassen sollen. Derzeit habe ich als Bürgerin das Gefühl, dass Dinge oft aus dem Bauch heraus entschieden werden. Ich frage mich ständig, wo die wissenschaftliche Grundlage für Entscheidungen ist. Und es fehlt an Entschlossenheit. Das ist ein Riesenproblem.
Sie fordern mehr Konsequenz, wollen aber gleichzeitig Modellkommune für Öffnungen werden. Wie passt das zusammen?
Unser Modellvorhaben sieht vor, dass wir verschiedene abgegrenzte, in sich geschlossene Bereiche probeweise mit negativen Tests und Kontaktnachverfolgung öffnen möchten, zum Beispiel aus dem Handel, der Kultur, des Sports. Nicht alles auf einmal, wie es in Tübingen mit wenig Erfolg probiert wurde. Das soll wissenschaftlich begleitet werden, es geht dort um Erkenntnisgewinn. Wir wollen endlich die Infektionswege kennenlernen – ein solches Projekt kann dabei helfen.
Ist die Signalwirkung dieser Diskussionen nicht fatal, wenn gleichzeitig kaum noch Platz auf den Intensivstationen ist?
Wir wollen ja nicht sofort öffnen, wir müssen erstmal unbedingt eine Inzidenz von unter 100 erreichen. Für diesen Fall aber müssen wir die Projekte schon heute vorbereiten. Kontaktnachverfolgung und Gesundheitszertifikate müssen ineinandergreifen und an das Gesundheitsamt angebunden sein. Technisch ist das sehr aufwendig, deswegen bereiten wir uns schon heute auf Modellprojekte vor. Bei konstant sinkender Inzidenz werden dadurch mehr Freiheiten möglich sein.
Durch das neue Infektionsschutzgesetz bekommt der Bund wohl bald mehr Kompetenzen. Was halten Sie davon?
Das befürworte ich ausdrücklich, auch die daran geknüpften Ausgangssperren. Wir brauchen mehr Einheitlichkeit und weniger Verwirrung.
Der Nutzen von Ausgangssperren ist wissenschaftlich allerdings umstritten.
Ich weiß um die Kritik von Aerosolforschern. Und: Natürlich wollen wir keinen Überwachungsstaat haben. Es geht im Wesentlichen weiterhin um einen Appell an die Vernunft. Aber die Wirkung von Ausgangssperren wäre nicht bloß symbolisch, sie würde Treffen im Privaten reduzieren. Ich bin überzeugt, dass das wirklich etwas bringen würde. Doch unsere Kliniken zum Beispiel haben auch eine Versorgungsfunktion für das Umland. Es reicht nicht aus, wenn nur wir in Köln strikt durchgreifen. Dass es nun mehr Einheitlichkeit geben soll, ist gut. Angesichts der dramatischen Lage sollten wir im Moment nicht über Öffnungsstrategien fantasieren.
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Die Corona-Fälle verteilen sich sehr ungleich auf die Stadt. Wie wollen Sie gezielt in Hotspots helfen?
Dafür haben wir Expertengruppen eingerichtet. In sozialräumlich schwierigen Bereichen rollen wir immer mehr Testangebote aus. Wenn wir mehr Impfstoff haben, werden wir dort auch gezielt zusätzliche Impfangebote vor Ort schaffen. Menschen in besonders schwierigen Lebensbedingungen müssen wir in dieser Pandemie entgegenkommen.
Warum ist Köln beim Impfen bislang langsamer als das Umland?
Wir sind immer abhängig von den Lieferungen des Landes. Deswegen gibt es überhaupt keinen kommunalen Wettbewerb um das Impftempo. Unser Schwerpunkt war zu Beginn klar in den Pflegeeinrichtungen, dort ist vielleicht etwas Geschwindigkeit verloren gegangen. Aber das eigentliche Problem ist die begrenzte Verfügbarkeit von Impfstoff. Inzwischen bin ich mit 7000 täglichen Impfungen durchaus zufrieden. In der kommenden Woche allerdings kommt wieder weniger Impfstoff. Das ist fatal – doch wir haben darauf keinen Einfluss. Die Informationen des Landes beschränken sich in der Regel auf die kommenden drei, vier Tage. Es fehlt auch an Flexibilität: Am vergangenen Wochenende sind die Leitungen der Kassenärztlichen Vereinigung zusammengebrochen. Uns wurde dann als Stadt untersagt, Termine über ein eigenes Anmeldesystem selbst zu vergeben – obwohl es problemlos möglich gewesen wäre. Dadurch konnten hundert Termine nicht vergeben werden.
Kurios wirkte auch die Entscheidung der Landesregierung, die Schulen nach Ostern zu schließen, obwohl es inzwischen Testkonzepte gibt. Wenige Wochen zuvor wurden die Schulen fast ohne Tests geöffnet. Wann haben Sie von der Schließung erfahren?
Erst nach einer Pressekonferenz vier Tage vor dem Schulstart, auf der wir unser Konzept für zusätzliche Pool-Testungen vorgestellt haben. Die Tests an Kitas zeigen, dass die Pool-Tests funktionieren, wir haben dort in den ersten Tagen bereits elf positive Pools gefunden. Die kurzfristige Kommunikation des Landes ist sehr schwierig, auch finanziell. Die Planungen der KVB für den Schulstart sind erstmal hinfällig, unsere Testkonzepte auch. Wir sind in der Schul-Organisation besser aufgestellt als das Land und bekommen trotzdem keine Möglichkeit, selbst zu agieren. Ich halte das an dieser Stelle für fatal. Ein laufender Schulbetrieb wäre inzwischen vergleichbar sicher und essenziell für die Stadt.
Sie klingen frustriert. Gibt es im Krisenstab inzwischen einen Ermüdungseffekt?
Nein, das ist wirklich erstaunlich. Die Kolleginnen und Kollegen sind weiterhin hochmotiviert und durchhaltefähig. Aber die Stimmung ist gerade sehr speziell, jedem und jeder ist bewusst, dass wir uns an einem sehr, sehr kritischen Punkt befinden.
Wie viel können Sie im Krisenstab überhaupt bewirken, um die Situation zu verbessern?
Wir haben einen Handlungsspielraum und wissen diesen auch zu nutzen, sind sehr entscheidungsfreudig. Wir suchen und finden auch immer neue Möglichkeiten, die Lage zu verbessern. Die Hebel, die wir haben, haben wir fest in der Hand – bei neuen Testzentren, Forschungsprojekten und auch bei eigenen Vorschriften. Ein Beispiel sind Demonstrationsaufzüge, die wir schlicht verbieten. Wir sind da sehr restriktiv – natürlich mit dem Risiko, dass Gerichte einen solchen Beschluss kippen. Das ist nicht passiert, auch deswegen haben wir mit Großdemonstrationen ohne Masken und Abstände bisher relativ wenige Probleme gehabt. Ohne konsequentes Handeln geht es nicht.
Wie ausführlich werden zusätzliche Maßnahmen innerhalb der Stadtverwaltung diskutiert?
Ausführlich. Ein Beispiel ist der Skatepark unter der Südbrücke. Das Ordnungsamt möchte diesen schließen, das Jugendamt sagt: Um Himmels Willen, das können wir den Kindern und Jugendlichen nicht zumuten. Innerhalb der Stadt gibt es viele fruchtbare Diskussionen um die richtige Strategie. Jedes Verweilverbot, das wir verhängen, tut uns weh. Ich fange schon an, mich über schlechtes Wetter zu freuen, weil sich dann keine Ansammlungen bilden – das ist eigentlich unglaublich. Diese Zielkonflikte haben wir seit einem Jahr.
Gibt es angesichts der momentanen Lage auf den Intensivstationen noch Verschärfungen, die die Stadt aus eigener Kraft durchsetzen kann?
Ja. Beispielsweise über das Thema Ausgangsbeschränkungen werden wir am Freitag im Krisenstab zu entscheiden haben.
Lässt sich seriös abschätzen, wann die strengen Schutzmaßnahmen nicht mehr nötig sein werden?
Die Ansage der Kanzlerin für massenhafte Impfangebote bis September nehmen wir sehr ernst. Ich bin optimistisch, dass das funktionieren wird, dass wir die Pandemie Richtung Herbst hinter uns lassen können.