„Alles geht den Bach runter“Kölner Kulturschaffende beklagen Absagen – Wenig Gäste
Köln – Vor einem Jahr stand Kabarettistin Sarah Hakenberg vor der Entscheidung, ob sie in diesem Sommer ihr neues Programm herausbringt. Damals, erzählt sie, waren die Aussichten positiv: „Da hieß es noch im Herbst 2021 wird alles gut, natürlich mache ich da meine Premiere“, so die gebürtige Kölnerin. Diesen Sommer wählte sie dann den optimistischen Titel: „Wieder da!“. Die Stimmung sei vergleichsweise entspannt gewesen: Alle Kulturbetriebe öffneten ihre Türen wieder, endlich war Impfstoff für alle da, man gewann seine Freiheiten zurück. Und nun?
Sarah Hakenberg's Show im Kölner Gloria abgesagt
Die freischaffende Künstlerin musste ihre Show am kommenden Samstag im Gloria Theater absagen: kaum Nachfrage. Die Gäste bleiben immer mehr weg, sind beim Kartenkauf zögerlich. „Wieder da“ klinge jetzt nur noch wie eine Farce, sagt Hakenberg. „Es geht alles den Bach runter. Bei den übrigen Veranstaltungen muss ich dann noch immer erklären, dass ich nicht wusste, dass sich das Virus bei dem Titel angesprochen fühlt“, so die 42-Jährige, die mittlerweile in Ostwestfalen lebt. Und auch bei Veranstaltungen mit 2G oder 2G-Plus sei es schwierig.
„In Bayern hieß es dann: Wir sind eine Gruppe von zehn, aus Solidarität bleiben wir wegen der zwei Ungeimpften alle weg.“ Die Soloselbständigen seien besorgt, bestätigt Claudia Wedell vom Gloria-Theater. Sie klagten darüber, dass sie nicht noch ein weiteres Mal Auftritte verschieben könnten: Viele müssten nun ihre Soforthilfe zurückzahlen.
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Aus Sicht der Kulturbetriebe ist die Situation ähnlich. Sie bangen um die Veranstaltungen in diesem Winter, ihrem eigentlichen Hochgeschäft nach der traditionellen Sommerpause. Die Lage habe sich parallel zur gestiegenen Inzidenz in den vergangenen zwei Wochen noch zugespitzt. Die pandemiebedingte Krise der Kulturschaffenden: Sie ist eben noch längst nicht ausgestanden. „Hier purzeln die Absagen nur so rein“, sagt Wedell.
Geschäftsführer Michael Zscharnack drückt das in Zahlen aus: Die Durchschnittsauslastung liege bei unter 50 Prozent. Einen Partybetrieb gebe es so gut wie gar nicht, größere Konzerte mit internationalen Bands finden ohnehin noch nicht wieder statt. Die Probleme sind vielfältig: Abgesehen von der Nicht-Planbarkeit der Ereignisse, gebe es massive Personalengpässe. Die selbständigen Licht- und Tontechniker seien knapp, der gesamte gastronomische Bereich sei „komplett schwierig“, so Zscharnack.
Die Angst ist da, aber auch die Sehnsucht nach Live-Momenten: Die Veranstalter stellen auch fest, dass die wenigen, die kommen, dafür umso lauter sind. Das seien „die Mutigen, die sich trauen“, sagt Alexandra Franziska Kassen, Leiterin des „Senftöpfchen“ in der Altstadt. „60 klingen dann beim Applaudieren so, als wären es 200. Wenn die erstmal hier sind, ist es toll.“ Kassen vermutet im nur schleppenden Kartenverkauf jedoch auch eine Entwöhnung. Sie habe den Eindruck, viele seien bequem geworden, würden nicht mehr gerne abends in der Kälte losfahren und sich mit Parkplatzsuche herumschlagen.
Kölner Luxor-Chef: „Mist endlich hinter sich lassen“
Von einer Normalität nach Wiedereröffnung war man sowieso weit entfernt, berichtet Luxor-Chef Peter Debüser. Die Konzert-Location an der Luxemburger Straße füllt seinen Terminkalender derzeit dank der Förderung von „Neustart Kultur“, einem Topf der „Initiative Musik“ vom Bund. Durch diese Förderung soll die kulturelle Infrastruktur gestärkt werden, sie hilft den Live-Stätten, in einen regelmäßigen Betrieb zurückzukehren. Da die internationale Konzertbranche weiterhin brachliegt, habe man die Chance genutzt, um unbekannteren Bands eine Bühne zu bieten. „Wir hatten auch zwei bis drei Highlights wie Die Sterne, damit es an Zugkraft gewinnt. Bisher kamen so 50 bis 150 Gäste.“
Mit der Förderung konnte das Luxor Gagen, Produktions- und Werbekosten abdecken. „Die Künstler konnten so mal wieder auftreten“, so Debüser. Die Hoffnung: ab Januar mit vollem Kalender durchzustarten. Doch allein diese Woche habe er schon wieder zwölf Veranstaltungen abgesagt oder verschoben. „Wir hatten zwei Verschiebungen ins Jahr 23. Die Lage ist unsicher, die Veranstalter brauchen Sicherheit, um europaweite Tourneen zu planen.“ Debüser bemüht sich um einen optimistischen Ton, doch „man ist einfach desillusioniert“. „Wir waren eigentlich guter Dinge nach anderthalb Jahren. Es ist schon sehr bitter, dass sich das nun schon ins zweite Jahr zieht“, sagt Debüser, der das Luxor schon seit 1996 betreibt.
„Wollen unseren Job machen“
Einerseits gingen über 10.000 zu Querbeat in die Arena, die Leute wollten den „Mist endlich hinter sich lassen“, andererseits herrschten große Bedenken, so Debüser. Claudia Wedell vom Gloria beschreibt das als Zwickmühle: „Wir wollen unseren Job machen und den Leuten etwas Gutes tun, andererseits fragen wir uns, ob wir das verantworten können?“ Der Blick auf die Zahlen zeige aber auch: In NRW sei man von Zuständen wie in Sachsen und Bayern weit entfernt.
Zudem setze das Theater auf Sicherheit: 2G-plus statt die vom Land NRW verordneten 2G. Sarah Hakenberg bleibt nichts übrig, außer sich an den Zustand der Unsicherheit anzupassen: „Wir kleinen Künstler sind es gewohnt, zu improvisieren und flexibel zu sein“.