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Kölner Pflegestreik spitzt sich zu„Es wird sehr unfair über uns gesprochen“

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Wird der Streik auf dem Rücken der Patienten ausgetragen? Veronika Bergen, Andy Nücklaus und Dominik Stark wehren sich gegen diesen Vorwurf.

Köln – Das Gespräch am Streikposten wird aus heiterem Himmel unterbrochen, als ein Hubschrauber wenige Meter entfernt landet. Mutmaßlich belegt mit einem Intensivpatient, der gerade um sein Leben kämpft. „Das ist doch das beste Beispiel“, ruft Dominik Stark in den Lärm: „Natürlich behandeln wir Notfälle weiterhin.“ Der Intensivpfleger steht mit seinen Kolleginnen und Kollegen unter Druck – aber anders als sonst. Die Pflegenden der sechs Unikliniken in NRW haben ihre Arbeit niedergelegt. Sie fordern einen neuen Tarifvertrag. Sind sie jetzt Schuld, wenn sich Behandlungen gefährlich verzögern, wenn Operationen von Kleinkindern abgesagt werden? Manch hochrangiger Mediziner sieht das so.

Dutzende Pflegerinnen und Pfleger halten am Streikposten die Stellung, um mit der Presse zu sprechen und auf ihre Lage hinzuweisen: Wir sind da, wir sind laut, wir knicken nicht ein. Der moralische Impetus, mit dem immer mehr Ärztinnen und Vorstände dringend darum bitten, den Streik zu unterbrechen, gefällt ihnen überhaupt nicht. „Was die Ärzte öffentlich sagen, ist uns natürlich nicht egal. Teilweise wird sehr unfair über uns gesprochen“, sagt Stark. Andy Nücklaus, Pfleger auf der neurochirurgischen Intensivstation*, sieht das auch so. Der Normalzustand sei das Problem, nicht die Notbesetzung, die in einigen Teilen des Hauses der Normalbesetzung sogar fast entspricht.

Kölner Pflegestreik: Es steht viel auf dem Spiel

„Patienten, die ein neurologisches Defizit entwickeln, brauchen so schnell wie möglich Reha-Maßnahmen, damit sie nach der Behandlung ein normales Leben führen können“, sagt Nücklaus. „Wir müssen die Patienten dafür aktuell aber verlegen, das dauert ein bis zwei Wochen – das ist ein Riesenproblem, das wir mit mehr Personal nicht hätten.“ Über öffentliche Äußerungen seines Chefs war er zuletzt irritiert. Intern kann er darüber sehr offen sprechen, sagt er. Der Ton sei nicht so scharf, wie es medial oft wirke. Und doch hält niemand die Füße still. Der Arbeitskampf wird mit zunehmender Nervosität geführt, von beiden Seiten: Viel steht auf dem Spiel.

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Ein Hubschrauber bringt einen Patienten an die Uniklinik, wenige Meter daneben streiken Pflegende für bessere Arbeitsbedingungen.

Einen Klinikstreik dieser Dimension kannte Deutschland bislang nicht. Dominik Stark ist in den vergangenen Monaten zu einer vielgehörten Stimme geworden. Unermüdlich kämpft er und zählt die Tage, an denen die Arbeit ruht. An diesem Freitag: 38. Und das stimmt natürlich nicht, in wenigen Stunden steht sein nächster Notdienst an. Ohnehin ist der Streik eine anstrengende Zeit für ihn, teilweise verbringt er am Streikposten 15 Stunden pro Tag.

Auch in den Laboren sind die Arbeitsbedingungen schlecht

Ungefragt begründet er jede Forderung mit Studien, betont ständig, dass der geforderte neue Tarifvertrag auf Erkenntnissen der Fachgesellschaften beruht. Es geht hier höchstens am Rande um bessere Bezahlung, vor allem um Personaluntergrenzen und einen fairen Ausgleich für Überlastungssituationen. Eine Umfrage habe ergeben, dass von den ehemaligen Pflegenden rund 58 Prozent bereit wären, zurückzukommen, wenn die Bedingungen stimmen. Seine Zahlen hat er parat. Im Schnitt, erklärt er, bleibe man als Pflegerin oder Pfleger sieben Jahre in der Pflege, mit Ausbildung. „Dann bin ich ja nächstes Jahr weg“, antwortet Nücklaus und lacht. Nichts an diesem Satz meint er ernst, denn trotz allem: Seinen Beruf hat er immer mehr lieben gelernt. Im vergangenen Jahr hat er sogar einen Platz für ein Medizin-Studium abgesagt, für eine Fachweiterbildung in der Pflege. In der Hoffnung, dass sich die Arbeitsbedingungen grundlegend ändern.

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Das gilt auch für Bereiche, in denen es keinen Patientenkontakt gibt. Die Labore etwa. Veronika Bergen arbeitet im Uniklinik-Labor, stellt laufend Blutbilder und Patientendaten zur Verfügung, ohne die keine Pflege möglich ist. „Ohne unsere Diagnostik wüssten die Ärzte nicht, wie sie behandeln müssen.“ Ein handwerklicher Fehler von ihr kann Therapien entscheidend fehlleiten. Und die Bedingungen sind nicht besser als bei den Kollegen am Krankenbett. Die Hälfte der aktuellen Azubi-Klasse in ihrer Abteilung hat ihre Ausbildung schon abgebrochen. Viele steigen in jungen Jahren auf Teilzeit um. „Bei uns im Labor fehlt schlicht Personal“, sagt sie. „Wir sind vollkommen unterbesetzt und das macht auf Dauer krank. Ich sehe das bei Kollegen, die aufgehört haben und nicht mehr wiederkommen möchten“, erzählt sie. Die Politik hat sie bislang nicht auf dem Schirm, Pflege ist dort oft nur das, was am Bett passiert.

„Warum hat das so lange gedauert, wenn alles so dringlich ist?“

Ohnehin ist das Krankenhaus ein Ort, mit dem man sich nicht freiwillig im Detail befasst. Sondern erst dann, wenn es notwendig wird. Das macht den Streik nicht unkomplizierter. Umso wichtiger ist für die Pflegenden eine Mobilisierung untereinander. „Jedem ist bewusst, dass das die größte Krankenhausbewegung in Deutschland ist“, sagt Nücklaus. „Viele Menschen deutschlandweit teilen die Not. Das macht schon auch stolz, es ist historisch.“ Im neuem Koalitionsvertrag für NRW müsse die Finanzierung für den Tarifvertrag zwingend verankert sein, fordert er.

Noch ein paar Meter weiter, in den oberen Etagen des unscheinbaren Vorstandsgebäudes der Uniklinik wird verhandelt – für alle sechs Unikliniken des Landes. Seit dem 20. Mai. Sagen die einen, der Internist Michael Hallek zum Beispiel, der zuletzt forderte, den Streik während der Verhandlungen auszusetzen, weil er Tumorpatienten sonst ernsthaft gefährden könnte. Stark sieht das anders: Für ihn haben die Verhandlungen erst am 9. Juni begonnen, weil es vorher kein einziges konkretes Angebot der Arbeitgeber gegeben habe. „Warum hat das so lange gedauert, wenn alles so dringlich ist?“, fragt er: „Wir sind jeden Tag verhandlungsbereit.“

*in einer früheren Textversion hieß es, Andy Nücklaus sei Intensivpfleger auf einer neurologischen Intensivstation. Diese Information ist falsch und inzwischen korrigiert.