Seit zwölf Jahren gesperrte Aula, fehlender Brandschutz: Martin Süsterhenn sieht bei der Bildung in Köln eine Zweiklassengesellschaft.
Lernbedingungen„Entwürdigung unserer Kinder“ – Kölner Schulleiter sendet Hilferuf
Für Martin Süsterhenn ist es eine Erfahrung der Ohnmacht. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, was ich tun soll“, sagt der Schulleiter der Katharina-Henoth-Gesamtschule in Höhenberg/Vingst. Weil aber Schweigen nicht sein Weg ist und außerdem bald Weihnachten ist, hat er all seine Verzweiflung zum Jahresende in einen offenen Brief gelegt. Eigentlich ist es mehr ein Hilferuf: Zehn Seiten handgeschriebenen Frust hat er an die Vertreter aller Ratsfraktionen außer der AfD versandt.
Seine Botschaft: Die Stadt als Schulträger lasse die Schule „am ausgestreckten Arm verhungern“. Die Zahl der nicht eingehaltenen Versprechungen sei über die Jahre nun auf zwölf an der Zahl angewachsen. „Wir erleben das inzwischen als Missachtung und Entwürdigung unserer besonderen Kinder und unseres besonderen Engagements“, schreibt Süsterhenn.
Dazu muss man wissen, dass von seinen 1400 Schülerinnen und Schülern mehr als 85 Prozent einen Migrationshintergrund haben. 80 Prozent sprechen zuhause kein Deutsch. Es ist die einzige Kölner Gesamtschule mit der höchsten Sozialindexstufe 9 – über die Hälfte der Familien sind auf soziale Unterstützung angewiesen. Dass gerade sie, die doch besonders in den Blick genommen werden müssten, immer wieder hinten angestellt werden, das empört ihn. Bei diesen „unzumutbaren Lernbedingungen“ wird Bildungsgerechtigkeit für ihn zum hohlen Schlagwort. Zumal es eben keine Elternschaft gebe, die öffentlich aufbegehrt.
Die Aula der Kölner Schule ist seit zwölf Jahren gesperrt
Was der Schulleiter auflistet, klingt wie eine Liste des Versagens. Er beschreibt, wie seine Schülerinnen und Schüler lernen müssen: Der uralte Parkettboden in den Klassen hebt sich in Wellenbergen, die Dielen lösten sich vom Kleber, der gesundheitsgefährdende Gefahrstoffe enthalte. Dass er dann von der Gebäudewirtschaft die Rückmeldung bekomme, er könne die Räume ja gegebenenfalls sperren, das findet er zynisch.
Die wegen eines Asbestfundes im Frühjahr von den Handwerkern mittendrin abgebrochene Elektrosanierung wurde nicht wieder aufgenommen. Die Kinder lernen in einer Baustelle: Die Decken in den Fluren sind offen, Kabel hängen aus Decken und Wänden. Seit Jahren sollen die nach den aktuellen Vorschriften inzwischen vorgeschriebenen Brandschutztüren eingebaut werden, wie der Schulleiter in seinem Brief erläutert. Passiert sei nichts. Das bedeute in der Konsequenz seit Jahren unzureichender Brandschutz. Mit Blick auf die Gebäudebedingungen müsse er eigentlich „täglich abwägen, ob ich guten Gewissens die Schule überhaupt öffnen kann“.
Der zugesagte und aus Kapazitätsgründen notwendige Umbau der Mensa am Zweitstandort Nürnberger Straße wurde wegen festgestellter Asbestbelastung auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Seit zwölf Jahren ist die Aula der Schule wegen Baumängeln gesperrt. „Absurd-kafkaesk“ nennt Süsterhenn diese Geschichte: Fünf verschiedene Ansprechpartner habe er in seiner Zeit als Schulleiter durch, etliche Konzepte zu Sanierungen bis zum Versprechen eines Neubaus.
Seit letzten Sommer sollte der zwischenzeitlich geplante Neubau der Aula eigentlich schon nutzungsbereit fertig sein. Getan hat sich noch nichts. Aktuell sei der fest zugesagte Baubeginn bereits zum dritten Mal verschoben worden, berichtet der Schulleiter in seinem Brief. Die letzte Zusage war, dass es „wieder ganz sicher im Oktober losgehen sollte“. Jetzt gehe wohl doch wieder ein neues Jahr ins Land.
Für Abschlussfeiern nutzen sie die Kirche St. Theodor von Pfarrer Meurer, der der Schule Asyl gewährt. Oder man macht gleich mehrere Abschiedsveranstaltungen in kleineren Gruppen nacheinander in der Mensa. Auf Nachfrage erklärte die Stadt, dass der Baubeginn für die Aula nun im 1. Quartal 2025 erfolgen solle. Die Fertigstellung sei bis Ende kommenden Jahres vorgesehen. Als Grund für die jahrelange Verzögerung nannte sie Vergabeschwierigkeiten – auch weil das Projekt zunächst in Leichtbauweise geplant war.
Zweiklassengesellschaft beim Schulbau in Köln
Schulbau in Köln, das wirkt wie eine Zweiklassengesellschaft. Während derzeit mit General- und Totalunternehmern neue Schulen mit innovativen Raumkonzepten in Rekordzeit fertiggestellt werden, fällt andernorts der in die Jahre gekommene Gebäudebestand hinten runter. Vor allem, wenn es um Reparaturen geht, für die die personell unterbesetzte städtische Gebäudewirtschaft zuständig ist. Und die Schulen, bei denen das am ehesten passiert, sind eben nach Beobachtung von Schulleiter Süsterhenn die Schulen im Rechtsrheinischen oder im Stadtbezirk Chorweiler.
Von den 20 Kölner Schulen, die vom NRW-Schulministerium in der höchsten Sozialindex-Stufe 9 eingruppiert wurden, liegen 17 im rechtsrheinischen Köln und drei in Chorweiler. Der Sozialindex berücksichtigt Kriterien wie der Anteil der Kinder, die in Armut leben oder auch den Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Schulentwicklung in Köln dies nicht zu berücksichtigen scheint. Wir fühlen uns durch diese tatsächliche Entwicklung benachteiligt, missachtet und hintangesetzt.“
Er selbst müsse sich nun Rechenschaft darüber ablegen, ob und wie er das noch verantworten solle oder könne. „Es wird immer schwieriger, Mut zu fassen und Mut weiterzugeben“, schließt Süsterhenn seinen Brief. Ihm bleibe nur der Weg, „Beistand herbeizupredigen“. In diesem Sinne forderte er die Ratsvertretreterinnen und -vertreter zu Weihnachten auf, sich in besonderer Weise um besondere Kinder zu kümmern.