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Serie „Schule in Not“Interview mit der Schulministerin – „Köln ist mein Sorgenkind“

Lesezeit 7 Minuten

Ortstermin am Heinrich-Heine-Gymnasium: Die Kunstobjekte standen schon, als die NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer hier 1985 Abitur machte.

KölnMarode Gebäude, zu volle Schulen, zu wenig Personal – was sagt der Zustand vieler Schulen über den Wert aus, den Staat und Gesellschaft dem Thema Bildung beimessen?

In den Schulen kann man viele Probleme in unserem Land ablesen. Wenn die Toiletten von den Schülerinnen und Schülern nicht mehr aufgesucht werden, vor Jahren provisorische Container aufgestellt wurden, in denen mancher Schuljahrgang dann aber nicht nur die Einschulung sondern auch den Abschluss erleben musste oder der Overheadprojektor das digitale Highlight der Klasse ist, dann stimmt etwas nicht mit der Wertschätzung für die Bildung. Aber die Schulen sind auch ein Symbol für den Kompetenzwirrwarr in Deutschland. Der Bund könnte unterstützen, darf es aber nicht, das Land ist für die Struktur des Unterrichts, das Personal und die Inhalte zuständig, aber die Kommunen für die Gebäude und die Ausstattung. Das versteht keiner. Die Forderung nach bester Bildung ist somit mehr als gerechtfertigt.

Wer ist verantwortlich für die Missstände?

Es wäre zu einfach, den Kommunen für alles die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ja, sie sind für die Ausstattung der Schulen zuständig. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass das Land und der Bund in den letzten Jahrzehnten immer wieder Aufgaben auf die Kommunen übertragen haben, ohne sie mit den nötigen finanziellen Mitteln auszustatten. Es musste gespart werden und das merkt man heute auch an zu vielen Schulen im Land. Aber manche Probleme sind auch hausgemacht. Als ich ins Amt kam, habe ich 2139 Lehrerstellen vorgefunden, die wir nicht besetzen konnten. Hier hätte die Vorgängerregierung viel früher aktiv werden müssen.

Sie haben lange Zeit – sowohl auf kommunaler wie auf Landesebene, aber auch als Mutter – die Schulpolitik kritisiert. Jetzt sind Sie selbst in der Verantwortung. Was können Sie tun, damit sich in Köln sehr schnell etwas verbessert?

Ich bin zwar mit meinem ganzen Herzen Kölnerin, aber ich bin für rund 6000 Schulen in ganz NRW also nicht nur für eine Region oder eine Stadt verantwortlich. Köln ist leider im Schulbereich eines meiner Sorgenkinder. Auch deshalb habe ich mich bereits vor einigen Wochen mit der Oberbürgermeisterin getroffen und finde es gut, dass Frau Reker die Augen nicht vor den Problemen verschließt, sondern sie angeht. Ich unterstütze gerne, wo immer ich kann. Als eine der ersten Maßnahmen als Ministerin habe ich zum Beispiel zur Bekämpfung des Lehrermangels die Möglichkeit geschaffen, dass auch Oberstufenlehrer für zwei Jahre an Grundschulen eingesetzt werden können. Davon kann auch Köln profitieren, wenn die Grundschulen diese Stellen für diese Maßnahme öffnen.

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Wenn die Stadt mit Bevölkerungswachstum Schritt halten will, muss sie schnell und viel neu bauen. Nun kommt die Rückkehr zu G9 an den Gymnasien dazu. Wie soll sie das alles aus eigener Kraft schaffen?

Richtig ist, dass wir in den kommenden Jahren mehr Raumbedarf haben werden und die Kommunen bauen müssen. Bei der Rückkehr zu G9 brauchen wir neue Räume für die Schülerinnen und Schüler, die dann ein Jahr länger an den Schulen bleiben: aber erst im Schuljahr 2023/2024. Bis dahin gibt es genug Zeit für die Planung und den Bau. Aber die Städte müssen sich gleichwohl ran halten, denn bis neue Gebäude wirklich stehen, braucht es erfahrungsgemäß mehrere Jahre. Über die Kosten, die durch die Umstellung auf G9 entstehen, werden wir in den nächsten Monaten mit den kommunalen Spitzenverbänden intensiv verhandeln. Klar ist, dass das neunjährige Gymnasium der Wunsch der allermeisten Eltern, Lehrer und Schüler ist, und die neue Landesregierung das jetzt umsetzen wird. In der Folge müssen das Land und die Kommunen dann aber auch beim Schulbau eine Lösung finden. Denn es kann nicht sein, dass wir bei der absehbaren Vorlaufzeit dann am Ende Schwierigkeiten mangels fehlender Schulräume bekommen.

Um ein gutes Schulangebot für die Großstadt der Zukunft gestalten zu können, müsste Köln mehr Freiheiten bekommen. Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von Bestimmungen, die die Handlungsmöglichkeiten der Stadt einschränken. Können Sie das ändern?

Wir wollen den Schulen mehr finanzielle, organisatorische und pädagogische Freiheiten geben, denn vor Ort werden meist die besten Lösungen gefunden. Aber wir werden auch bei mehr Schulfreiheit nicht jede Bestimmung im Schulgesetz außer Kraft setzen. Eine Umwandlung einer Schule beispielsweise von einer Realschule in eine Gesamtschule ist zu Recht juristisch nicht so einfach möglich, weil es mehr als der Tausch des Eingangsschilds neben der Tür ist. Schulformen unterscheiden sich, daher kann nicht einfach gewechselt werden. Andere Schulformen benötigen andere personelle Ressourcen und Lehrkräfte. Auch die inhaltlichen Voraussetzungen sind unterschiedlich.

Die erste Hoffnung auf mehr Flexibilität haben Sie bereits enttäuscht. Die Stadt wollte auf Wunsch der Schule und der örtlichen Politik die Sport-Realschule in Sülz in eine dreigliedrige Gesamtschule umwandeln. Warum haben Sie diese Traumvorlage nicht verwandelt und gezeigt, dass sie es anders machen als ihre Vorgängerin?

Die Rechtslage ist in diesem Fall leider eindeutig. Gesamtschulen müssen nach dem Schulgesetz vierzügig sein, damit sie eine eigene Oberstufe einrichten können. Ausnahmen sind nicht vorgesehen, daher konnte gar nicht anders entschieden werden. Selbstverständlich wird die Bezirksregierung die Stadt weiter bei der Schulentwicklung begleiten und bei der Suche nach alternativen Lösungen beraten, die es ja gibt.

Der Direktor des Heinrich-Heine-Gymnasiums, Martin Luhnen, schenkt der ehemaligen Schülerin Porträts aus ihrer Abizeit.

Wenn die Zahl der Schüler wächst, muss es auch mehr Lehrer geben. Schon jetzt wird der Mangel verwaltet, obwohl Sie doch eigentlich versprochen hatte, etwas gegen den Unterrichtsausfall zu tun.

Und das werde ich auch tun, da können Sie sicher sein. Richtig ist, dass ich den akuten Mangel, den ich beim Amtsantritt vorgefunden habe, nun beseitigen muss. Das wird nicht leicht, aber bereits in den ersten Wochen haben wir schnell Maßnahmen ergriffen. Neben dem Einsatz von Oberstufenlehrern an Grundschulen, setze ich auch weiter auf Seiteneinsteiger. Und im nächsten Jahr starten wir eine breit angelegte Lehrerwerbekampagne. Daneben müssen wir den Unterrichtsausfall aber erst einmal schulscharf und digital erfassen. Das werden wir im nächsten Schuljahr erreichen, aber schon jetzt haben wir in einem Zwischenschritt das „Rollierende Verfahren“ gestartet, das auf jeden Fall besser ist, als die Situation in den letzten Jahren. Liegen die Ergebnisse dieser Erfassung vor, können wir auch gezielt da nachsteuern, an welchen Schulen welcher Bedarf am größten ist.

Der alten Landesregierung ist vorgeworfen worden, dass sie nicht auf die Bedürfnisse der wachsenden Städte eingegangen ist, weil die Lobby der Ruhrgebietsstädte zu stark war. Nach dem Regierungswechsel bekommen wir es nun offensichtlich mit einer Lobby der ländlichen Region zu tun. Wird Köln wieder das Nachsehen haben?

Als Kölnerin werde ich am Kabinettstisch natürlich immer die Anwältin der Domstadt sein. Aber ich halte überhaupt nichts von diesen künstlichen Kategorien, Abgrenzungen und Vorurteilen. Wer Regionen gegeneinander auszuspielen versucht, der wäre in einer Landesregierung von und für ganz Nordrhein-Westfalen falsch. Wir wollen sowohl die Städte als auch die ländlichen Regionen unterstützen und immer ein offenes Ohr für die Probleme vor Ort haben, egal ob in Köln, Düsseldorf und Aachen oder in Vlotho und Uedem.

Sie fordern mehr Engagement des Bundes für die Schulen. Wird eine Ende des Kooperationsverbots und ein Investitionsprogramm, das den Namen auch verdient, Teil der Vereinbarung einer möglichen Jamaika-Koalition in Berlin?

Bisher hat es in Berlin meiner Kenntnis nach noch keine Sondierungsgespräche gegeben und ich befürchte, dass sich zuerst einmal CDU und CSU finden müssen, bevor sie mit FDP und Grünen verhandeln können. Sollte die neue Bundesregierung beim Kooperationsverbot Anregungen brauchen, dann helfen wir aus NRW gerne. Für uns ist beste Bildung eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung, woran sich auch der Bund beteiligen muss. Ohne den Bund können Länder und Kommunen zum Beispiel die Jahrhundertaufgabe Digitalisierung nicht erfolgreich gestalten.

Das Gespräch führte Helmut Frangenberg

Zur Person

Yvonne Gebauer ist seit 2012 Mitglied des Landtags und seit rund 100 Tagen Ministerin für Schule und Bildung in der neuen NRW-Landesregierung, die CDU und FDP stellen. Vor ihrer Tätigkeit als Berufspolitikerin war die 51-Jährige 8 Jahre Mitglied des Stadtrats und dort unter anderem bildungspolitische Sprecherin der FDP, in die sie bereits als 16-Jährige eingetreten ist.

Nach ihrem Abitur am Heinrich-Heine-Gymnasium in Ostheim machte sie eine Ausbildung als Rechtsanwaltsgehilfin, arbeitete später für einen Bundestagsabgeordneten und als Kauffrau. Die Mutter eines Sohnes ist die erste Bildungsministerin in der NRW-Geschichte ohne Hochschulabschluss. Ihr verstorbener Vater Wolfgang Leirich war von 1975 bis 1987 Schuldezernent in der Kölner Verwaltungsspitze.

Wir brauchen Ihre Hilfe: Welche Erfahrungen mit Missständen haben Sie als Eltern, Schüler, Lehrer oder Beteiligte an Kölner Schulen gemacht? Schicken Sie Ihren Erfahrungsbericht – Texte oder Bilder – per Mail an ksta-koeln@dumont.de.