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Drei Monate nach BekanntwerdenWie die Kölner Stadtwerke-Affäre die Stadt gelähmt hat

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Kölner Dom

Köln – Klare Ansage des frisch gewählten Chefs der SPD-Fraktion im Stadtrat: „Ich will keine Aufsichtsratsposten häufen und zum undurchschaubaren Strippenzieher werden“, sagte Martin Börschel, als er im Mai 2002 den Spitzenjob in Kölns von Affären gebeutelter SPD antrat. 29 Jahre war er damals alt, das zweite Staatsexamen hatte er gerade geschafft.

Ein junger Hoffnungsträger, der zusammen mit dem noch jüngeren Parteichef Jochen Ott die SPD runderneuerte. Ein politisches Großtalent, das taktisch und rhetorisch seine Gegenspieler schnell in den Schatten stellte. Auch im Düsseldorfer Landtag machte der inzwischen zum Berufspolitiker gewordene Börschel ab 2005 eine gute Figur. Das ist Vergangenheit.

Ein Einschlag in die politische Landschaft

Dass er tief gefallen ist, merkt man ihm nicht an, wenn man ihn trifft. Wie gewohnt analysiert er kühl und gefasst die Lage. Die allerdings ist alles andere als komfortabel zur Zeit. Denn die Hinterzimmer-Absprache mit den Spitzen von CDU und Grünen, die Börschel vor knapp drei Monaten auf einen hoch dotierten Geschäftsführer-Posten im Stadtwerke-Konzern befördern sollte, ist wie eine Bombe in die politische Landschaft der Stadt eingeschlagen.

Eine Bombe, deren Wirkung alle Beteiligten sträflich unterschätzt haben. Eine Bombe, die Börschels steile und bis jetzt glanzvolle Karriere zumindest unterbrochen hat. Vor allem aber: eine Bombe, die seit einem Vierteljahr das politische Köln, ja die gesamte Entwicklung der Stadt weitgehend lähmt.

Nicht nur Börschel ist beschädigt

Denn nicht nur Martin Börschel, sondern auch die anderen Mitwisser an dem höchst konspirativ eingefädelten Deal sehen sich in der Öffentlichkeit wie in ihren jeweiligen Parteien einer Kritik ausgesetzt, die hartnäckig ist, die immer wieder aufflammt, die sich nicht wegschieben lässt. Etwa Bernd Petelkau: Der mächtige Partei- und Fraktionschef der CDU, seit vergangenem Jahr ebenfalls Abgeordneter im Landtag, gehörte wie Börschel dem „Ständigen Ausschuss“ des Aufsichtsrats des Stadtwerke-Konzerns an – das im Kern aus vier Personen bestehende Gremium soll vor allem wichtige Personal-Entscheidungen für den Aufsichtsrat vorbereiten.

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Hier wurde in kleinem Kreis über die pikante Personalie beraten. Neu geschaffen werden sollte nicht weniger als ein völlig neuer Spitzenposten im Stadtwerke-Imperium. Der Konzern, Dachgesellschaft von stadteigenen Unternehmen wie Rhein-Energie, KVB, Netcologne, AWB, HGK oder Köln-Bäder, ist schon deshalb eine Macht, weil er die Stadtkasse verlässlich füllt. Im vergangenen Jahr etwa wurden stolze 44,4 Millionen Euro Überschuss an die Stadt ausgeschüttet. Summen, die Macht und Einfluss mit sich bringen: Wer hier etwas zu sagen hat, hat auch in der Stadt einiges zu sagen. „Börschel wird zum Neben-Bürgermeister“, hatte damals ein hochrangiger Politiker gemutmaßt.

Die Politik macht wütend

Warum Petelkau seinen härtesten Widersacher im Rat auf einen solchen Spitzenposten befördern wollte, bleibt bis heute unklar. Er halte Martin Börschel für geeignet, die strukturelle Verbesserung der Stadtwerke voranzutreiben, begründete Petelkau damals sein Handeln. Ruhm, Ehre und viel Geld für den politischen Gegner? Das stieß auch in der eigenen Partei auf Widerstand – am lautesten artikuliert von Konrad Adenauer, Kanzler-Enkel und Ex-Ratsherr: „Ein Überfall, ein Handstreich, ein Coup aus der Unterwelt“, schimpfte Adenauer. Das alles „ekele ihn an und mache ihn richtig krank“.

So wie er sehen es viele Kölner. Schon beim Blick über die zahlreichen Leserbriefseiten zum Thema bleiben vor allem böse Worte hängen: Selbstbedienungsladen, rechtsfreier Raum, unfassbarer Skandal, abstoßend, Ämterkauf und Korruption, Ränkespiel – die Wut ist groß in der Stadt über ein Schattenreich der Lokalpolitik, in dem anscheinend jede Regel des Anstands gebrochen wird.

Spricht man mit Menschen, die die Stadt lieben, in ihr leben und arbeiten, fällt das Urteil oft noch viel drastischer aus. All das Reaktionen, die nicht wirklich überraschen. Doch wie konnten die Beteiligten an der Affäre überhaupt jemals glauben, dass die Kölner diese offenkundige Mauschelei tolerieren würden? Dachte man wirklich, man müsse lediglich ein, zwei Wochen Gegenwind aushalten, dann wäre die Sache geritzt?

„Ich glaube, dass die Protagonisten vor allem den potenziellen Widerstand ihrer politischen Widersacher im Blick hatten“, sagt Stephan Grünewald, Psychologe und intimer Kenner der Stadt und ihrer Merkwürdigkeiten. „Als dieser nach vielen Hinterzimmer-Vereinbarungen gebrochen war und endlich Einigkeit herrschte, wähnte man sich am Ziel.“

„Die Öffentlichkeit hat man weitgehend ausgeblendet“

Was ein fataler Fehler war. „Die Öffentlichkeit als weiteren Mitspieler hat man weitgehend ausgeblendet“, sagt Grünewald. Hier hätten alle Beteiligten wohl auf die Köln-typische „teilnahmslose Wohlgefälligkeit“ gesetzt. „Die Kölner beherrschen die Kunst, sich von einer distanziert beschaulichen Warte die seltsamen Wendungen des Alltags zu Gemüte zu führen.“ Der Vorteil: „Gezielte und nachdrückliche Auseinandersetzungen werden so vermieden.“

„Allerdings hat sich diese teilnahmslose Wohlgefälligkeit der Kölner in den letzten Jahren relativiert“, sagt der Psychologe. Aufgeschreckt durch Debakel wie den Archiv-Einsturz oder das Opern-Desaster, aber auch durch viele mittlere Skandale, sei man heute nicht mehr bereit, teilnahmslos alle Klüngeleien hinzunehmen. „Den Politikern begegnen nicht nur die Kölner skeptischer“, meint Stephan Grünewald: „Das Grundvertrauen ist erschüttert.“

Unbefriedigende Aufarbeitung und viele Verlierer

Aufarbeitung bleibt unbefriedigend

Das Verhalten der beteiligten Spitzenpolitiker in den Wochen nach dem geplatzten Deal war jedenfalls kaum geeignet, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Jörg Frank, der langjährige Fraktionsgeschäftsführer und bis vor kurzem mächtigster Mann der Grünen im Stadtrat, klatschte allen Ernstes zustimmend, als OB Reker die Affäre und die Strippenzieher im Rat geißelte – ein Mann, der zu den zentralen Einfädlern des Deals gehörte. Immerhin hat Frank nicht nur sein Mandat im Aufsichtsrat der Stadtwerke zurückgegeben, sondern wird – auf nachdrückliche Aufforderung der Partei – auch den Geschäftsführer-Job abgeben. Seine Fraktionschefin Kirsten Jahn, ebenfalls eingeweiht in die Affäre, wirbt inzwischen treuherzig für „geschärfte Standards für Transparenz und Kontrolle bei den städtischen Unternehmen“.

Und CDU-Chef Petelkau? Auch er muss sich parteiintern Kritik anhören, auch er hat den Aufsichtsrat verlassen. Doch anders als bei den Grünen gibt es bei der Union nur ein Machtzentrum, er ist unangefochtener Alleinherrscher in Partei und Fraktion – da ist mancher Kritiker schon mit Blick auf die eigene Karriere deutlich zahmer.

Bei der gegenseitigen Diffamierung konnte von Zurückhaltung allerdings keine Rede mehr sein. Nachdem der Börschel-Deal geplatzt war, entspann sich vor allem zwischen der SPD und OB Reker ein verbissen geführter Zweikampf um die Frage, wer wann was gewusst habe. Taktische Fehler und unkluges Verhalten führten schließlich zur überraschenden Niederlage Rekers bei der Wahl zum Aufsichtsratsvorsitz der Stadtwerke in dieser Woche – der jüngste Beweis dafür, dass die Affäre ein Miteinander der beteiligten Politiker unmöglich gemacht hat, möglicherweise dauerhaft. An Rekers Stelle wurde Harald Kraus gewählt, der Betriebsratschef der KVB. Auch er war Beteiligter am Hinterzimmer-Deal, nun steht er an der Spitze des Aufsichtsrats – eine kaum noch nachvollziehbare Entwicklung.

Die Affäre hinterlässt viele Verlierer

Die Affäre hinterlässt also viele Verlierer – in erster Linie die Bürger Kölns. In einer Stadt, in der bezahlbarer Wohnraum immer knapper wird, in der die Stadtteile zunehmend in Arm und Reich zerfallen, in der tausende Schulplätze fehlen und die unter dem Verkehr erstickt, braucht es Parteien, die miteinander reden statt sich zu bekämpfen. Und Politiker, die konstruktive Debatten führen statt in Hinterzimmern zu mauscheln. Doch davon ist Köln weit entfernt.

Und Martin Börschel? Dass er noch am Tag, an dem der Deal bekannt wurde, im Landtag die „Hinterzimmer-Politik“ seiner Partei gegeißelt hatte, hat selbst in Berliner SPD-Kreisen Verwunderung ausgelöst, Ratlosigkeit, bei manchem auch Fassungslosigkeit. War dieser Martin Börschel nicht einmal einer von denen, die Kölns Sozialdemokraten aus der Klüngel-Zeit herausführen wollten? Wie kann einen Menschen der eigene politische Instinkt so im Stich lassen? Wie konnte er glauben, mit seinem Gebaren durchzukommen? Das sind Fragen, die in der Hauptstadt gestellt werden. „Es gibt Dinge, die passieren in Köln, die versteht man auch nur in Köln“, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter. „Wenn überhaupt“, fügt er hinzu. (mit pet)