Die Uniklinik Köln steht im NRW-Ranking auf Platz eins. Ein Interview mit Klinik-Chef Edgar Schömig über KI in der Medizin, den Pflegenotstand und wie sich große Kliniken auf einen massenhaften Anfall an Verletzten vorbereiten müssen.
Kölner Uniklinik„Im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung bräuchten wir eine Pop-up-Intensivstation“
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Foto: Michael Bause"
Professor Edgar Schömig, Vorsitzender der Uniklinik Köln. Er sagt: „An der Uniklinik Köln haben wir keinen Pflegenotstand und keinen Ärztemangel.“
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Herr Prof. Schömig, es sind turbulente Zeiten im Krankenhauswesen mit Reformen und Finanzierungslücken. Lassen Sie uns doch aber erstmal einen Blick auf den medizinischen Fortschritt werfen: Wird es bald möglich sein, dass eine Herz-OP von einem Spezialisten in Köln mit Hilfe eines ferngesteuerten Roboters an einem Patienten im medizinisch weniger gut versorgten Sauerland vorgenommen wird?
In absehbarer Zukunft nicht. Der medizinische Fortschritt schreitet rasant voran, dazu gehören auch Robotik und Künstliche Intelligenz. Das bedeutet aber nicht, dass eine Maschine autonom operiert, das ist nicht so, wie man es aus Science-Fiction-Filmen vielleicht kennt. Wir kommen heute mit sehr kleinen Instrumenten und Kameras in den Körper und können weniger traumatisierend operieren. Aber auch bei einer roboterassistierten Operation kann etwas schief gehen. Ich hätte daher schon Bedenken, mich im Sauerland auf einen OP-Tisch zu legen, wohl wissend, dass der Operateur, der eingreifen könnte, am Kölner Universitätsklinikum sitzt. In der Radiologie sieht das anders aus, da kann der Arzt bei bestimmten Fragestellungen auch in 10.000 Kilometer Entfernung auf den Monitor gucken.
Wird es noch ein Radiologe sein, der diese Bilder anguckt, oder die KI?
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Die KI wird das irgendwann besser können. Aber der Radiologe wird weiterhin gebraucht, beispielsweise um das Blutgerinnsel aus dem Gehirn zu entfernen. Das wird nicht so schnell von Maschinen übernommen und von der KI schon mal gar nicht, denn die hat keine Hände.
Wo steht die Uniklinik Köln im internationalen Wissenschaftswettlauf?
Was die Reputation betrifft stehen wir ganz gut da, aber wir stehen nicht dort, wo wir hinwollen. Im Newsweek-Ranking aller großen Krankenhäuser, das sind rund 2.400 weltweit, stehen wir auf Platz 77. In Deutschland liegen wir auf Rang acht und in NRW auf Platz eins. Darauf sind wir stolz.
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Professor Edgar Schömig sagt zu einem möglichen Kölner Klinikverbund: „Eine kurzfristige Flaute in den Finanzen darf uns den Blick auf die Chancen nicht verstellen.“
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Aber?
Wir könnten mehr aus unseren Möglichkeiten machen. International stehen größere Einrichtungen vor uns. Um neues Wissen zu generieren, braucht man eine sehr hohe Zahl an Patientinnen und Patienten und eine höhere Subspezialisierung der Mitarbeitenden. Die dafür notwendige Größe fehlt uns in Köln. Deshalb ist die Idee eines Kölner Klinikverbunds entstanden.
Ein Zusammenschluss der Kliniken der Stadt Köln und der Uniklinik Köln wird seit Jahren diskutiert, kommt aber nicht voran.
Wir haben die Idee vor geraumer Zeit in die Politik eingebracht, wir haben ein Konzept entwickelt, wir haben mit sehr renommierten Beratungsgesellschaften zusammengearbeitet. Wir sind sehr froh, dass das Land Ende des vergangenen Jahres angekündigt hat, mit der Stadt in Sondierungsgespräche einzutreten. Der Knackpunkt: Man muss sich einig werden, wie man die in der Spitzenmedizin unvermeidlichen Kosten aufteilt.
Finanziell stehen die Kliniken der Stadt Köln schlechter da als die Uniklinik. Sie würden mit einem hochdefizitären Unternehmen fusionieren.
Eine kurzfristige Flaute in den Finanzen darf uns den Blick auf die Chancen nicht verstellen. Mit dem Verbund hätten wir in Köln eine wesentlich verbesserte Medizin für die Bürger. Dazu hätten wir wesentlich verbesserte Forschungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Und es gäbe Synergiepotenziale durch gemeinsame Einrichtungen, wie z.B. Einkauf, Apotheke oder Personalverwaltung.
Die Patienten werden sich stark umstellen müssen. Ihr Krankenhaus um die Ecke wird nicht mehr alle gewohnten Leistungen anbieten.
Haben Sie ein konkretes Beispiel, was man zusammen besser machen könnte?
Die Transplantationsmedizin zum Beispiel setzt Mindestzahlen voraus, die wir allein nicht erreichen, obwohl wir etwa bei Lebertransplantationen in den vergangenen Jahren eine sehr gute Ergebnisqualität erzielt haben. Im Verbund wäre das ein Leichtes und Kölner Patientinnen und Patienten müssten sich nicht, wie jetzt, für eine Lebertransplantation nach Essen oder Aachen begeben.
Der neue Krankenhausplan NRW und auch die Krankenhausreform des Bundes setzen darauf, dass nicht mehr alle alles machen. Ist es so schlimm, wenn Kölner Patienten für eine Lebertransplantation nach Essen fahren müssen?
Wenn man zu klein ist, sollte man entsprechende Operationen nicht anbieten. Aber wenn beispielsweise durch gesetzliche Änderungen die Bereitschaft zur Organspende steigt, brauchen wir mehrere unabhängige Transplantationszentren, um die Zahlen bewältigen zu können. Der Bedarf ist da, viele Menschen sterben, während sie auf ein Spenderorgan warten. Das würden wir gerne verhindern.
Das deutsche Gesundheitssystem verschlingt viel Geld. Bei der Lebenserwartung liegen wir aber unter dem EU-Schnitt. Jetzt reformieren wir das System, um Geld zu sparen. Wird es dadurch auch besser?
Ich denke, dass die Ansätze der Politik richtig sind. Der Schritt von der Bettenplanung hin zu Leistungsgruppen ist gut. Spezialisierung tut Not, um effizienter zu werden. In Dänemark und Portugal zum Beispiel hat man die Geburten auf Kliniken konzentriert, die mit Perinatalzentren (Einrichtungen zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen, Anm. d. Red.) verbunden sind, dadurch ist die Säuglingssterblichkeit stark gesunken. Da wollen wir auch hin.
Sind wir immer noch überversorgt? Dänemark hat nach der Reform noch 21 Kliniken. Da können wir allein in Köln mithalten.
Viel wichtiger als die blanke Anzahl der Kliniken ist, was in welchen Häusern gemacht wird. Durch über 350 Kooperationsverträge mit umliegenden Kliniken ermöglichen wir ein breites Versorgungsangebot für weniger komplexe Eingriffe. Aber ich bin schon der Meinung, dass eine komplexe Speiseröhrenchirurgie oder eine tiefe Mastdarmoperation in Zentren vorgenommen werden sollten, die diese Eingriffe sehr häufig machen. Wenn wir das schaffen, ist schon viel gewonnen.
Ich gehe fest davon aus, dass sich die Qualität insgesamt verbessern wird. Das bedeutet weniger Komplikationen, weniger Todesfälle.
Bei den Reformen spielt auch der Fachkräftemangel eine Rolle. Weniger Kliniken brauchen weniger Personal. Behebt die Reform auch dieses Problem?
An der Uniklinik Köln haben wir keinen Pflegenotstand und keinen Ärztemangel. Wir haben 2022 einen sehr ambitionierten Tarifvertrag „Entlastung“ (u. a. enthält er eine vorgeschriebene Personalstärke pro Patientin/Patient, Anm. d. Red.) mit Verdi geschlossen. In den vergangenen zwei Jahren haben wir etwa 250 Pflegekräfte zusätzlich eingestellt. Wir haben Personalmarketing betrieben, wir versuchen die Mitarbeitenden durch attraktive Entwicklungsmöglichkeiten an uns zu binden, wir haben über 750 Ausbildungsplätze, bis vor ein paar Jahren waren es noch weniger als 500. Das heißt: Im Ergebnis haben wir so gut wie keine Betten wegen Pflegemangels geschlossen.
Was genau bedeuten die Reformen für die Patienten?
Sie werden sich stark umstellen müssen. Ihr Krankenhaus um die Ecke wird nicht mehr alle gewohnten Leistungen anbieten. Wie genau die Planung passt muss man beobachten und unter Umständen sehr frühzeitig nachsteuern. Sonst kann es dazu kommen, dass es Wartelisten gibt und Patientinnen und Patienten nötige Eingriffe nicht mehr zeitnah bekommen.
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An der Uniklinik will man sich künftig noch besser auf Katastrophenfälle vorbereiten.
Copyright: Michael Bause
Das macht nicht unbedingt Hoffnung auf Besserung.
Die Reformen bergen auch ein gewisses Risiko. Zu Beginn muss man sehr darauf achten, dass es keine Verschlechterung gibt. Die Planungen haben sich an Fallzahlen von 2019 orientiert. Es gibt aber Bereiche, in denen sich die Medizin deutlich weiterentwickelt hat, zum Beispiel bei den komplexen, minimalinvasiven Herzklappeneingriffen. Da hat sich ein viel größerer Bedarf ergeben. Da muss man schauen, ob die Planungen noch passen. Wir wollen alle keine englischen Verhältnisse haben, wo man ab einem gewissen Alter keine Chance mehr auf bestimmte Eingriffe hat.
Gibt es trotzdem Vorteile für die Patienten?
Sie können gewiss sein: Wenn ein Eingriff bei ihnen gemacht wird, dann in einem Zentrum, in dem man die notwendige Erfahrung hat. Ich gehe fest davon aus, dass sich die Qualität insgesamt verbessern wird. Das bedeutet weniger Komplikationen, weniger Todesfälle.
Sind Sie an der Uniklinik nach Corona besser auf Katastrophenfälle vorbereitet?
Wir haben im gesamten Gesundheitssystem viel aus der Pandemie gelernt. Wir haben gesehen, dass solch völlig unvorhersehbare Ereignisse passieren können. Wir sollten unser Gesundheitssystem in Deutschland deshalb nicht ausschließlich auf Wirtschaftlichkeit trimmen. Dann hätte es eine geringere Resilienz – und wer weiß, was als nächste Herausforderung auf uns zukommen wird. Sei es eine weitere Pandemie oder ein massenhafter Anfall an Verletzten wegen auch in Europa offensichtlich nicht mehr völlig ausschließbaren kriegerischen Auseinandersetzungen.
Könnten Sie aktuell eine große Menge Verletzter versorgen?
Bei einem plötzlichen Anfall an intensivpflichtigen Patienten käme es zu einer Triagierung (wer besonders gefährdet ist und die größten Überlebenschancen hat, wird zuerst behandelt, Anm. d. Red.). Wenn zusätzliche Patienten auf unsere Beatmungsplätze in den Intensivstationen gelegt würden, müssten wir gleichzeitig die Anzahl an Operationen zurückdrehen. Aber wir operieren natürlich keine Patienten aus Spaß, sondern unsere Patienten haben Krebs oder brauchen neue Herzklappen. Wenn wir diese Patienten erst zwei Wochen später behandeln, haben Sie ein nicht unerhebliches Risiko, in dieser Wartezeit zu sterben.
Das heißt, es bedürfte einer Notfall-Intensivstation im Keller. Um im Ernstfall mehr Leute zu versorgen. Gibt es so etwas?
Nein. Aber wir bräuchten so etwas wie eine Pop-Up-Intensivstation.
Pläne dazu existieren offenbar.
Natürlich. Auch Katastrophenschutz und Feuerwehren machen sich derlei Gedanken, aber die haben nicht das Personal, das im Ernstfall weiß, was medizinisch zu tun ist. Notfallsysteme müssen deshalb an den großen Kliniken eingerichtet werden.
Aber das kostet zusätzliches Geld.
Genau. Aktuell könnten wir keine Notfallpuffer aufbauen. Wir müssten Beatmungsgeräte und Betten bereitstellen, personelle Ressourcen aufbauen, die sich im Moment nicht rechnen, aber in einer Krisensituation Gold wert wären. Das ist eine der wichtigsten Herausforderungen für die Planung des Gesundheitssystems in den kommenden Jahren. Die Maximalversorger, das gilt auch für die Kliniken der Stadt Köln, müssen in die Lage versetzt werden, in Krisensituationen noch besser für die Menschen da sein zu können.