Früher war eine Herzklappe aus Metall, ein Einsetzen war nur nach Öffnung des Brustkorbs möglich. Heute schleusen Ärzte gerade bei älteren Patienten Schweineherzbeutel-Gewebe über den Katheter ein.
Uniklinik KölnWarum Ärzte ohne Vollnarkose am Herzen operieren und welche Vorteile das für Patienten hat
Die stille Revolution zwängt sich durch einen sechs Millimeter breiten Zugang. Ihre Route gibt eine Katheterhülle vor, an einem Draht entlang schiebt sie sich durch den Körper und entfaltet ihre Kraft erst im Herzen.
Zwischen Hauptschlagader und Herzkammer kommt es zum kritischen Moment. Professor Lenard Conradi, seit diesem Sommer neuer Leiter der Herzchirurgie, zieht am anderen Ende des Plastikschlauchs, der über den winzigen Schnitt in der Leiste im Körper verschwindet, und die eiskalt gekühlte künstliche Herzklappe aus Schweine-Herzbeutelgewebe entfaltet sich zur vollen Größe. Etwa zweieinhalb Zentimeter misst sie nun bei Körpertemperatur. Damit füllt sie im besten Fall genau den Durchmesser im Bereich der alten, zur Seite gedrängten Herzklappe der Patientin aus. Wird sie ein paar Millimeter zu tief eingesetzt, fällt sie in die Herzkammer. „In diesem Fall wird es lebensbedrohlich, dann müssten wir sofort aufschneiden“, sagt Stephan Baldus von der Uniklinik Köln. Das jedoch sei in Köln in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr geschehen.
Und auch diesmal läuft alles glatt. Das Drahtgeflecht presst sich in Kleiderbügel-Waben an die Wand der Aorta, über den Bildschirm ist schemenhaft zu sehen, wie das Blut heranrauscht und von dem sich öffnenden und schließenden Ersatzteil in regelmäßigen Dosen hindurchgelassen wird.
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Zwischen Hauptschlagader und Herzkammer kommt es zum kritischen Moment
Die Herzklappe sitzt. In die angespannte Konzentration im Operationssaal schleicht sich Heiterkeit. „Wollen wir noch diskutieren?“, fragt Conradi. Der Kameramann lächelt entspannt. Eine OP-Pflegerin betritt den Vorraum und entledigt sich lachend des Mundschutzes und der Bleiweste. Setzt die Wasserflasche zum Trinken an. Neben einen der Überwachungsmonitore hat jemand eine riesige Tüte Schokoladenriegel gelegt. Erstmal Zucker.
Vor etwa 16 Jahren hat man an der Uniklinik Köln mit der Transkatheter Aortenklappen-Implantation, kurz Tavi, gestartet. Heute setzen die Mediziner hier etwa 700 Herzklappen im Jahr auf diese Weise ein. In den Körper gelangen die Ärzte durch eine Kanüle an der Leiste des Patienten. Der ist lediglich sediert, muss also nicht den Strapazen eine Vollnarkose ausgesetzt werden. Auch die Wundheilung ist freilich unkomplizierter als nach einer Brustkorböffnung. „Gerade für unsere älteren Patienten ist diese Art des Eingriffs mit unschätzbaren Vorteilen verbunden“, sagt Stephan Baldus, Professor für Kardiologie.
Weniger strapaziös als eine Vollnarkose und die Wundheilung ist unkomplizierter
Der Eingriff sei mittlerweile Routine, dennoch ist heute ein besonderer Tag. Schließlich reüssierte die Uniklinik nicht nur medizinisch, sondern auch vor der Kamera. Als eines von drei europäischen Zentren sendet Köln an diesem Vormittag live aus dem OP an einen Kongress in London. Während die Herzklappe durch den Körper geschleust, Kontrastmittel gespritzt und das Herz mittels Schrittmacher stimuliert wird, gucken Kongressteilnehmer am Royal Victoria Dock jenseits des Ärmelkanals zu. Und diskutieren mit. Ist die Klappe auf der richtigen Position gelandet? Muss ein weiterer Ballon zum Weiten der Ader und Nachjustieren eingeführt werden? Die Hände von Conradi und Baldus leisten Millimeterarbeit, registrieren kleinste Widerstände im Körper, durch den sie gerade die Herzklappe lotsen. Und halten gleichzeitig einen Vortrag über ihr Tun.
Kardiologie und Herzchirurgie sind in der Uniklinik Köln durch Tavi näher zusammengerückt. „Wir entscheiden gemeinsam“, sagt Stephan Baldus. Die Vorteile der Katheter-Klappen-OP liegen auf der Hand. Das fängt bei der fehlenden Vollnarkose vor der Operation an und erstreckt sich bis zur Medikamentengabe nach der Operation.
Tavi-Empfänger können auf starke Blutverdünner verzichten, die in der Dosierung oft kompliziert seien und bei Verletzungen zur Gefahr werden könnten. Neben der Schonung des Patienten sei aber oft auch das medizinische Ergebnis besser. „Die künstliche Herzklappe aus Metall nähen wir in der Aorta fest. Das sorgt tendenziell dafür, dass der Platz etwas enger wird und wir eine in der Tendenz kleinere Klappe einsetzen müssen“, sagt Conradi, Leiter der Klinik für Herzchirurgie im Herzzentrum der Uniklinik Köln. Tavi dagegen presst sich einem aufgeblasenen Luftballon gleich gegen die Aderwand, schafft so mehr Weite, braucht keine Naht, ist damit größer und bietet meist eine bessere Funktion.
Allerdings ist das moderne Verfahren nicht in jedem Fall die richtige Wahl. Manchmal müsse der Chirurg dann doch das Skalpell ansetzen. „Bei jungen Patienten setzen wir immer noch die künstliche Herzklappe aus Metall ein. Einfach weil sie auch dann ein Leben lang haltbar ist. Dafür müssen wir aber natürlich den Brustkorb öffnen“, sagt Conradi.
Die 80 Jahre alte Frau, die heute auf dem Behandlungstisch liegt, kann nach einem Tag Beobachtung wieder von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt werden, übermorgen wird sie – wenn alles gut läuft – nach Hause entlassen. Dort soll sie dann wieder ohne Luftnot Treppen steigen können. Einkaufen gehen. Sich zu einem Winterspaziergang aufmachen.