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Kölner Veedel im WandelEhrenfeld läuft der Stadt den Rang ab

Lesezeit 8 Minuten
Ehrenfeld

Blick auf den Kölner Dom und die Großmoschee vom 4711 Hochhaus in Ehrenfeld.

Köln-Ehrenfeld – „Paris, London, Tokyo, Ehrenfeld“ steht auf dem Shirt. Oder „Straight outta Ehrenfeld“. Ein Veedel läuft der Stadt den Rang ab. Nicht Köln ist cool, sondern „Ihrefeld“, das „Tor zur Welt“. Ein Stadtteil wird zur Marke. Der Name war vor rund 40 Jahren schon mal weit über die Stadt hinaus bekannt. Damals waren es nicht die coolen Metropolen der Welt, mit denen Ehrenfeld in einem Atemzug genannt wurde. Es ging um die „Türkeveedel, fass wie Harlem“, von denen BAP im Lied „Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg“ überall in Deutschland sang. Da ging es um den Alltag von Zuwanderern in alten Arbeitervierteln. „Zwei Zimmer, Altbau, Klo ohm Flur, vierhundertfuffzich Märkcher nur.“

Das ist heute kein Thema mehr – nicht nur, weil die Wohnungen das Drei- bis Vierfache des besungenen Gastarbeiterlohns kosten. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund liegt unter dem Durchschnitt der Stadt. Nahezu alle statistischen Werte deuten darauf hin, dass nichts mehr ist wie es war: Die Bevölkerung ist jünger als in Köln und der Anteil an Arbeitslosen geringer.

Straßennamen in Ehrenfeld erinnern an die großen Industriebetriebe

An die Namen großer Industriebetriebe wie Leyendecker, Herbrand, Herbig oder Helios, die im 19. Jahrhundert aus einem Bauerndorf vor dem Ehrentor eine pulsierende Vorstadt machten, erinnern nur noch Straßennamen. In den engen Straßenzügen befanden sich unzählige Kleinunternehmen in den Hinterhöfen.

Der kölsche Musiker Björn Heuser wuchs in der Körnerstraße auf, die heute der Inbegriff von allem ist, was man sich unter dem hippen Ehrenfeld vorstellt: Gute Nachbarschaft, Kunst und Kultur, alternative Straßenfeste, Kaffeeröster, gesellschaftliches Engagement, politisches Interesse und Läden, in denen Dinge verkauft werden, die keiner braucht. Heuser glaubt, dass diejenigen, die heute hier wohnen, noch vor fünfundzwanzig Jahren keinen Fuß auf die Straße setzen konnten. Auch weil sie – vielleicht unter Androhung von Prügel – vertrieben worden wären.

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Bei der Bundestagswahl haben in keinem anderen Stadtteil so viele für die Grünen gestimmt. Die SPD landete in ihrer alten Hochburg unter 20, die CDU unter zehn Prozent. Der Stadtteil ist zu einem Mikrokosmos geworden, in dem ausprobiert wird, was die Stadt der Zukunft ausmachen könnte. Über manches würde man sich andernorts wundern: Hier werden aus Parkplätzen Abstellflächen für Lastenfahrräder gemacht. In Ehrenfeld haben nur noch 30 Prozent der Erwachsenen einen privaten Pkw. In einigen äußeren Stadtteilen liegt die Quote bei 70 Prozent. Doch nicht jede Veränderung ist positiv: Wenn Wissenschaftler von den Folgen der Gentrifizierung sprechen, können sie Ehrenfeld als Anschauungsort empfehlen.

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Nachdem Künstler und Kulturschaffende ein Viertel durch ihren Zuzug aufgewertet haben, folgen die Immobilienspezialisten. Dann wird saniert und verkauft. Die Bevölkerungsstruktur verändert sich ein weiteres Mal. Und nach und nach verschwindet die bunte Mischung, die die Neuen hergelockt hat – einschließlich der „Gentrifizierer“, mit denen die Aufwertung begann. Nicht selten ist die Politik zum Zuschauen verdammt, weil sie sich nicht traut, den Investoren Paroli zu bieten. Der Umbau der alten 4711-Konzernzentrale ist ein schönes Beispiel: Kultur und Kreative wurden vertrieben, um ein sehr teures Appartementhaus zu eröffnen.

Verkehrsversuch 2022 in Ehrenfeld

Mit dem Wachsen Ehrenfelds nimmt auch das Verkehrsaufkommen stetig zu. Erklärtes politisches Ziel ist es, im Bezirk den Anteil des Radverkehrs weiter zu erhöhen. Das Radverkehrskonzept Ehrenfeld ist daher Richtschnur für alle Planungen. Folglich liefert das Konzept auch die Basis für die künftigen Regelungen für die Venloer Straße. Voraussichtlich im Frühjahr 2022 startet ein Verkehrsversuch, der Aufschlüsse liefern soll, wie sich Verkehrsströme auf der Straße und in den Seitenstraßen entwickeln.

Die Venloer Straße wird im Abschnitt zwischen Ehrenfeldgürtel und Innerer Kanalstraße testweise zum verkehrsberuhigten Geschäftsbereich. Es werden bestimmte Ladezonen deutlich markiert. Und es wird eine Einbahnstraßenregelung eingerichtet. Als Höchstgeschwindigkeit für alle gilt dann Tempo 20. Voraussichtlich Mitte 2022 ist mit dem Umbau der Vogelsanger Straße ein Großprojekt beendet. Schon jetzt ist der Komfortgewinn für den Fuß- und den Radverkehr deutlich zu spüren. Bei den zahlreichen noch zu lösenden Problemsituationen stehen die Vogelsanger Straße zwischen Gürtel und Oskar-Jäger-Straße sowie die gesamte Gürtelstrecke auf der Agenda. Der Gürtel soll zur Radvorrangroute werden. Für den Melatengürtel wäre Platz genug, eine komplette Fahrspur dem Radverkehr zu widmen. An anderen Stellen ist es komplizierter. So etwa im Abschnitt des Ehrenfeldgürtels zwischen Nußbaumerstraße und Subbelrather Straße. Hier steht irgendwann auch der Umbau der KVB-Haltestellen an.

Baufläche in Ehrenfeld ist noch nicht erschöpft

In Sachen Wohnungsbau stehen die Zeichen weiterhin auf Wachstum. Der frühere Industrievorort hat immer noch gewerblich oder industriell genutzte Flächen, die für Wohnungsbau in Frage kommen. Am ehemaligen Güterbahnhof Ehrenfeld entsteht derzeit ein neues Quartier. Im Sommer nächsten Jahres sind die ersten Gebäude bezugsfertig. Etwa 450 Wohnungen werden es insgesamt sein. Südlich dieses Areals steht mit der Entwicklung des Max-Becker-Areals ein weitaus größeres Projekt an. Auf 12,5 Hektar Fläche eines Schrottrecycling-Unternehmens soll ein Viertel entstehen, das neue Maßstäbe bei der Verbindung von Wohnen, Gewerbe und Mobilitätslösungen setzt. Details werden derzeit im Rahmen eines Wettbewerbs erarbeitet. Zur Zeit ist das Jahr 2029 für die Fertigstellung angepeilt.

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Zwei Jahre früher soll das Quartier an der Franz-Geuer-Straße, dem ehemaligen Siemens-Gelände fertig sein. Etwa 450 Wohneinheiten sind geplant. Eine weitere großflächige Umnutzung steht an der Liebigstraße mit einem Wohnkomplex anstelle eines Autohauses an. Das Projekt „Ehre und Liebig“ umfasst rund 70 Eigentumswohnungen, 37 sogenannte Stadthäuser sowie 70 frei finanzierte und öffentlich geförderte Mietwohnungen. Alles soll im Jahr 2024 fertig sein. Für das frei werdende Areal des Metall-Großhandels Thyssenkrupp-Schulte an der Oskar-Jäger-Straße ist beabsichtigt, einen Mix aus Wohnen und Gewerbenutzung zu realisieren. Einen Zeitplan gibt es aber noch nicht.

Clubszene in Ehrenfeld hat sich verändert

Der Prozess der Gentrifizierung hat in den vergangenen Jahren auch die Ehrenfelder Clubszene massiv verändert: Einige Clubs sind mittlerweile Geschichte. Trauriger Höhepunkt für die freie Kulturszene war der Abriss des „Underground“ an der Vogelsanger Straße, der symbolisch für die fortgeschrittene Verdrängung von Orten der Kunst und Kultur steht. Nach 30 Jahren Betrieb rollten 2017 die Bagger an, das Gebäude wurde abgerissen. Auch im benachbarten Grünen Weg sind mit den Jahren mehrere Clubs gewichen: Die Papierfabrik, der Sensor-Club und zuletzt die Live-Musik-Stätte Barinton.

Die Live-Music-Hall an der Lichtstraße hält sich als eine der wenigen Locations im Umfeld des Helios-Geländes noch wacker: Betreiber Micki Pick, beklagt den Schwund der Kulturmeile, die mittlerweile regelrecht zum „Kranenland“ mutiert sei: Die Politik habe bei Bauprojekten zu lange die Kultur nicht mitgedacht. 2019 erinnerte eine lose Initiative von Ehrenfeldern im Rahmen des „City Leaks Festival“ mit der Installation „Friedhof der Träume“ an die Schließung von circa 20 Orten, darunter Clubs, Bars und Proberäumen. Die Forderung: „Subkultur braucht Raum.“ Dennoch pulsiert das Nachtleben an mancher Stelle immer noch kräftig: Rund um den Bahnhof gibt es für Nachtschwärmer noch zentrale Anlaufstellen wie den Club Bahnhof Ehrenfeld, das Bumann & Sohn und am Gürtel das „Artheater“. Rock- und Punkfans finden im Sonic Ballroom an der Oskar-Jäger-Straße eine Heimstätte und in der Heliosstraße lockt das „Helios 37“. (gam)

Hauptschulen gibt es in Köln immer weniger

Zum Ende des letzten Schuljahres schloss – ganz leise und ohne dass es viele bemerkt hätten – die Montessori-Hauptschule ihre Türen. In der ganzen Stadt schließen die Hauptschulen, weil immer weniger Kinder dort angemeldet werden. Doch die Frage bleibt: Wer kümmert sich in Zukunft um die Kids aus bildungsferneren Milieus und um die, die mehr Begleitung auf ihrem Lebensweg brauchen als andere? Oder sind diese Milieus längst verschwunden, weil es für sie in Ehrenfeld keinen Platz mehr gibt? Das neue ist schon da – mit ganz neuen Konzepten: Die Heliosschule nutzt die Gebäude der Hauptschule als Übergangsquartier. An der Vogelsanger Straße wächst der Neubau für die Gesamtschule in die Höhe. Die alten Ehrenfelder beäugen die Angelegenheit durchaus mit Skepsis. Die neuen Ehrenfelder sind begeistert.Was aktuell noch fehlt, ist ein Grundstück für eine neue vierzügige Grundschule. Bezieht man das Angebot in den umliegenden Stadtteilen mit ein, ist die Versorgung nicht so schlecht wie andernorts. Eine neue Gesamtschule in Ossendorf wird Entlastung bringen. Für Neuehrenfeld ist der Aufbau eines jüdischen Gymnasiums in der Diskussion.

Einige Kulturorte in Ehrenfeld gibt es nicht mehr

Kultur und Ehrenfeld werden mit Recht in einem Atemzug genannt. Spätestens seit den 1980er Jahren ist der Stadtteil auch ein Zentrum der Kreativen. Bildende Kunst in Ateliers und Galerien, unterschiedlichste Bühnen und Ausstellungsorte haben hier ihre Adressen.

Die Tage der Offenen Ateliers, die Kunstroute Ehrenfeld, der Urban Design Parcours, die Passagen, das City Leaks Festival und die c/o pop führen als Veranstaltungsformate regelmäßig die Vielfalt der Kreativorte vor Augen. Einige Orte wie die Galerie Eyegenart, der Bunker Körnerstraße 101, der Konzertraum Loft, die Live-Music Hall, das Cinenova-Kino, das Theater KKT oder das Urania-Theater haben eine lange Tradition. Längst Geschichte sind das Bel Air in der Kohlenstraße oder Clubs wie die Papierfabrik, der Sensor-Club und das Heinz Gaul. Auch die Zeit des Vereins Jack in the Box am Güterbahnhof Ehrenfeld war abgelaufen, als dort die Pläne für ein Wohnquartier umgesetzt wurden. Mit dessen Fertigstellung will Jack in the Box einen Neustart als „Haus am Maarweg“ machen. Und für das Heliosgelände gibt es die Absicht, dort einen „Kulturbaustein“ zu realisieren.