Die Figuren, die das kölsche Liedgut mit ihren liebenswerten Eigenarten bevölkern, sind zahlreich. Der Versuch einer Familienaufstellung.
Kölsches LiedgutAlle wollen zurück nach Hause zum Struth'se Jupp
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Beim Struth'se Jupp haben sie alle ihren Deckel. Und irgendwann kommen sie wieder und zahlen, weil das Heimweh zu groß geworden ist.
Copyright: Nadine Magner
Begonnen hat alles einem Rosenmontag auf dem Weg zum Zoch. Da ist mir der Struth'se Jupp zum ersten Mal über den Weg gelaufen. Vielmehr: Sein Name ist mir im Gedächtnis geblieben, als er aus einem Lautsprecher klang. Auf einem Bollerwagen mit der üblichen Rosenmontagsfracht. Pittermännchen, Frikadellen, Käsewürfel, Senf und Pappteller. „Ich han 'nen Deckel, do ston noch zehn Mark achtzig drop. Dä litt in Kölle, in minger Kneip, beim Struth'se Jupp.“
Ich war schwer beeindruckt, dass die Bläck Fööss in diesem Liedchen von einem Wirt erzählen, der seinen Stammgästen fest vertraut, selbst wenn die dem Lockruf der Hauptstadt erlegen nach Berlin gezogen sind - und einen unbezahlten Deckel zurückgelassen haben.
Der Jupp kennt seine Stammgäste. Er weiß, dass sie das Heimweh übermannt
Was muss das für ein Wirt sein, der solche Deckel macht und auch noch aufbewahrt? Der müsste doch längst pleite sein. Heute weiß ich: der Jupp nicht. Der Jupp kennt seine Stammgäste. Er weiß, über kurz oder lang wird den Fortgezogenen das Heimweh übermannen und er zumindest „auf Urlaub“ nach Kölle zurückkehren, den alten Deckel zahlen und einen neuen hinterlassen. Damit es immer einen Grund zur Rückkehr gibt. Was bedeutet ein Koffer in Berlin im Vergleich zu einem Deckel in der Kölner Stammkneipe?
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Ich muss Sie warnen! Fangen Sie besser nicht damit an, sich mit Figuren wie dem Struth'se Jupp zu beschäftigen, die in hunderten kölscher Lieder und nicht nur bei den Bläck Fööss vorkommen, obwohl die zweifelsohne die Liebenswertesten zum Leben erweckt haben. Sie werden nie mehr von ihnen loskommen.
En minger Kneip beim Struth'se Jupp treffen sich alle, die mir im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen sind. Et Linda Lou, das immer an der Theke steht, alle unter den Tisch trinkt und jeden auslacht, der dauernd nach Hause gehen will, bis er mit dem Kopf auf dem Tresen einnickt. Das ist der Moment, in dem Linda den Klassiker „Drink doch ene met“ anstimmt, aber auch lauthals „M'r drinke wigga Digga“ gröhlt, weil sie beweisen will, dass sie beim karnevalistischen Liedgut durchaus mit der Zeit geht und neben den Volksliedern der Bläck Fööss auch den Sessionshit der Räuber kennt.
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„Jetz hät dat Schmitze Billa, en Poppelsdorf en Villa, et hät ein eige Huus, et Bell es fein eruus!“
Copyright: Nadine Magner
Drink doch ene met. Das lässt sic d'r ahle Mann vür der Weetschaftsdür nicht zweimal sagen. Er hat zwar keinen Cent in der Tasche, aber irgendeiner hält ihm die Türe auf und lädt ihn ein: „Drink doch met un kümmer disch net drüm.“ Und wenn ihm einer Kredit gibt, also einen Deckel macht, kann das nur der Struth'se Jupp sein.
Für mich steht fest, dass hinter dem Unbekannten, der der ahl Frau Schmitz hin und wieder „e paar Blömscher für ihr Finsterbrett“ schenkt, nur der Struth'se Jupp stecken kann. Weil er die Menschen im Veedel kennt und weiß, dass die ahl Frau Schmitz finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet ist, aber ein liebeswerter Mensch, der selbst gerne gibt, wenn er denn kann.
Sibilla Schmitz hat auf einen Schlag 25.000 Mark ausbezahlt bekommen - Alimente
Sibilla Schmitz hat es in ihrem Leben nicht leicht gehabt. Der legendäre Willi Ostermann singt in dem Klassiker „Villa Billa“ aus dem Jahr 1913 darüber, dass sie als Marktfrau Salat und Endivien verkauft hat, bis sie „auf einen Knall“ 25.000 Mark ausbezahlt bekommen hat. Dass es sich dabei ganz offensichtlich um Alimente für ein uneheliches Kind handelt, was natürlich ein gesellschaftlicher Skandal ist und deshalb nur angedeutet wird: „Wat hückzogdag nit üvver Naach der Minsch sich verändere kann.“
Als alleinerziehende Mutter muss dat Schmitze Billa ihren Stand in der Markthalle natürlich aufgeben, kauft ein kleines Haus im Bonner Stadtteil Poppelsdorf und lebt vermeintlich in Saus und Braus. Zumindest zerreißen sich alle in der Nachbarschaft über sie die Mäuler und spotten: „Jetz hät dat Schmitze Billa, en Poppelsdorf en Villa, et hät ein eige Huus, et Bell es fein eruus!“ Und natürlich klingt Schadenfreude durch, dass sie das Geld schnell unter die Leute gebracht hat und reumütig zum Verkauf von Salat und Endivien auf dem Markt zurückkehren muss.
Fragen Sie mich nicht, in welchem Veedel der Struth'se Jupp hinter dem Tresen steht. Tommy Engel soll einmal erzählt haben, dass die Kneipe auf der Luxemburger Straße war. Ich habe mir auch schon den Kopf darüber zerbrochen. Auch wenn ich sicher bin, dass viele dieser liebenswerten Figuren wegen ihrer fröhlichen Art, sich durchs Leben zu schlagen, beim „Lehrer Welsch en d'r Kayjass Nummer null“ zur Schule gegangen sein müssen, bedeutet das noch nicht, dass sich seine Kneipe im Vringsveedel verorten ließe.
Nur eins ist klar. In Poppelsdorf werden sich all diese Dinge nicht abgespielt haben. Im Hahnwald oder Marienburg auch nicht. Sondern irgendwo mitten in Kölle.
Wie „dä Klein vum Pütze Hein“ heißt, ist leider unbekannt
Stellen wir uns also ein Veedel vor, das dem Vringsveedel und der Altstadt zumindest ähnlich ist. Bei einer Kindstaufe wie der vom Pütze Hein sind selbstverständlich alle auf den Beinen, wenn „der Pastor en et ett Wasser zopp“. 20 Jahre später heiratet Pütze Hein, jetzt Vertreter, in der gleichen Kirche auf die Schnelle et Nies, also die Agnes, weil drei Monate später der Pütze Fuss das Licht der Welt erblickt.
Wie gern würde ich wissen, welchen Namen die Eltern ihrem Kind gegeben haben. Doch das wird für immer ein Geheimnis bleiben. Selbst die Bläck Fööss scheinen das nicht zu wissen und singen deshalb nur über „dä Klein vum Pütze Hein“.
Vielleicht ist et Meier's Kättche us d'r Rhingjaß sing eetste Fründin, dann wüssten wir immerhin, dass dä Klein vum Pütze Hein ein Fahrrad besitzt und dat Kättche damit spazieren fährt – auf der Lenkstange oder dem Gepäckträger. Rein finanziell kann es sich die Familie Pütz leisten, ihrem Sohn ein Rad zu schenken, schließlich arbeitet Vater Hein recht erfolgreich als Vertreter.

Et Meiers Kätche und Pütze Hein sind leider dauerhaft kein Paar geworden.
Copyright: Nadine Magner
Aus dem Klein vum Pütze Hein und Meier's Kättche ist leider kein Paar geworden, auch wenn er glaubte, bei ihr einen dicken Stein im Brett zu haben. Mit dem Geld, das ein 14-Jähriger im ersten Lehrjahr als Installateur verdient, kann man mit einem Gesellen wie dem Weber's Mattes nicht mithalten. Der hat nämlich schon ein Auto. Ob die beiden, Meier's Kättche und Weber's Mattes, ein Paar geworden sind? Möglich. Aber das geben die Recherchen leider nicht her.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass jedes Jahr bis zu 400 neue Lieder zu den Themen Kölle, Hätz, Veedel, Jeföhl und Fastelovend entstehen. Deren Querverbindungen zu entschlüsseln ist selbst der KI – also der Kölschen Intelligenz – zu hoch.
Sie hat ohne Angabe von Quellen behauptet, dass ein Lausebengel namens Ralf, den der Filialleiter des Supermarkts schon mal aus dem Hummerbecken der Feinkostabteilung fischen musste, und seine Schwester Birgitlein, die bei der Aktion den Rest des Ladens verwüstete, die antiautoritär erzogenen Pänz von Meier's Kättche sein könnten.
Ein Polterabend, bei dem wieder alle auf den Beinen waren, ist nur aus d'r Elsaßstroß bekannt und damit eindeutig zu verorten. Dort hat d'r Pitter, „ne Hippenstiel us Goch“ und damit als Imi im Veedel nicht sonderlich beliebt, et Marie geheiratet.
Beim Polterabend hat es mächtig Zoff gegeben hat, weil ein unbekannter Verehrer, der nicht eingeladen war, dem Paar „ein jode Mischung Sauerei“ aus Hausmüll, Altöl, Schrott, Kies und Jauche vor die Tür gekippt und die Braut für drei Stunden in eine Kneipe entführt hat. Davon schwärmt er bis heute: „D'r Pitter hat dä Dreck jefäch, un ich han et Marie, drei Stunde en de Kneip' entführt, un Spaß jehat wie nie.“ Das kann nur beim Struth'se Jupp gewesen sein. Dort hat der Unbekannte der Marie seine Liebe gestanden. „Marie, esu, wie met dir, wor et nie. Ejal, wä do kohm, irjendwie. Han ich manche Naach. Janz heimlich noch an dich jedaach!“
Danach ist er ganz schnell abgedampft. Zurück nach Berlin. Weil er Schiss hatte, dass es mit dem Pitter sonst Kasalla gibt. Bestimmt liegt beim Struth'se Jupp noch sein Deckel rum.