Fünf Aktivistinnen und Aktivisten erzählen, was sie auf die Straße treibt und wie man dem Hass der Autofahrer begegnet.
„Letzte Generation“ in KölnAktivisten berichten, wie es sich anfühlt, festgeklebt auf der Straße zu sitzen
Sie werden bewundert, belächelt und gehasst: Kaum eine Protestgruppe ist derzeit mit ihren Aktionen so präsent und gleichzeitig so umstritten wie die sogenannte „Letzte Generation“. Ihre Anhänger wollen mit Verkehrsblockaden auf zentralen Straßen einen konsequenteren Klimaschutz erzwingen. Dafür befestigen sich einige von ihnen auch in Köln mit Sekundenkleber auf Fahrbahnen und lassen sich von Polizei oder Feuerwehr lösen.
Allein in der vergangenen Woche gab es zwei Blockaden auf der Aachener Straße, die für Staus sorgten und viele Autofahrer ungehalten reagieren ließen. „Lasst uns einfach drüberfahren“, rufen einige. Andere äußern ihren Respekt gegenüber den Aktivisten. Ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und die Wiedereinführung des Neun-Euro-Tickets für den bundesweiten Nahverkehr sind ihre Forderungen, die sie der Regierung aufzwingen wollen. Sollten diese umgesetzt werden, würde sie vorerst keine weiteren Blockaden planen, betont die Gruppe.
Ermittlungen gegen „Letzte Generation“-Aktivisten, aber Rechtslage umstritten
Die Aktionen werden nicht angemeldet und laufen üblicherweise gewaltlos ab. Trotzdem polarisiert die Bewegung enorm, weil sie Bürgerinnen und Bürger direkt in ihrem Alltag stört, Menschen zu spät zur Arbeit, zu Terminen kommen lässt – beruflich wie privat. Gegen einzelne Aktivisten ermittelt der Staatsschutz der Kölner Polizei wegen Nötigung. Ob es letztlich zu rechtskräftigen Verurteilungen kommt, ist ungewiss, die Rechtslage dazu ist umstritten.
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Wir haben in Köln und Umgebung fünf Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ getroffen. Sie berichten, was sie auf die Straße getrieben hat. Von drohenden Hungersnöten infolge des Klimawandels und dem Samstagnachmittag beim FC, den es zu bewahren gilt. Sie berichten auch von ihren eigenen Ängsten und den Vorbehalten ihres persönlichen Umfelds. Von blutigen Händen und wütenden Autofahrern. Sie alle stehen mit ihren echten Namen und Gesichtern in unserer Zeitung. Wir lassen die Berichte bewusst unkommentiert. Damit sich jede Leserin und jeder Leser selbst ein Bild machen kann.
David Berres (45), Selbstständiger aus Köln: „Vor meiner ersten Blockade musste ich durch jede Menge Angst“
Die Liebe zum Leben bringt mich dazu, mich auf die Straße zu kleben. Dabei denke ich an all die Dinge, die das Leben schöner machen und die ich mir und allen anderen Menschen, die mir am Herzen liegen, gerne bewahren möchte. Das Treffen mit meiner Familie, den Sonntagsspaziergang im Stadtwald, den Samstagnachmittag beim FC. Sollte uns der Klimawandel auslöschen, könnten wir all diese Dinge nicht mehr erleben. Das wäre unfassbar traurig. Ich sehe mich etwa in der Halbzeit meines Lebens. Ich hätte gerne nochmal 45 so schöne Jahre wie bisher. So geht es vielen von uns: Wir wollen einfach das Gute bewahren, das wir Menschen uns aufgebaut haben.
Vor meiner ersten Blockade musste ich durch jede Menge Angst. Angst vor dem Unbekannten, vor den Reaktionen der Menschen. Davor, wie es ist, festgeklebt zu sein und sich nicht mehr frei bewegen zu können. Aber ich hatte auch Angst vor dem Gesetzesbruch. Ich wurde so erzogen, dass man sich an Gesetze zu halten hat. Am Ende war es eine Abwägung: Ich halte das Thema für so wichtig, dass ich die Aktionen für richtig halte. Bis sich die Angst gelegt hat, hat es trotzdem lange gedauert. Am Anfang habe ich nur vom Adrenalin gelebt. Mittlerweile bin ich nach etwa 14 Aktionen blockadeerfahren. Bei unserer Blockade neulich auf der Cäcilienstraße hat sich beim Lösen von der Fahrbahn ein Stück Haut vom Zeigefinger der linken Hand gelöst. Mir wurde dann bei einer Operation etwas Haut aus dem Oberarm in den Finger transplantiert. Schmerzen hatte ich aber kaum. Grundsätzlich habe ich die Polizei bei den Aktionen sehr kooperativ erlebt. Ich hatte sie anfangs viel ruppiger erwartet.
Mir ist klar, dass wir in großen Teilen der Gesellschaft abgelehnt werden. Aber das finde ich nicht grundsätzlich schlimm. Es wird Zeit brauchen, bis sich die Menschen durch unsere Aktionen angesprochen fühlen. Das zeigt die Geschichte aller politischen Bewegungen. Das Effektive an Blockaden ist, dass sie nicht ignorierbar sind, anders als normale Demos. Sitzblockaden stören permanent, sind wie ein Feueralarm, der nicht mehr aufhört, schrill zu piepsen, und der damit auf eine unmittelbare Gefahr aufmerksam macht. Man kann den Feueralarm anschreien oder von der Decke reißen. Aber möchte man wirklich, dass er ausgeht, wenn es im Haus brennt?
Wir könnten den Kopf in den Sand stecken und sagen „es ist eh zu spät“. Aber ich mag es nicht, aufzugeben. Ich versuche lieber, etwas zu verändern. Es wird nicht anders gehen, als unverzüglich die ersten Schritte zum Überleben der Menschheit einzuleiten. Das müssen zwar diejenigen tun, die an den entscheidenden Stellen sitzen. Aber wir müssen den dafür nötigen Druck aufbauen. Wir blockieren Straßen nicht, weil uns sonst langweilig wäre. Die meisten von uns sind berufstätig und brauchen ihr Gehalt zum Leben. Ich zum Beispiel lebe momentan teilweise von Erspartem, weil mein Engagement mir weniger Zeit für meine Arbeit als Freiberufler lässt. Dadurch verdiene ich weniger. Ich muss an allen Ecken und Enden versuchen, Kosten zu sparen, um weiter bei der „Letzten Generation“ aktiv sein zu können.
Ich komme ursprünglich aus Steinfurt im Münsterland und bin seit 24 Jahren Wahlkölner. Ich bin ledig, aber ein absoluter Familienmensch. Ich liebe auch den Sport, habe seit vielen Jahren eine Dauerkarte beim FC, bin bei fast jedem Spiel im Stadion. Früher bin ich auch oft zu Auswärtsspielen gereist. Das gehört für mich zum Schönsten im Leben. Das möchte ich gerne bewahren, für mich und die, die nach mir kommen.
Marla Heyer (17), Gymnasiastin aus der Nähe von Bonn: „Die Politik findet die Jugendlichen auf der Straße irgendwie schön, handelt aber doch nicht“
Ich habe früher oft an Fridays-For-Future-Demos teilgenommen, aber gesehen, dass die Politik die Jugendlichen auf der Straße zwar irgendwie schön findet und sich auch mit ihnen schmückt, aber eben doch nicht handelt. Daher entschloss ich mich, künftig mehr zu tun. Und zwar so lange, bis unsere Forderungen umgesetzt werden.
Ich gehe in die elfte Klasse und bin glaube ich eine gute Schülerin. Meine Eltern finden zwar gut, dass ich mich engagiere, waren aber erst nicht damit einverstanden, dass ich an einer Aktion auf der Inneren Kanalstraße in Köln teilnehmen wollte. Aber ich konnte sie schließlich nach längeren Diskussionen doch überzeugen. Fast alle Freundinnen von mir finden mein Engagement auch gut. Ob meine Lehrer davon wissen, ist mir egal. Ich muss es ja nicht gleich allen erzählen.
Natürlich habe ich auch Sorge, vielleicht mal eine Vorstrafe zu bekommen und dadurch nicht mehr jeden Beruf ausüben zu können. Aber sollte das bei einem Arbeitgeber Probleme geben, ist das wohl auch der falsche für mich. Ich möchte für niemanden arbeiten, der mein Engagement als Straftat sieht und nicht erkennt, dass unsere Zukunft auf dem Spiel steht. Bei der Blockade in Köln, an der ich teilgenommen habe, waren die Reaktionen überwiegend positiv. Nur ein paar Autofahrer haben uns angebrüllt und Gewalt angedroht. Natürlich ist die Situation nicht ungefährlich so mitten auf der Straße. Im Aktionstraining lernen wir aber, damit umzugehen und ruhig zu bleiben.
Simon Werle (41) freier Filmeditor und nebenberuflicher Gemüsegärtner aus Much: „Ich möchte meinen Töchtern nicht in 20 Jahren erklären müssen, warum ich nicht mehr getan habe“
Bei den Demos im Hambacher Forst und bei Fridays for Future war ich dabei, habe mit meinen Kindern Plakate gemalt und Parolen gerufen. Außerdem lebe ich seit vielen Jahren vegan und habe schon lange nicht mehr in einem Flugzeug gesessen. Ich dachte, das sei ausreichend, weil sich die Politik um den großen Rest kümmern wird. Das sehe ich inzwischen anders.
Ich möchte meinen Töchtern (vier und sieben Jahre) nicht in 15 oder 20 Jahren erklären müssen, warum ich nicht mehr getan habe. Warum ich nur zugeschaut und mein gemütliches Leben weiter gelebt habe, obwohl wir alle wussten, was auf uns zukommen wird, wenn wir die nahenden Kipppunkte überschreiten: Ressourcenkriege, Klimafluchtbewegungen, Hungersnöte. Ich habe immer noch Hoffnung, die schlimmsten Auswirkungen verhindern zu können, aber dafür muss unsere Regierung jetzt entschlossen handeln. Und damit sie das endlich tut, klebe ich mich bald das erste Mal auf die Straße. Verkehrsblockaden sind eine sehr wirksame Art des Protests, weil sie die Menschen aus ihrem Alltag herausreißen. Ich weiß, dass wir damit nerven und auch mir macht der Gedanke an diese Störung keinen Spaß. Ich habe Angst vor der Wut der Autofahrenden, ich möchte auch nicht in Gewahrsam genommen werden. Aber meine Kinder könnten das Jahr 2100 noch erleben. In einer drei oder vier Grad heißeren Welt droht ihnen und allen anderen Kindern eine schreckliche, grausame Zukunft.
Mir wird manchmal vorgeworfen, unser Protest sei radikal und anti-demokratisch. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wir wollen unsere Demokratie vor dem schützen, was uns durch die Klimakatastrophe droht. Ich will nicht, dass unsere Gesellschaft auseinanderbricht, weil unsere Politiker heute lieber auf Wirtschafts- und Konzerninteresse achten, und die Appelle der Wissenschaft ignorieren.
Auch meinen Töchtern versuche ich zu vermitteln, wie wertvoll und schützenswert das Leben ist, das wir gerade leben dürfen. Wenn sie nachfragen, gebe ich ihnen ehrliche, kindgerechte Antworten. Es ist ein bisschen so wie mit den Geschenken: Als Kind habe ich auch geglaubt, dass das Christkind die bringt. Als mir klar wurde, dass das nicht stimmt, war ich ein bisschen sauer auf meine Eltern. So ein Gefühl habe ich jetzt auch: Warum sollte ich meinen Kindern erzählen, dass alles in Ordnung ist? Sie haben ein Recht darauf, die Welt so erklärt zu bekommen, wie sie wirklich ist: Noch haben wir die Möglichkeit, unsere Zukunft zu wählen, noch sind wir der Katastrophe nicht ausgeliefert. Aber dafür ist es jetzt an der Zeit, mutig zu sein.
Caroline Schmidt (41), Kellnerin aus Köln: „Die Situation, in der wir derzeit sind, ist lebensbedrohlich für alle“
Die Ohnmacht hat mich zur „Letzten Generation“ gebracht. Der Frust, die Verzweiflung, dass all die großen Klimademos nichts bewirkt haben. Die Regierenden haben den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt. Unser Leben ist immer noch auf Profit und Wachstum ausgerichtet mit all den Auswirkungen auf das Klima. Wir müssen jetzt der Feueralarm für die Gesellschaft und die Politik sein. Die Sirene, die die Menschen so lange nervt, bis sie verstanden haben, dass sofort gehandelt werden muss. Wir müssen jetzt in den Notfallmodus übergehen.
Wenn große moralische Ungerechtigkeiten passieren, ist friedlicher und gewaltfreier Widerstand berechtigt und ein Weg, Verantwortung zu übernehmen. Die Situation, in der wir derzeit sind, ist lebensbedrohlich für alle. Bei einer meiner letzten Aktionen stand ein verzweifelter Mann vor mir und sagte, dass er fürchtet, seinen Job zu verlieren, weil er wegen uns zu spät zur Arbeit kommt. Es ist doch furchtbar, dass unser zynisches System diesen Mann in diese Verzweiflung treibt. Ich musste ihm dann sagen „Es tut mir leid und es trifft mit dir sicher den Falschen. Aber ich sitze hier für die Zukunft unserer Kinder.“
Unsere Blockaden sind so effektiv, weil wir mit wenigen Leuten das „Weiter so“ in der Stadt unterbrechen. Das reißt die Menschen aus der Komfortzone. Es ist allerdings erschreckend, wie viel Hass und Wut einem bei den Aktionen entgegenschlagen und wie aggressiv die Menschen zum Teil sind. Es gibt Leute, die uns den Tod wünschen oder sagen, man müsse uns den Arm abhacken. Was viele nicht wissen ist, dass wir immer in der Lage sind, eine Rettungsgasse zu bilden, um Krankenwagen und Notfälle durchzulassen. Ich klebe mich immer nur mit einer Hand fest, weil ich mich sonst unwohl fühle. Beim Löse-Vorgang habe ich mir bei meiner letzten Aktion Verletzungen in der linken Handinnenfläche zugezogen.
Ermutigend ist, dass wir auch viel Zuspruch erfahren. Mir ist klar, dass wir nicht überall beliebt sind. Und ich kann den Ärger verstehen. Es ist nicht unsere Aufgabe, neue Freunde zu bekommen. Unser Job ist, die Menschen wachzurütteln und zu alarmieren.
Robin Napiany (19), Student aus Köln
Klimaschutz ist keine Glaubensfrage, sondern wissenschaftlicher Fakt: Es muss etwas passieren und zwar sofort. Artikel 20a des Grundgesetzes verpflichtet den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen – jetzt und in Zukunft – zu schützen. Das tut er aber im Moment nicht. Es muss gehandelt werden, um Klimaziele zu erreichen. Daher fühle ich mich verpflichtet, an friedlichen Protesten teilzunehmen. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass sich die Betroffenen dadurch gestört fühlen. Und es tut mir leid, dass ich damit Menschen aufhalte. Dennoch stehe ich aktiv für den Klimaschutz ein. Für den Schutz des Klimas gibt es keinen Grund, sich entschuldigen zu müssen. Wir richten uns auch nicht an die Autofahrenden, sondern wollen die Politik wachrütteln. Ich glaube fest daran, dass uns das gelingt.
Natürlich kann nicht ein Land alleine das Klima retten, aber wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Ich habe vor einigen Wochen an einer Blockade in Berlin aktiv teilgenommen. Als ich direkt vor einem Auto saß, das sehr dicht vor mir auffuhr, wurde mir klar, wie gefährlich das tatsächlich sein kann. Die Konfrontation mit Autofahrenden und der Polizei ist eine miserable Situation für alle Beteiligten. Es ist für uns mit Sicherheit keine schöne Zeit, wenn wir auf der Straße sitzen. Aber die erste Person, die vorbeikommt und sich bedankt, uns Zuspruch gibt, wiegt das alles wieder auf. Einige aus meinem privaten Umfeld hatten Sorge, dass mir bei den Blockaden etwas passiert oder dass wir auch andere in Gefahr bringen. Die meisten beruhigte dann, dass das Freigeben einer Rettungsgasse jederzeit möglich ist.
Noch habe ich keine Post von der Berliner Polizei bekommen, sollten mir jedoch durch mein Engagement eines Tages strafrechtliche Konsequenzen bevorstehen, gehe ich offen damit um. Ich stelle mich allem, denn wir sind nicht kriminell und müssen uns nicht verstecken. Der Klimawandel ist radikal, wir sind es nicht. Deshalb brauchen wir jetzt ein systematisches Umdenken der Politik.