Interview mit Robert Griess„Lindenthal ist eine Düsseldorfer Enklave mitten in Köln”
- Kabarettist Robert Griess macht in 60 Minuten jeden zum Kölner. In seiner Köln-Show fragt er, wo die Stadt am kölschesten ist.
- Er hat auch ein Rezept dagegen, dass viele Veedel langsam ihr Flair verlieren.
- Lesen Sie hier das ganze Interview mit dem Sülzer.
Lindenthal – Nur 60 Minuten. Länger dauert es nicht, Kölner zu werden. Das meint zumindest der Sülzer Kabarettist Robert Griess. In seinem neuen Programm erklärt er, wie das funktioniert. Wir haben ihn nach seinem Rezept zum Kölner Werden im Schnelldurchgang befragt.
Was steckt hinter der kabarettistischen Anleitung zum Einkölschen?
Die Köln-Show ist eine kurze Einführung für Touristen, um ihnen die kölsche Mentalität und Lebensweise zu erklären, beispielsweise, warum die Kölner so glücklich sind, obwohl in der Stadt so vieles schief läuft und warum Köln die Stadt auf der ganzen Welt ist, die sich am meisten selbst besingt. Es gibt gefühlt zwei Millionen Lieder über Köln, Bochum hat aber beispielsweise nur eins.
Es ist also relativ einfach, Kölner zu werden?
Ja, Kölner zu sein, ist ja keine Frage der Herkunft. Kölner sein ist eine Idee. Die kölsche Seele, das kölsche Gefühl, die Idee von tollem Leben. Das kostet nichts. Deswegen ist der Kölner auch unheimlich großzügig und teilt sein Gefühl. Das liegt natürlich auch an unserer Geschichte. Wir sind die Welthauptstadt der Misswirtschaft. Dafür können wir aber nichts, weil Köln von Römern gegründet wurde, zu einer Zeit als die Germanen hier noch auf den Bäumen hockten. Und das zieht sich bis heute durch unsere DNA, italienische Sorglosigkeit, gepaart mit rheinischer Inkompetenz. Die gute Seite ist, dass wir auch zur Welthauptstadt der Toleranz geworden sind, weil wir von Anfang an gelernt haben, dass jeder Fortschritt durch Fremde in die Stadt gebracht wurde.
Was ist denn eigentlich Ihrer Meinung nach das kölsche Gefühl?
Der Kölner denkt ja wirklich, er lebt in der schönsten Stadt der Welt, mit der schönsten Kirche der Welt, am schönste Fluss der Welt, mit dem besten Fußballverein der Welt, dem leckersten Bier der Welt und den nettesten Menschen der Welt. Das ist das „kölsche Jeföhl“. Dann ist Köln die Stadt mit den vier K, den vier Säulen, Klüngel, Kölsche, Karneval und Kirche. Wir sind die einzige Stadt, in der man spricht und feiert und singt, was man trinkt. Das bedingt sich dann auch noch gegenseitig.
Die nächste Köln-Show
Robert Griess, geboren 1966, ist Kabarettist und Autor. Er tritt bundesweit in Theatern, Rundfunk und im Fernsehen auf. Daneben schreibt er Drehbücher und Sketche fürs TV. Im März 2012 erschien sein Roman-Debüt „Stappers Revolte“, im September 2016 sein „Satirisches Handgepäck für Köln“.
Die nächste Köln-Show mit Robert Griess – „Jeder Mensch kann Kölner werden – in nur 60 Minuten!“ – findet am 27. Dezember im Senftöpfchen, Große Neugasse 2-4, statt.
Was tut man denn am besten, um dabei möglich schnell integriert zu sein?
Der schnellste Weg in die Kölsche Seele führt über den Rausch. Also geht man am besten in die Kneipe und spendiert erst einmal eine Lokalrunde. Danach ist man nicht nur integriert, sondern wird auch sofort adoptiert. Der Kölner ist kontaktfreudig. Wir sehen im Fremden ja immer das Gute. Das ist der Unterschied zu Sachsen. Dort leben die wenigsten Ausländer Deutschlands, finden aber die meisten fremdenfeindlichen Straftaten statt. Eigentlich müsste man einmal alle Flüchtlinge, die kommen, nach Sachsen schicken, damit sie über das Kennenlernen, die Angst vor den Fremden verlieren. Das wäre die kölsche Art von Verhaltenstherapie.
Wenn die Kölner so offen und tolerant sind, warum gibt es dann den kölschen Klüngel? Das ist ja eher ein geschlossener Teil der Gesellschaft, Netzwerke, die im Hintergrund agieren.
Das stimmt. Der Klüngel ist entstanden, um ein Geschäftsmodell aus dem „Jeföhl“ zu machen. Er dient aber auch vielen als Einstieg in die kölsche Gesellschaft, die nicht von hier sind. Du musst nur in irgendeinem Verein einen Posten übernehmen, den niemand haben möchte, beispielsweise Schatzmeister. Klüngel ist natürlich eine kölsche Wortschöpfung mit „k“. Das gleiche gibt es aber überall. In Hamburg heißt es „Filz“, in Berlin „Sumpf“, in München „Amigowirtschaft“. Der Unterschied ist nur, wenn woanders einer erwischt wird, kommt er vor Gericht und manchmal sogar ins Gefängnis. Nur in Köln sagt man: „Nein, das ist Brauchtum.“
Trotz der kritischen Worte besuchen ja auch gerade Kölner gerne Ihre Show. Woran liegt das?
Der Kölner ist zwar von sich selbst berauscht, aber irgendwo auch im ständigen Selbstzweifel. Er weiß, dass vieles in der Stadt mies läuft und wir nichts auf die Reihe kriegen. Der Kölner liebt seine Stadt, ist aber nicht blind für die Probleme. Die Kölner lachen über die geschilderten Missstände viel lauter als die Touristen, weil sie im Alltag besser damit vertraut sind. Ich betone in der Show aber auch das Positive der kölschen Lebensart. Wir machen die Show letztlich ja, damit die Touris das kölsche Gefühl in die Welt tragen, um einen besseren Ort aus ihr zu machen.
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Das kölsche Wesen ist aber auch in den Kölner Stadtteilen unterschiedlich stark zuhause, oder?
Ja, in unserem Programm gehen wir der Frage nach, wo ist Köln noch am kölschesten, da ist Ehrenfeld ganz weit vorne – noch. Nippes auch, aber die Gentrifizierung schreitet überall voran. Sülz hingegen ist durchgentrifiziert, das Kölner Pendant zum Prenzlauer Berg, auch als Beverly Sülz bekannt, wo die schönen und Reichen wohnen – jedenfalls, wenn man sich die Mietpreisentwicklung anschaut. Das Viertel ist übrigens das einzige der Stadt, wo zwei Bioläden an einer Straße direkt gegenüber liegen. Lindenthal hingegen ist eine Düsseldorfer Enklave mitten in Köln, das Veedel mit der höchsten SUV-Dichte, auch Bürgerkriegspanzer oder Hausfrauentraktoren genannt. Am kölschesten ist Köln aber noch dort, wo das Elend am größten ist, also die Menschen am wenigsten Geld haben. In Mülheim und Kalk hat die Gentrifizierung gerade erst angefangen. Irgendwann ist Köln wahrscheinlich aber in Porz am kölschesten, weil da keine Hipster hinwollen.
Haben Sie eine Lösung gegen den Verlust des typischen Flairs der Viertel?
Ich setze auf die Kölsche Anarchie. Letztendlich hat die Stadt in 2000 Jahren noch jeden zielgerichteten Ansatz, sie zu verändern, mit kölschem „Jeföhl“ angereichert und dadurch unterlaufen.