Kann man pastorales Wirken der Effizienz unterordnen? Kardinal Woelkis Pläne haben bei der langjährigen Kulturstaatsministerin Entsetzen ausgelöst.
Monika Grütters mit Kritik„Woelkis Vorgehen macht mich ratlos bis wütend“
Mit Entsetzen hat die langjährige Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) auf Pläne des Erzbistums Köln reagiert, die künftige personelle und finanzielle Ausstattung der verschiedenen kirchlichen „Funktionsbereiche“ – unter anderem des Kunstmuseums Kolumba – von der messbaren Wirksamkeit ihrer Aktivitäten abhängig zu machen. „Es wirkt auf mich wie ein Ausdruck großer Hilflosigkeit, wenn einem Bistum nichts anderes mehr einfällt, als mit betriebswirtschaftlichen Parametern spirituelles und kulturelles Wirken oder seelsorgerische Leistungen messen zu wollen. Da passen zwei gänzlich unterschiedliche Denkmuster und Welten einfach nicht zusammen“, sagte Grütters dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Wie berichtet, lässt Kardinal Rainer Woelkis neuer Bereichsleiter Strategie, Simon Schmidbaur, derzeit in einem Fragebogen die Beiträge katholischer Einrichtungen und Institutionen zu vier „strategischen Zielen“ des Kardinals unter dem Oberbegriff der „Evangelisierung“ erheben: Nachfolge leben, missionarisch Kirche sein, diakonisch wirken und generationengerecht handeln. Auch Kolumba oder das Historische Archiv des Bistums sollen Auskunft über messbare Wirksamkeit und „quantitative Veränderungen“ – konkret: Wachstum – geben.
Erzbistum Köln: „Auch ein Museum hat Zahlen“
Die zurückgehende Kirchenbindung beeinflusse die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Kirchen, erklärte Woelkis Kommunikationsleiter Wolfram Eberhardt dazu auf Anfrage. „Das Erzbistum Köln ist deshalb in Gesprächen über die pastoralen Schwerpunkte.“ Ziel sei es, „die eigene Zukunft als einladende und dienende Kirche zu gestalten“. Zum Sinn von Kennzahlen für pastorale Effizienz bei einem Haus wie Kolumba sprach Eberhardt von einem „Annäherungsprozess“. Aber: „Auch ein Museum hat Zahlen.“
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Kultureinrichtungen, hielt Grütters dem entgegen, „entziehen sich den Kriterien ökonomischer Verwertbarkeit. Sie stehen für das entgegengesetzte Lebensprinzip: Zweckfreiheit.“ Kunst und Kultur müssten ihrem Wesen nach „kritisches Korrektiv in unserer demokratischen Gesellschaft und auch mal echte Zumutung sein können, ein Angebot über die bereits gewohnte Alltagswelt hinaus. Wenn Kultur darüber hinaus unterhält - umso besser.“ Was das Museum Kolumba für das Erzbistum und den „Glaubensraum der Kirche von Köln“ leiste, bestehe gerade nicht in quantitativen, messbaren Ergebnissen.
„Ein Haus wie Kolumba gibt es in Deutschland kein zweites Mal“
„Wie gerade mit Kolumba umgegangen wird, geht nicht nur das Erzbistum Köln an“, betonte Grütters. „Ein Haus wie Kolumba gibt es in Deutschland kein zweites Mal. Das fängt mit der einzigartigen Architektur von Peter Zumthor an, setzt sich fort in einem beachtlichen und über seine Grenzen hinaus sehr bekannten, großartigen Team und mündet Jahr für Jahr in spektakulären Ausstellungen.“
Einem Museum müsse man Gelegenheit zum Experimentieren geben. „Wie will es sonst Avantgarde sein? Das bedeutet, dass man mit Ausstellungen auch mal ins Risiko gehen muss – und nicht immer auf Besucherzahlen schielen darf. Jeder, der sich mit Fortschritt beschäftigt, weiß übrigens auch, dass kulturelle Leistungen immer den wirtschaftlichen Erfolgen vorausgehen - nicht umgekehrt.“
Mehr als 50.000 Besucherinnen und Besucher jährlich
Aber wenn den Erzbischof so etwas wie Kennzahlen interessierten, dann sollte er wenigstens zur Kenntnis nehmen, „wie Kolumba mit seiner außerordentlichen Attraktivität Mäzene und Sponsoren bindet. Der Wert dessen, was allein eine einzige Sammlerin an Kunstwerken in den Museumsbestand eingebracht hat, beläuft sich auf mehr als 50 Millionen Euro. Auch könnten den Erzbischof die gut 50.000 Besucherinnen und Besucher interessieren, die Kolumba jedes Jahr hat.“
Gerade weil nicht alle zu den regelmäßigen Kirchgängern gehörten, besteche Kolumba hier durch seine buchstäbliche Attraktivität für Glaubensinhalte offenbar mehr als die Sonntagsgottesdienste. „Selbst wenn sich nicht viele direkt danach haben taufen lassen: In Kolumba erleben sie doch einen Raum der Offenheit für Religion, für Gott und den Glauben. Welche Institution kann das schon von sich behaupten?“
Ex-Kulturstaatsministerin Grütters wütend über Missachtung von Potenzialen
Selbstverständlich sei die Kultur in der Gesellschaft auch ein „wichtiger Standortfaktor“, betonte Grütters: Wo es ein gutes kulturelles Angebot gebe, lebten die Menschen lieber als anderswo. Aber in allererster Linie sei Kultur – und der Umgang mit ihr – doch vor allem eines: Ausdruck von Humanität. „Das ist ein Wert an sich. Und genau dieser Einfluss auf das Gemeinwesen rechtfertigt auch den Einsatz öffentlicher Mittel. Wie kann ausgerechnet ein Bischof so etwas vergessen oder missverstehen, der selbst Träger eines der beeindruckendsten Museen in Deutschland ist? Wie kann er eine solche Hybris an den Tag legen, Einrichtungen wie Kolumba auf Effizienzkriterien festlegen und damit herabwürdigen zu wollen?“
Eine Kunst, die sich festlegen würde auf die Wünsche ihrer Geldgeber; die das überall lauernde Risiko scheuen würde, Gefühle zu verletzen; oder die gar einer Politik oder Ideologie dienen wollte - eine derart domestizierte Kunst würde sich nicht nur ihrer Möglichkeiten, sondern auch ihres Wertes berauben, so Grütters. „Es macht mich ratlos bis wütend, wie hier diejenigen Potenziale vernachlässigt und missachtet werden, die vielleicht noch als einzige geeignet sind, Menschen über das binnenkirchliche Milieu hinaus anzuziehen und ihnen zumindest nahezubringen, worum es der katholischen Kirche eigentlich gehen sollte.“
Grütters war unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) von 2013 bis 2021 im Kanzleramt für die Kulturpolitik des Bundes verantwortlich. Im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) war sie viele Jahre Sprecherin des Sachbereichs Kultur, Medien, Bildung. „Ich habe mich zeitlebens mit Leidenschaft in zwei Bereichen engagiert: in der Kulturwelt und in der Kirche. Was sie vereint, ist die Suche nach Antworten auf letzte Fragen des Seins. Und diese Antworten lassen sich ganz sicher nicht mit dem Rechenschieber ermitteln.“
Horrende Austrittszahlen
Zuvor hatte schon der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards (Universität Bonn) gewarnt, die Kirche dürfe auch in ökonomisch schwierigeren Zeiten „mit der Rede von der Evangelisierung nicht einen Sparkurs nach rein quantitativen Kriterien bemänteln“.
Grütters sagte, in ihrer Zeit als Kulturstaatsministerin habe sie „die sinnvolle und notwendige Bewertung von Kultureinrichtungen nicht durch einschlägige kommerzielle Unternehmensberatungsfirmen vornehmen lassen, sondern zum Beispiel den Wissenschaftsrat damit beauftragt - eine Institution also, die aus eigener Erfahrung Empathie für diese Milieus mitbringt sowie mit Professionalität und Sachverstand ermessen kann, was die eigentliche Leistung von Kultur ist.“
Wenn man im Erzbistum unter Woelki als quantitative Veränderung nur gelten lasse, was „mehr wird“, dann – so Grütters weiter – „möge dieser Kardinal doch auch einmal schauen, was in seiner Verantwortung weniger geworden ist. Und da sind wir leider ganz schnell beim Schwund der Mitglieder und den horrenden Kirchenaustrittszahlen.“
Gemeinden mit Kennzahlen ihres Wirkens konfrontiert
Wie aus dem Erzbistum berichtet wird, hatte Schmidbaur den Pfarreien und Gemeindeverbünden bereits im Frühjahr Kennzahlen zu ihrem Wirken präsentiert und ihre jeweilige Performance in Relation zum Bistumsdurchschnitt bewertet. Die Folien zeigten die teils steil nach unten weisenden Kurven bei Kirchenmitgliedschaft, Gottesdienstbesuch, Taufen und anderen Sakramenten.
Dazu sagte Pastoralreferent Peter Otten aus der Kölner Citypfarrei Sankt Agnes, die pastorale Wirklichkeit umfasse viel mehr, als sich in diesen Zahlen spiegele. Beispielhaft nannte Otten eine Singschule in seiner Gemeinde mit Kindern aus zwei Grundschulen und 130 Kindern in verschiedenen Chorgruppen. „Ob die jetzt alle Kirchenmitglieder sind? Keine Ahnung! Womöglich nicht. Aber sie singen zur Ehre Gottes, daheim und im Gottesdienst. Das ist doch wunderbar – und pastorale Realität.“
Otten verwies auch auf Kunstausstellungen in der Kirche und weitere Aktivitäten seiner Gemeinde, bei denen niemand frage, ob die Teilnehmenden getauft sind oder sich anschließend taufen lassen. „Aber ist das entscheidend? Ich finde, vor allem für solche Angebote brauchen wir auch in Zukunft Ressourcen.“ Ob das im Bistumsmanagement ebenso so gesehen werde? „Davon gehe ich fest aus.“