Institutionen wie das Café Vreiheit, Limes oder Gebäude 9 machen schwere Zeiten durch.
Wie halten sich die Gastronomen über Wasser? Was geht – neben Umsatz – dabei verloren?
Wir haben mit den Inhabern gesprochen.
Mülheim – Wenn Helmut Zoch in diesen Tagen über den Wiener Platz blickt, fällt es ihm nicht ganz leicht, seinem optimistischen Wesen entsprechend vor allem positiv an die Zukunft zu denken. „Seit 1984 bin ich selbstständig und als Gastronom in Mülheim tätig, eine Situation wie diese habe ich noch nie erlebt“, sagt der 69 Jahre alte Geschäftsmann, der neben „Zoch´s Biergarten“ auf dem Platz auch die Kantine im Bezirksrathaus nebenan betreibt und Catering für private und städtische Veranstaltungen anbietet.
„Gastronomie und Veranstaltungsbranche sind von der Corona-Pandemie besonders hart betroffen“, stellt Zoch fest, der auch seit Jahren als Vorsitzender der Bürgervereinigung Mülheim aktiv ist. Viele Beschränkungen werden seit Mai weiter gelockert, der Biergarten ist seitdem wieder zugänglich, es gelten aber weiter strenge Hygiene-Vorschriften, der Mindestabstand von 1,5 Metern und weitgehend Maskenpflicht.
„Soforthilfe war ein Tropfen auf den heißen Stein“
„Eine Normalität wie vor dem Virus ist noch lange nicht in Sicht“, sagt Zoch, der seit März nur noch zwei seiner zuvor zwölf festangestellten Mitarbeiter halten konnte. „Wir mussten Mieten stunden lassen, haben zwei Fahrzeuge abgemeldet und bieten vor allem »Essen to go«“, zählt der 69-Jährige auf, „aber so macht das keinen Spaß, ein Gastronom sollte für seine Gäste im Veedel da sein, aber viele, vor allem Ältere, bleiben fern – da entsteht eine Entfremdung.“
Auch Zuliefererbetriebe – etwa Reinigungsunternehmen – bekämen die negativen Auswirkungen zu spüren. „Ja, die Soforthilfe war eine gute Sache“, bewertet Zoch die finanziellen Maßnahmen, die auch er in Anspruch genommen hat, aber im Vergleich zu den monatlichen Kosten „ein Tropfen auf den heißen Stein“.
In Nordrhein-Westfalen werden die Corona-Regeln ab Mittwoch, 15. Juli, weiter gelockert. Das NRW-Kabinett hatte die Änderungen für die Coronaschutzverordnung beschlossen, die in der neuen Version bis zum 11. August verlängert wurde. Bei Kultur- und sonstigen Veranstaltungen muss ein Hygienekonzept erst bei 300 Teilnehmern vorgelegt werden und nicht mehr schon bei 100. „Das sind zwar hoffnungsvolle Entwicklungen, aber die Unsicherheit bleibt“, konstatiert Andreas Herzog, der seit gut zehn Jahren das „Limes“ an der Mülheimer Freiheit betreibt.
Auch er hat Mitarbeiter freistellen müssen, sein Hauptgeschäft durch Konzerte, Tischkicker und den Betrieb an der Kneipentheke ist seit März massiv zurückgegangen. „Wir haben viel Solidarität und Hilfe erfahren“, sagt Herzog. Damit, mit Kaffee und Kuchen und Fensterverkauf an einigen Tagen hält sich der 51-Jährige „bislang einigermaßen über Wasser“, wie er sagt. „Aber einen zweiten Lockdown – und den halte ich angesichts von Entwicklungen wie bei Tönnies für realistisch – überleben wir nicht“, stellt Herzog fest.
Beteiligung an „Night of Light“ in Köln
„Die Kölner Live-Clubs haben ihre Türen seit dem zweiten März-Wochenende geschlossen. Seitdem: Keine Einnahmen, stattdessen das Bemühen, die Fixkosten zu bewältigen und Insolvenzen zu vermeiden“, umschreibt Pablo Geller vom Gebäude 9 die Situation. Sein Live-Club und auch das „Limes“ hatten sich im Juni darum an der „Night of Light“ beteiligt, bei der Clubs und Discos bundesweit ihre Fassaden rot angestrahlt hatten, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
Konzepte und Richtlinien für Indoor-Veranstaltungen in den Clubs seien dringend nötig, wurde dabei angemahnt, denn mit den derzeitigen Abstandsregelungen sei etwa bei Live-Auftritten von Bands und Künstlern kein wirtschaftlicher Betrieb umsetzbar.
Hilfe sei dringend nötig, das bestätigt auch der Verband Dehoga Nordrhein, der seine Mitglieder im Gastgewerbe in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Köln vertritt. 20000 Menschen seien in der Kölner Gastronomie angestellt, dazu kämen ebenso viele Aushilfen. Viele Mitarbeiter befänden sich seit Monaten in Kurzarbeit, weil zu wenig Gäste kommen. Touristen sowie Geschäftsreisende fielen aus, Pendler, die sonst zum Mittagessen ins Restaurant gehen, arbeiteten im Homeoffice.
Die Stadt unterstützt den Gastronomie-Bereich zwar unter anderem, indem sie weitere Außenflächen zulässt und dafür keine Gebühren erhebt. Davon, in Kombination mit gutem Wetter, profitiert auch Ingo Thommes, der 2009 das „Café Vreiheit“ an der Wallstraße übernommen hat. „Der Umsatz ist seit der Wiedereröffnung im Mai aber trotzdem etwa 50 Prozent geringer als früher“, sagt der 47-Jährige. Die Küche arbeite nur eingeschränkt, das Angebot auf der Karte sei deutlich reduziert.
Auch Thommes musste die Mitarbeiterzahl von ehemals 34 auf 16 einstampfen. „Wir machen später auf und schließen früher“, sagt der Gastronom, „nur mit Cappuccino und Limo im Außenbereich kommen wir nicht durch den Sommer“.
Oberbürgermeisterin Henriette Reker habe zwar auch beim Ordnungsamt in Auftrag gegeben, eine zentrale Anlaufstelle für die Anliegen der Gastronomen zu entwickeln, um unbürokratischer helfen zu können. „Aber das alles kann nur bedingt helfen, vor allem die Stimmung der Menschen ist anders als zuvor“, sagt Thommes. Ob und wann sich daran etwas ändern wird, könne niemand voraussagen. Er und sein Team haben große Solidarität erfahren, Stammgäste kommen häufig „und geben gutes Trinkgeld, aber die Vor-Corona-Normalität ist natürlich aus den Köpfen verschwunden“, so der 47-Jährige.
Sowohl Zoch als auch Herzog und Thommes wollen nicht aufgeben, versuchen optimistisch zu bleiben und hoffen auf eine Zeit, in der man sich an Corona nur noch erinnert, wie es der Vreiheit-Wirt formuliert. Alle drei haben in ihren Nischen spezifische Probleme. „So lange es geht, passen wir uns an“, fügt der Limes-Chef hinzu. Bis dahin, stellt Helmut Zoch aber klar, kämpfe jeder um sein Überleben. Eine neue Normalität, darin sind sich die drei einig, entstehe nur durch gesamtgesellschaftliche Bemühungen, bei der keine Branche ganz vergessen werde. „Vielleicht“, gibt Zoch zu bedenken, „ müssen wir alle die Corona-Krise nutzen, um ein ganz neues Denken zu entwickeln.“