Die Sicherheitsbehörden haben bei ihren Ermittlungen Fehler gemacht – einen fremdenfeindlichen Anschlag aber von vornherein für möglich gehalten, betont die Polizei.
Ermittlungen der PolizeiWarum nach dem Nagelbombenattentat 2004 in Köln Unschuldige verdächtigt wurden
Im November 2011 verbreitet sich das menschenverachtende Paulchen-Panther-Video des NSU in den deutschen Medien. Darin bekennt sich die neonazistische Terrorvereinigung zu vielen ihrer Verbrechen, unter anderem zum Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße 2004. Einem Comicbild mit der Aufschrift „Das kleine Bömbchen“ folgen in dem Bekennervideo Szenen aus TV-Nachrichtensendungen über das Kölner Attentat, versehen mit einer reißerischen Laufschrift am unteren Bildrand: „Opfer liegt im künstlichen Koma“.
Das Video, das Beate Zschäpe nach den Selbstmorden ihrer Mittäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verschickt hatte, war zugleich Durchbruch und Auftakt in den Ermittlungen zur bundesweiten rassistisch motivierten Mordserie durch den „Nationalsozialistischen Untergrund“.
Auch in Köln nahmen die Ermittler ihre jahrelang erfolglos gebliebenen Nachforschungen zum Nagelbombenattentat wieder auf. „Wir haben da Jahre reingesteckt und am Ende liegt die Lösung in der Banalität ganz woanders“, sagte der 2004 für die Ermittlungen zuständige Kölner Oberstaatsanwalt Rainer Wolf in einem Interview nach der Entdeckung des NSU. „Und wenn wir diese DVD nicht zufällig gefunden hätten, wenn sie es uns nicht selbst offenbart hätten, dann wüssten wir wahrscheinlich immer noch nicht, wer es war.“
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Köln: Friseur geriet zeitweise unter Verdacht der Polizei
Dabei hatten zwischen 2004 und 2008 zeitweise bis zu 25 Ermittlerinnen und Ermittler der Kölner Polizei in der „Ermittlungsgruppe Sprengstoff“ an dem Fall gesessen. Sie verfolgten mehr als 3000 Hinweise – fast ausschließlich die falschen, wie man längst weiß. Unter Verdacht stand phasenweise zum Beispiel die Inhaberfamilie des türkischen Friseurladens, einige ihrer Stammgäste, aber auch Kleinkriminelle, Dealer und Mitglieder der Kölner Türsteherszene und der organisierten Kriminalität. Die Ermittler hielten eine Schutzgelderpressung und eine Fehde zwischen Kurden und Türken für möglich.
Nach der Entdeckung des NSU wurde ihnen vorgeworfen, auf dem rechten Auge blind gewesen zu sein, zum Beispiel Hinweise, aber auch Aussagen von Bewohnern der Keupstraße, die ein fremdenfeindliches Motiv nahe legten, nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Der damalige Leiter der „Ermittlungsgruppe Sprengstoff“ hat dies stets bestritten, wenngleich er vor dem Untersuchungsausschuss einräumte, man habe wenn überhaupt, dann eher an zwei Einzeltäter geglaubt, nicht an ein gut organisiertes rechtes Terrornetzwerk.
Köln: Bundesinnenminister gab vorschnell die Ermittlungsrichtung vor
Der Fallanalytiker des Landeskriminalamts Thomas Müller, der 2004 ein Täterprofil des Nagelbombenattentäters angefertigt hatte, sagte 2020 dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, man habe vielmehr sogar eine fremdenfeindliche Gesinnung des oder der Täter von Anfang an für das wahrscheinlichste Motiv gehalten. Dafür habe unter anderem die Bauart des Sprengsatzes gesprochen. Aber diese Informationen der Kölner Polizei und des LKA seien damals „an höherer Stelle offenbar anders bewertet worden“, sagte Müller.
Bereits am Tag nach dem Attentat hatte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) einen ausländerfeindlichen Anschlag zwar nicht explizit ausgeschlossen, aber verkündet, die bisherigen Ermittlungen deuteten „nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu“. Ton und Richtung für die weiteren Ermittlungen waren gesetzt. Schily hatte sich später für seine rasche Festlegung entschuldigt.
Die Frage, ob und was die Ermittler verschiedener Sicherheitsbehörden damals genau falsch gemacht haben, sei es aus Schlamperei, aus gegenseitigem Misstrauen oder aus mangelnder Vorstellungskraft an eine „braune RAF“, ist bis heute nicht restlos geklärt.