Boris Becker ist einer der erfolgreichsten deutschen Fotografen. Seine Bilder hängen in renommierten deutschen Museen und Galerien.
Seit mehr als 30 Jahren lebt der Fotograf in Nippes. Liebt sein Veedel, vermisst aber städtebauliche Higlights.
Bei einem Veedelsspaziergang zeigt er seine Lieblingsorte in Nippes, lausige Flecken - und er verrät ein schräges Faible.
Köln Nippes – Nein ich spiele kein Tennis, ich bin Fotograf, und mein Vater ist nicht Kabarettist, er ist Schriftsteller“, so eröffnet Boris Becker, der Sohn von Jürgen Becker, mit dem ich im Café „Klein Berlin“ in Nippes verabredet bin, unser Gespräch. Diese Frage käme immer wieder, seitdem sein Namensvetter vor 35 Jahren in Wimbledon gewonnen hätte, erzählt er schmunzelnd und rührt in seinem Cappuccino. Der Kölner Boris Becker ist einer der erfolgreichsten deutschen Fotografen.
Seine Bilder von Häusern, Bunkern, von Brücken und Schiffshebewerken hängen in vielen deutschen Museen und Galerien. Was ihn noch reizen würde, wäre eine Ausstellung im Kölner Kolumba-Museum.
Star-Fotograf vermisst architektonische Highlights in Nippes
Becker wurde 1961 in der Südstadt geboren, ist in Dellbrück aufgewachsen und lebt inzwischen seit über 30 Jahren in Nippes. „Das Veedel hat keine Highlights, weder architektonisch noch landschaftlich“ sagt Becker und betont: „Das braucht der Nippeser nicht, der ist sehr bodenständig.“ Man müsse nicht aus Nippes raus, hätte hier alles Lebensnotwendige. Und der Dom sei weit weg, dazwischen komme erstmal die Agneskirche. „Wozu nach Berlin, wenn es das »Klein Berlin« gibt?“, fragt Becker, der hier gerne einkehrt – in Erinnerung an seine Berliner Studentenzeit.
Wir verlassen „Berlin“ und betreten einen Laden für „sinnvolle Kleidung“, in dem Boris Becker seine Jeans und Sneakers kauft. Die Besitzerin, eine gelernte Maßschneiderin, setzt auf nachhaltige Basic-Mode und verkauft nur Ware, die das Öko-Label zu 100 Prozent verdient. „Die Firmen, die ich im Angebot habe, sind alle auf Herz und Nieren getestet. Ich schaue nach fairen Löhnen, achte darauf, woher die Materialien kommen und mit welcher Bank die Firma zusammenarbeitet“, versichert Nina Höbelheinrich, die vor drei Jahren „Wertstoff“ eröffnet hat.
„Noch vor acht Jahren war diese Ecke hier rund um den Torbogen Florastraße, ein ziemlich verlauster Fleck. Alkohol, Drogen, die Nippeser haben diese Gegend gemieden“, sagt Becker und redet munter weiter von vergangenen Zeiten: In dem Ökoladen war früher ein „Alträucher“, das Flora 6 eine 24-Stunden-Trinker-Höhle, aus der die Leute morgens sturzbetrunken rausfielen, und nachdem kurz durchgewischt wurde, die ersten Gäste wieder eintrudelten.
Boris Becker: Nippes hat an Lebensqualität gewonnen
Offensichtlich: Boris Becker ist zufrieden, dass sein Veedel durch die vielen Neueröffnungen an Lebensqualität gewonnen hat. Wir gehen weiter, über die Yorckstraße, vorbei an seinem Atelier, das Becker sich gemeinsam mit seiner Frau Gabriele Paulussen, Tochter aus dem Brauhaus „Em Golde Kappes“, teilt.
Wir stoppen vor dem Nato, das eigentlich Mitica Italia heißt. Der Besitzer, Fortunato Freno, für Insider Nato, ist seit 23 Jahren eine Institution in Nippes. „Ins Nato gehe ich immer mit meinem Vater essen. Es ist fußläufig vom Atelier zu erreichen. Und schon bei der Arbeit kann ich riechen, was es zum Essen gibt. Einfach perfekt.“
Der Leipziger Platz, eine grüne Oase in Nippes
Auf dem Weg zu Beckers Stammbuchhandlung in der Blücherstraße, in dessen Schaufenster – versteht sich – seine Bildbände ausliegen, queren wir den Leipziger Platz. „Ich gehe jeden Morgen von der Wohnung zum Atelier durch diese kleine grüne Oase. Das macht den Kopf klar. Sonst gibt es noch das Nippeser Tälchen, eine Talsenke, ein alter ausgetrockneter Rheinarm – auch sehr idyllisch.“
Wir queren die Neusser Straße, die kulinarisch und „Shopping“-technisch wohl eher keine Erwähnung in einem Reiseführer finden dürfte. Doch Becker hat eine kleine Schwäche für Ramschläden, wie er unumwunden zugibt.
„Ich wollte bei dem Spaziergang eigentlich nur zu Kodi, Tedi, KiK und dem Ein-Euro- Shop, da stöbere ich gerne, die haben schräge Sachen, Dinge, nach denen man nie gesucht hätte und auch niemals braucht, aber so schräg, dass sie wieder toll sind.“
Boris Becker ist Köln-Marathon-Fan
Becker ist schon vier Mal den Köln-Marathon gelaufen. „Bei Kilometer 30 ist man in Nippes, ein Zeitpunkt, an dem einen schlagartig die Kräfte verlassen. Ich hatte immer den Heimvorteil, konnte alle Leute, die ich kannte, abklatschen. Das war richtig schön.“ Heute joggt der 59-Jährige maximal bis zur Südbrücke, die er gerade wegen ihres gammeligen Zustandes charmant findet. Und er muss es wissen: Denn neben Hochbunkern hat Becker auch Brücken fotografiert.
Der Spaziergang durch sein Veedel neigt sich dem Ende. Fast. Jenseits der Neusser Straße hat der Profi-Fotograf noch zwei Nippeser Highlights im Repertoire, die er zielstrebig ansteuert. Zunächst geht’s zur Kfz-Werkstatt von Michael Granzow, die schon seit 37 Jahren in der Niehler Straße 76-78 beheimatet ist.
Die Werkzeugwand im Inneren hat musealen Charakter, aber der Chef weiß, wo er was findet. „Granzow, meinen persönlichen Schrauber nenne ich Rettung in der Not“, sagt Becker, „immer wenn mein VW-Bus streikt, hat er Wunder vollbracht. Wir ticken beide gleich, nicht nur was Autos betrifft, wir haben uns schon zufällig in einem fast leeren Kino getroffen um den Film «972 Breakdowns» zu schauen.“
Das zweite Highlight ist süß, eiskalt und seit 65 Jahren in der Cranachstraße ansässig. Boris Becker, seine Frau und ihre beiden erwachsenen Kinder laufen quer durch Nippes, um bei Engeln einen Krokant-Becher zu essen. „Bei uns gibt es Eis ohne Eispulver und Fruchteis mit echten Früchten. Wir verzichten auf Lametta, auf riesige Becher mit viel Schmuck. Bei uns gibt es alles pur, eine Ablenkung brauchen wir nicht“, sagt Herbert Engeln, Eismacher in der dritten Generation.
Auf dem Rückweg Richtung Atelier laufen wir kreuz und quer durch das Veedel, in dem Boris Becker sein halbes Leben verbracht hat.
Die Kolibri-Bar, das alte Bordell, in Beckers Foto-Sammlung
„Ich schlendere stets mit offenen Augen durch die Gegend, aber städtebaulich sieht es hier offen gestanden eher mau aus. Vor Jahren habe ich die Kolibri-Bar, den alten Puff, fotografiert.
Das Etablissement wurde 1996 abgerissen, das Foto mit der auffälligen schwarz-roten Außenfassade existiert nur noch in meiner Sammlung“, verrät Becker, dessen großformatige Industrie- und Naturfotografien fünfstellige Summen erzielen.