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„Das weltweit größte Archiv“Wie Reinhold Kruse die Geschichte von Nippes aufarbeitet

Lesezeit 4 Minuten
Reinhold Kruse steht in seinem Archiv in Köln-Nippes.

Die penibelste Ordnung herrscht in Reinhold Kruses Nippes-Archiv nicht, aber der Archivar findet sich bestens zurecht.

Seit 35 Jahren sammelt Reinhold Kruse alles, was er über Nippes finden kann. Angefangen hat alles mit dem Urgroßvater seiner Frau.

Die Papierstapel werden immer höher. Wann immer etwas über Nippes in der Zeitung steht, schneidet Reinhold Kruse es aus und sortiert es ein in sein zimmerhohes Regal, in dem penible Ordnung nicht die oberste Priorität zu haben scheint. Aber Reinhold Kruse findet sich zurecht und nur darauf kommt es an. Hier, im dritten Stock eines hübschen Gründerzeitgebäudes am Erzbergerplatz, ist nicht nur Reinhold Kruse zu Hause, sondern auch das Gedächtnis von Nippes.

Seit 35 Jahren sammelt er alles, was es über die Vergangenheit des Stadtteils und seiner nördlichen Nachbar-Veedel zu finden gibt. Bücher, Landkarten, Fotos. Nirgendwo sonst balle sich die historische Detailkenntnis so wie hier, sagt der Archivar selbstbewusst, aber auch ein wenig selbstironisch: „Ich habe hier das weltweit größte Archiv für die Stadtteile Nippes, Mauenheim und Bilderstöckchen.“

Geboren in Aachen, nach Nippes gezogen wegen der Frau

Reinhold Kruse wurde in Aachen geboren. Nach Nippes verschlug es ihn durch seine Frau, die aus einer alteingesessenen örtlichen Familie stammt. Besondere Spuren hinterließ in Nippes ihr Urgroßvater Gustav Krähmer. Aber erst Reinhold Kruse fand heraus, was Krähmer genau tat. Eines Tages kam sein Schwiegervater mit einer Postkarte auf ihn zu, darauf eine Darstellung des Nippeser Volksgartens und der Name des Besitzers: Gustav Krähmer. „Er hat mich gebeten, das mal zu recherchieren.“ Denn über den erfolgreichen Kaufmann, Gastronom und Vater von zehn Kindern war damals so gut wie nichts bekannt.

Reinhold Kruse ließ sich in der Universitäts-Bibliothek Bände des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus dem Jahr 1895 geben und blätterte sie Seite für Seite durch. Irgendwann stieß er auf das, wonach er suchte: Anzeigen, mit denen Gustav Krähmer für seinen Nippeser Volksgarten warb. „Das war ein Highlight in der Recherche“, sagt Reinhold Kruse. Die bis dahin eher abstrakte Vergangenheit füllte sich allmählich mit Leben.

Alte Postkarten aus Nippes

Im Archiv von Reinhold Kruse finden sich auch viele alte Postkarten aus Nippes.

Der Nippeser Volksgarten war ab 1893 eine Parkanlage mit einem Weiher und einem Gartensaal an seinem Ufer. Erreichbar war er durch die Restauration „Nippeser Volksgarten“ im Haus Neusser Straße 315. Der Weiher befand sich in einer alten Rheinrinne, die das riesige Nippeser Überschwemmungsgebiet des Rheins nördlich der Böschung entlang der Mauenheimer- und Florastraße be- und entwässerte. Nur der Weiher, der sich parallel zur Mauenheimer Straße zwischen dem Niehler Kirchweg und der Neusser Straße erstreckte, war ganzjährig gefüllt: „Weil er so tief lag und unmittelbar Kontakt mit dem Grundwasser hatte“, so Kruse.

Gustav Krähmer hatte große Pläne mit dem Weiher in Nippes

Gustav Krähmer betrieb eigentlich am Eigelstein ein Butter-Eier-Käse-Geschäft. Aber er war begeistert, als er 1889 erstmals sah, was die Familie Steinberger aus dem etwa 300 Meter langen Gewässer gemacht hatte. Nämlich ein Ausflugsziel mit „Milchkur“ sowie Kaffee- und Flaschenbier-Verkauf, dazu konnten sich Gäste kleine Bötchen am Steinberger’schen Gut an der Mauenheimer Straße ausleihen.

Krähmer hatte noch größere Pläne, pachtete den Weiher und die dazugehörigen Grünflächen und baute das Gelände zu einem attraktiven Erholungsort aus, vergleichbar mit dem seit 1889 bestehenden Volksgarten in der Kölner Südstadt. Ob Konzerte, Sommerfeste, Kirmesveranstaltungen oder Tanzabende – Gustav Krähmer stellte immer etwas auf die Beine, um das Feiervolk zu locken. Alle Nippeser Vereine mieteten sich hier in der Restauration und der Gartenwirtschaft ein.

Wenn Reinhold Kruse in seinem Archiv durch das Fenster schaut, kann er Reste des Parkgeländes im Hinterhof sehen. Pärchen trafen sich hier im Schummerlicht zum Stelldichein. Auch das zeigt eine Postkarte, die er bei seinen Recherchen fand. Doch schon um die Jahrhundertwende war die Party vorbei: Im Zuge der Stadterweiterung wurde der Weiher ab 1903 zugeschüttet und das Gelände auf das Niveau des Nippeser Hochgebietes aufgefüllt und bebaut. Stolze Bürgerhäuser entstanden und der Erzbergerplatz. Die früheren Niveauunterschiede des Geländes wurden durch Aufschüttungen angeglichen. Gustav Krähmer konnte seinen Amüsierbetrieb nicht mehr fortführen.

Reinhold Kruse kennt seine Umgebung wie kein Zweiter

Reinhold Kruse ist es zu verdanken, dass diese und viele andere vergessene Geschichten wieder aufleben. Die Spurensuche rund um den Nippeser Volksgarten faszinierte ihn so sehr, dass er weiter machte und immer mehr über seinen Heimatstadtteil herausfand. „Letztendlich geht es darum, Dinge zu finden, die längst abgetaucht waren“, sagt er. Weil er bis zur Rente nur in Teilzeit arbeitete, konnte er sich einige Stunden am Tag in Archiven vergraben.

Herausgekommen sind unter anderem zwölf Buchveröffentlichungen zu lokalhistorischen Themen. Ob Schillplatz, Erzbergerplatz, Blücherpark oder Wilhelmplatz – Reinhold Kruse, für sein Engagement mit dem Rheinlandtaler des Landschaftsverbands Rheinland dekoriert, kennt seine Umgebung wie kein Zweiter. Und von seinem Archiv im dritten Stock ist es immer nur ein Katzensprung zu seinen Forschungsobjekten.