Köln – „Dä Hein vun dr Domplaat – wor e Levve lang Elektro-montör// Firma pleite, Frau fottjelaufe – alles leef quer“ 25 Jahre ist es her, als die Höhner mit dem Song „Alles verlore“ auf die prekäre Lage von Obdachlosen aufmerksam gemacht haben. Doch noch immer läuft vieles quer in Köln, noch immer landen viel zu viele Menschen auf der Domplatte. Über 7000 Menschen sind aktuell in Köln wohnungslos gemeldet. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl verdoppelt.
Die Vereine „Helping Hands“ und die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) haben deswegen am Wochenende dazu eingeladen in einer Solidaritätsaktion drei Nächte am Hauptbahnhof zu übernachten und gemeinsam mit Obdachlosen und prominenter Unterstützung wie Investigativjournalist Günter Wallraff und Kabarettist Jürgen Becker gegen diese Zustände zu protestieren.
Die AG Arsch Huh hat den alten Song der Höhner zu diesem Zweck wieder aufgegriffen und am Freitag auf der kleinen Zeltbühne eine neue Version vorgetragen. Die Botschaft aber bleibt die gleiche: es muss mehr getan werden gegen das Elend. Die Forderungen des Bündnisses: für jeden Obdachlosen ein eigenes Zimmer, einen städtischen Fahrplan zur Überwindung der Obdachlosigkeit bis 2030 und eine Notunterkunft nach Vorbild des „Gullivers“ am Hauptbahnhof auch auf der rechte Rheinseite in Mülheim.
Nach dem Konzert von Arsch Huh diskutierten die Initiativen und ihre prominente Unterstützung das Problem mit dem etwa dreißigköpfigen Publikum. Vor allem die Frage, warum in Köln so wenig passiert, beschäftigte die Redner. „Es wird viel über Obdachlose geredet, aber mit Obdachlosen redet niemand“, sagte Nicole Freyaldenhoven von „Helping Hands“. Auch deswegen baten die Veranstalter die Obdachlosen selbst auf die Bühne, um über ihre Erfahrungen zu berichten.
Günter Wallraff erzählt von seinen Erfahrungen in der Obdachlosigkeit
Da erzählte etwa Bernhard von den kalten Wintern ohne Wohnung, in denen er Zuflucht im Hauptbahnhof suchte und von Mitarbeitern der Deutschen Bahn vertrieben wurde. Oder Dagmar, die als Medizinerin in England gearbeitet hat. Nachdem ihr Sohn verschwand, erlitt sie einen Zusammenbruch und lebt nun seit über drei Jahren auf der Straße. „Was mir passiert ist, kann jedem passieren“, fasst sie zusammen.
Auch Günter Wallraff berichtete von seinen Erfahrungen mit der Obdachlosigkeit. Er verweigerte den Kriegsdienst, wurde in eine psychiatrische Anstalt überwiesen und lebte anschließend ein halbes Jahr auf den Straßen Europas. Auch in seinen Reportagen berichtete über Obdachlosigkeit. Er weiß: „Wir haben alle Klischees über Obdachlose im Kopf. Aber ich habe Menschen aus allen Milieus und Lebenslagen kennengelernt, die auf der Straße leben.“
Jürgen Becker betonte: „Im Prinzip wissen wir, wie es geht“. Die Stadt müsse Häuser aufkaufen, um sie auch sozial benachteiligten zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig müssten die enormen Immobiliengewinne der Privatinvestoren vernünftig besteuert werden. „Man sieht an Wien, dass das funktioniert.“
Auch für Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim. Seit 50 Jahren beschäftigt versucht Menschen von der Straße zu holen. „Warum ist in dieser Stadt so viel Geld für Großprojekte wie die Oper und die historische Mitte da, während die Zahl der Obdachlosen steigt?“ fragt er.
Es ist ein emotionales Thema. Als Kippe die Versäumnisse der Stadt kritisiert, läuft plötzlich ein Mann Richtung Bühne und fängt an, ihn zu beschimpfen. „Ich bin selbst Obdachlos“, ruft er Kippe immer wieder zu. Ordner schreiten ein und versuchen dem Mann zu erklären, dass es sich um eine Solidaraktion handelt. Man wolle den Obdachlosen helfen. „Ja wie denn?!“, fragt er. Schließlich schaltet sich die Polizei ein und nimmt den Mann fest.
Ein deprimierender Zwischenfall, der zeigt, wie tief Wut und Verzweiflung sitzen. Umso wichtiger das Signal, dass vom Hauptbahnhof aus an die Stadt und ihre Bewohner am Wochenende gesendet wird: Es muss etwas getan werden. Und zwar sofort.