Knapp 200 Einsatzkräfte schickt das Ordnungsamt täglich auf Streife durch die Kölner Veedel.
Zwei von ihnen hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Schicht lang durch Ehrenfeld begleitet.
Die Vornamen der beiden wurden zu ihrem Schutz geändert.
Köln – 7.45 Uhr: Unterkunft des Ordnungsdienstes, Aachener Straße in JunkersdorfIn sommerlichen Klamotten erscheinen Lea Rousseau (33) und Johannes Lobenstein (29) zum Dienst. Sie sind Teil des Teams Ehrenfeld, ihr Einsatzgebiet ist der gesamte Bezirk – von der Inneren Kanalstraße bis zur Pulheimer Stadtgrenze, von der Aachener Straße bis zur Autobahn 57. Mehr als 100.000 Einwohner auf 24 Quadratkilometern. Mit dem Aufzug fahren Rousseau und Lobenstein in die Katakomben des neuen Dienstgebäudes in Junkersdorf.
Bis 2010 hatte RTL hier seinen Sitz, alle Etagen wurden komplett umgestaltet und saniert – für die knapp 200 Einsatzkräfte des Ordnungsdienstes sind die neuen Räume und die moderne Ausstattung ein Quantensprung. Im Stadthaus in Deutz war es für sie längst zu eng geworden.
Unten im Keller, wo RTL früher Studios betrieb und Requisiten lagerte, ziehen sich die Einsatzkräfte heute in großräumigen Umkleiden um – oder besser: Sie „koppeln auf“, wie man hier sagt. Koppel heißt der Einsatzgürtel, an dem der Teleskopabwehrstock befestigt ist, ein Leatherman, ein kleines und ein großes Reizgassprühgerät, Handschuhe, Metallfesseln und Desinfektionsmittel.
In einem Konferenzraum in der ersten Etage trifft sich die Dienstgruppe Ehrenfeld zur Dienstbesprechung. Rousseau und Lobenstein werden heute mit vier weiteren Kollegen jeweils in Zweierteams unterwegs sein. Manche sind Beamte, andere – wie Rousseau und Lobenstein – tarifbeschäftigte Angestellte. Die Stimmung ist gelöst, die Laune bestens. Gruppenleiter Florian Westerhausen verteilt die Aufträge und verkündet: „Der Kollege hier vorne ist ab Mitte Juli Beamter auf Lebenszeit. Überraschend, hätte keiner mit gerechnet, ist aber so.“ Gelächter im Raum. Westerhausen scherzt weiter: „In ein paar Wochen lässt der den Stift fallen und lehnt sich zurück. Bis dahin wollen wir ihn noch ein bisschen beschäftigen.“
9.15 Uhr: Training
Wieder geht es mit dem Aufzug metertief unter die Erde: In der unterirdischen Turnhalle frischen Rousseau und Lobenstein mit einem Übungsleiter Abwehrtechniken mit dem Teleskopabwehrstock auf. Denn immer wieder werden die Einsatzkräfte von Ordnungs- und Verkehrsdienst auf der Straße bedroht und angegriffen – mit dem Stock können sie körperliche Attacken zumindest abwehren, zuschlagen dürfen sie damit nicht. Lobenstein und Rousseau mussten den Stock bislang noch nie auf der Straße einsetzen.
11.30 Uhr: Schrottfahrräder auf der Venloer Straße
Mit dem grau-roten Einsatz-Bulli des Ordnungsamtes fahren Lobenstein und Rousseau auf die Venloer Straße. Anwohner haben über „Sag’s uns“, die Beschwerde-App der Stadt Köln, zwei Schrottfahrräder in Höhe eines Sonnenstudios und einer Bäckerei gemeldet. Auf dem Weg dorthin sieht Lobenstein ein weiteres schrottreifes Mountainbike. Während seine Kolleginnen und Kollegen manchmal Schwierigkeiten haben zu erkennen, ob ein Rad noch benutzt wird oder ob es weg kann, genügt dem 29-Jährigen ein kurzer Blick – Lobenstein ist gelernter Zweiradmechaniker. Er zeigt auf das Mountainbike: „Das Steuerrohr ist weg, beide Reifen platt.“
Lobenstein klebt einen gelben Zettel mit Datumsfrist an den Rahmen. Holt der Besitzer das Rad nicht innerhalb der nächsten vier Wochen ab, erhält die AWB den Auftrag, es zu entsorgen. „Fast zehn Jahre lange habe ich dafür gesorgt, dass mehr Räder auf die Straße kommen“, sagt Lobenstein. „Und jetzt sorge ich dafür, dass die Schrotträder von der Straße runterkommen.“ Als die beiden wieder im Bulli sitzen, kommt ein neuer Auftrag über Funk.
12.30: Uhr Wohnstraße in Bickendorf
Ein 81 Jahre alter Mann ist in einem Kölner Krankenhaus verstorben, und zwar schon vor zwei Monaten. Angehörige konnten bisher nicht ermittelt werden, der Fachbereich Ordnungsbehördliche Bestattungen im Ordnungsamt beauftragt Lobenstein und Rousseau, die Wohnung des Rentners zu durchsuchen und zu versiegeln. Sie müssen nach Hinweisen auf Angehörige suchen, nach einem Testament oder einer Bestattungsvorsorge. Und sie müssen mögliche Wertsachen dokumentieren und Bargeld sichern.
„Bei so etwas weißt du nie, was dich in der Wohnung erwartet“, sagt Rousseau auf der Anfahrt. „Ich mache die Tür immer erst mal nur einen Spalt auf, um zu prüfen, wie der Geruch ist.“ Meistens nicht gut. „Eigentlich riecht es immer gleich“, sagt Lobenstein. Zwar liegt in der Wohnung in Bickendorf keine Leiche, aber die meisten Wohnungen, die die Ordnungskräfte nach Todesfällen betreten müssen, sind eher ungepflegt.
745 Menschen hat die Stadt Köln im Jahr 2019 Jahr ordnungsbehördlich bestattet, weil sich keine Hinterbliebenen finden ließen. In der Corona-Zeit waren es etwas weniger, tendenziell aber steigt die Zahl seit Jahren. Mit dem Wohnungsschlüssel des 81-Jährigen, den ein anderes Ordnungsdienst-Team im Krankenhaus abgeholt und nach Bickendorf gebracht hat, betreten Lobenstein und Rousseau das Mehrfamilienhaus. Die Reporter müssen draußen bleiben, aus rechtlichen Gründen.
13 Uhr: Wieder im Einsatzfahrzeug
Eine halbe Stunde haben die beiden Einsatzkräfte in der Ein-Zimmer-Wohnung verbracht. „Keine schlimme Wohnung“, berichtet Lobenstein. Immerhin. Muffig und nach altem Zigarettenrauch habe es dennoch gerochen. Seit 1983 lebte der Mieter in dem kleinen Raum mit Kochnische, erzählt der Eigentümer unten vor dem Haus. Ein paar vergammelte Lebensmittel hätten herumgelegen, unaufgeräumt sei es gewesen, schildert Lobenstein. „Der Spüllappen war schon fest mit der Spüle verwachsen.“
Außer ein paar Kontoauszügen haben die beiden Ermittler nichts mitgenommen. „In einer Wohnung habe ich mal in jedem Raum mehrere hundert Euro in Umschlägen gefunden“, erzählt Rousseau. Manche Leute hätten Geld hinter Bildern versteckt. Aber heute in Bickendorf: keine Wertsachen, keine Hinweise auf Angehörige.
„Nicht gerade schön“ sei es, sagt Lea Rousseau, in einer fremden Wohnung die Gegenstände verstorbener Menschen zu durchsuchen. „Man muss sich vorstellen: Man nimmt hier ja in 30 Minuten das Leben fremder Menschen auseinander“, ergänzt Lobenstein. Zwei Leichen hat er bislang gesehen, seine Kollegin vier. Es gebe Kollegen, sagt der 29-Jährige, die nehme ein solcher Einsatz emotional mehr mit als andere. Er selbst komme damit gut klar – so wie auch Lea Rousseau.
Die 33-Jährige reizt an ihrem Job vor allem die Abwechslung. Sie ist wie Lobenstein als Quereinsteigerin zum Ordnungsdienst gewechselt, hat bis vor drei Jahren noch bei einem Discounter gearbeitet. „Da war alles strukturiert: erst Obst einräumen, dann Kasse und so weiter. Hier weißt du morgens nie, was der Tag bringen wird. Das mag ich.“
14.15 Uhr: Baadenberger Senke, Naturschutzgebiet in Bocklemünd
Die Regeln sind eigentlich klar, und sie werden sind auf mehreren Schildern im Naturschutzgebiet verkündet: Das Verlassen der Asphaltwege ist verboten. Dennoch zieht es an sonnigen, warmen Tagen viele in das wild bewachsene Brachgelände und ans Ufer des in absoluter Stille gelegenen Stöckheimer Sees. Nachvollziehbar vielleicht – aber nun mal verboten. Der Ordnungsdienst erwischt regelmäßig Menschen, die sich auf Handtüchern sonnen, Nacktbadende und auch schon mal ein Liebespaar in flagranti.
„Da kamen mal ein ziemlich muskulöser Mann und eine Frau aus dem Gebüsch auf uns zu“, erzählt Lobenstein. Er habe sich schon auf Diskussionen eingestellt, aber zu seiner Überraschung hätten der Mann und seine Begleitung das Verwarngeld sofort bezahlt – in Scheinen, alles bis 55 Euro dürfen die Ordnungskräfte bar kassieren. „Die beiden hatten zwei verschiedene Adressen, offenbar wollten sie lieber keine Post nach Hause bekommen.“
An diesem Nachmittag treffen Lobenstein und Rousseau die beiden anderen Teams aus Ehrenfeld zum gemeinsamen Kontrollgang. Abseits des Weges, auf einer Anhöhe mit Blick auf den See sitzen zwei Männer in Unterhosen, neben ihnen ein Einweggrill. „Wir wollten nur ein bisschen entspannen“, sagt der eine. Aber die Ordnungskräfte bleiben hart, sie geben den beiden den Tipp, ein paar hundert Meter weiter zum Pescher zu ziehen. Baden allerdings ist auch dort verboten. Die Männer kriegen bald Post, sie müssen mit einem Verwarn- oder einem Bußgeld rechnen.
15.00: Takupark
Die letzte Streife für heute: Im Takupark schauen Rousseau und Lobenstein, ob alle Hunde jenseits der Freilaufflächen angeleint sind. Sind sie tatsächlich. Nicht selten erleben die Ordnungskräfte, dass sich Hundehalter untereinander in Whatsapp-Gruppen warnen, sobald irgendwo in der Stadt ein Ermittler des Ordnungsamts in einem Park erspäht wird.
16.00 Uhr Dienstgebäude in Junkersdorf
Fast Feierabend – nur noch ein bisschen Schreibkram im Computerraum. Lea Rosseau füllt ein Formular über die „Eigentumssicherung“ in der Wohnung des Verstorbenen aus. Nur noch „abkoppeln“ in der Umkleide – dann übernehmen die Kolleginnen und Kollegen von der Spätschicht. Sie werden bis ein Uhr nachts unterwegs sein, freitags und samstags bis zwei Uhr.