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Prozess beginntWas wir über die mutmaßlichen Terrorpläne in Köln-Chorweiler wissen

Lesezeit 5 Minuten

SEK-Beamte mit Atemschutzmasken verlassen am 12. Juni 2018 das Hochhaus im Kölner Stadtteil Chorweiler.

  1. In Düsseldorf beginnt der Prozess gegen Sief Allah H..
  2. Der 30-Jährige wollte laut Staatsanwalt in Köln-Chorweiler im Namen des IS eine tödliche Rizin-Bombe bauen.
  3. Zur Katastrophe kam es nicht. Was wir über den Fall wissen.

Köln – Der Bau der Bio-Splitterbombe schien weit fortgeschritten. Sief Allah H., 30, soll in einer Wohnung in Köln-Chorweiler fleißig an seinem explosiven Eigenbau gebastelt haben, zahlreiche der Bestandteile hatte er über Internet-Händler bezogen. So auch jene 3300 Rizinussamen, von denen der tunesische Islamist schon einige mittels Knoblauchpresse und Kaffeemühle zerkleinert und zum hochtoxischem Biokampfstoff Rizin verarbeitet hatte. Seine 13 Jahre ältere Frau Yasmin soll ihn bei der Beschaffung der Materialien unterstützt haben.

Bei der Razzia der Staatsschützer am 12. Juni 2018 fanden sich unter anderem Stahlkugeln, mit Drähten verbundene Glühlampen, Nagellack sowie ein knappes Kilogramm Sprengstoff. Dafür war der Tunesier eigens nach Polen gefahren, um höchst explosive Feuerwerkskörper zu beschaffen. Eine Probesprengung soll erfolgreich verlaufen sein. Offenbar wollte der mutmaßliche Anhänger der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) eine möglichst große Streuwirkung erzielen. Ein Zünder für die Giftbombe soll fast fertig gewesen sein. Mit dem Rizin-Sprengsatz hätte der Radikale laut Anklage der Bundesanwaltschaft vermutlich hundert Menschen töten können, wenn er alle Samen verarbeitet hätte. Ein monströses Verbrechen: Zum ersten Mal sollen Radikale hierzulande einen Anschlag mit Bio-Waffen in Angriff genommen haben.

Dem IS-Kalifen die Treue geschworen?

Von Freitag an müssen sich der Bombenbauer und seine Frau vor dem 6. Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft den Eheleuten neben dem Bombenbau die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vor. Sief Allah H. steht ferner vor Gericht wegen seiner Versuche, sich den IS-Terrorgarden anzuschließen. Über soziale Netzwerke soll er dem selbst ernannten IS-Kalifen Abu Bark al-Baghdadi den Treueeid geschworen haben.

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Im Jahr 2014 hatten sich die Angeklagten in einschlägigen Islamisten-Chats kennengelernt. Die deutsche Konvertitin Yasmin, eine gelernte Arzthelferin, flog eigens nach Tunesien, um auch standesamtlich zu heiraten. Im November 2016 reiste der Gatte zwecks Familienzusammenführung nach Deutschland. Yasmin H. ist Mutter von sieben Kindern, zwei stammen aus der Ehe mit ihrem jetzigen Mann. Die Jungen und Mädchen wurden inzwischen in Pflegefamilien gegeben.

Paar wollte nach Syrien reisen

Bereits frühzeitig wollte das Paar nach Syrien reisen, um sich den Kalifatsbrigaden anzuschließen. Doch das Vorhaben gestaltete sich mehr als schwierig. Der IS befand sich längst im Niedergang und musste viele besetzte Gebiete in der Levante aufgeben. Gleich zweimal scheiterte Sief Allah H. im Spätsommer 2017 mit seinen Versuchen, von der Türkei aus weiter ins Kriegsgebiet zu gelangen. Schleuser ließen sich nur schwerlich finden. Frustriert kehrte der gescheiterte „Gotteskrieger“ nach Chorweiler zurück. Fortan soll das Ehepaar laut Anklage auf Vorschlag von IS-Kontaktleuten ein anderes Vorhaben betrieben haben: so viele Ungläubige wie möglich in Deutschland zu töten.

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Akribisch lernte Sief Allah H. den Bombenbau. Er surfte auf einschlägigen Seiten, fand zum Beispiel heraus, wie man einen Sprengkörper mittels zweier miteinander gekoppelter Handys zünden kann und stieß auf einen Leitfaden zur Herstellung einer Bio-Bombe. Die Ermittler entdecken später konspirative Telegram-Chats mit mutmaßlichen IS-Kämpfern. Im Mai 2018 kündigte H. den Bau einer „tödlichen Sprengladung“ an, um in Deutschland ein Blutbad anzurichten. Einer seiner Mentoren ermutigte den Tunesier und bot an, ihn „Schritt für Schritt zu begleiten“.

Schritt für Schritt zum Bomben-Attentat

Zugute kam dem Angeklagten ein Wasserschaden in der Familienwohnung. Das Paar bezog mit seinen Kindern zwar ein neues Quartier im selben Haus. Sief Allah H. allerdings nutzte die alte Heimstatt weiter mit dem Hinweis auf seine dortige WLAN-Verbindung. Ohne Zugang zum Netz wären weitere Bestellungen zum Bau der Bombe nicht möglich gewesen. Zudem produzierte der Islamist in dem Quartier das Bio-Gift.

Die Staatsschützer wurden zum ersten Mal im Jahr 2017 auf den Mann aufmerksam. So informierte das Ausländeramt der Stadt Köln die hiesige Polizei am 12. Oktober, dass Sief Allah H. den Verlust seines Reisepasses gemeldet hatte – in Islamistenkreisen ein häufig benutzter Trick, um verräterische Aus- und Einreisestempel aus der Welt zu schaffen. Im Fall des Tunesiers überprüften die Beamten den Vorgang nach dem Konzept zur „Früherkennung islamistischer Terroristen“ – zunächst allerdings erfolglos.

Ehefrau von Sief Allah H. ging zur Polizei

Allerdings scheint auch bei den Terrorverdächtigen seinerzeit nicht alles rundgelaufen zu sein. Am 8. Januar 2018 meldete sich die Ehefrau Yasmin H. auf der Polizeiwache in Chorweiler. Die Konvertitin berichtete, dass ihr Mann sie mehrfach geschlagen habe – stets sei es um das richtige Verhalten nach dem strengen Ritus radikal-islamischer Salafisten gegangen. Die Polizei erteilte dem Gatten ein zehntägiges Hausverbot und ermittelte gegen ihn wegen häuslicher Gewalt. Am 25. Januar erschien das Paar wieder vereint auf der Wache, die Frau nahm die Anzeige zurück.

Bald stellte sich heraus, dass der gewaltbereite Ehemann seit seinen missglückten Ausreisen in den Dschihad nach Syrien auch im Blickfeld der Bundesverfassungsschützer (BfV) stand. Mitte März 2018 informierte das BfV die Kölner Behörden, dass man die Zielperson weiterhin in Eigenregie observieren werde. Noch schienen die Hinweise auf eine terroristische Gefahr zu diffus. Auch wenn Meldungen aus der tunesischen Heimat den deutschen Inlandsnachrichtendienst erreichten, die Sief Allah H. eine Nähe zum IS zuschrieben.

US-Partnerdienst meldete Pläne für mögliches Attentat

Erst Anfang Juni schlugen die Verfassungsschützer im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin-Treptow Alarm: Ein US-Partnerdienst hatte gemeldet, dass der Islamist aus Chorweiler möglicherweise ein Attentat hierzulande plane. Er habe auffällige Dinge im Internet bestellt. Weitere Nachforschungen ergaben, dass der Verdächtige sich seit Wochen über Amazon Rizinussamen und andere Teile zur Herstellung einer Gift-Bombe beschaffte.

Als Sief Allah H. zudem einen Schlafsack mit mobiler Zusatzbatterie sowie, wie aus abgehörten Telefonaten weiter hervorging, seine Frau um 1000 Euro bat, deutete das nach Ansicht der Ermittler auf eine geplante Flucht nach einem geglückten Anschlag. Deshalb erfolgte an jenem 12. Juni der Zugriff.

Keine Hinweise auf Zeitpunkt und Ort eines möglichen Anschlags

Sief Allah H. äußert sich bis heute nicht zu den Vorwürfen. Serkan Alkan, einer seiner Strafverteidiger, erklärte, dass sein Mandant keine Angaben zum Prozessauftakt machen werde. „Die Vorwürfe wiegen äußerst schwer, wir werden sehen, wie sich das Verfahren entwickelt“, erklärte der Anwalt. Zugleich wies Alkan daraufhin, dass „bis jetzt keine Hinweise gefunden wurden, wo und wann ein angeblicher Anschlag hätte stattfinden sollen“.