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Mohrenstraßen-DebatteDiese umstrittenen Kölner Straßen erinnern an deutsche Kolonien

Lesezeit 6 Minuten
Starßennamen Afrikaviertel 1

Umstritten: Straßennamen wie Tangastraße oder Namibiastraße

  1. „Lügenfritz“, „Blutige Hand“ und „Hänge-Peters“: Die Spottnamen, mit denen deutsche Kolonisatoren in Afrika bedacht wurden, zeugt von deren Brutalität.
  2. Dennoch erinnerten im „Afrika-Viertel“ in Nippes jahrzehntelang die Lüderitzstraße und die Carl-Peters-Straße an die beiden Männer.
  3. Und noch immer existieren in Köln Straßennamen mit Bezug zur Kolonialgeschichte. Sollten sie umbenannt werden?

Köln – Beim Landerwerb in Westafrika kannte der Bremer Großkaufmann Adolf Lüderitz keine Skrupel. Mit Kaufverträgen, in denen in betrügerischer Absicht offengelassen war, ob es sich bei dem genannten Längenmaß um deutsche Meilen (rund 7,5 Kilometer) oder die kürzeren englischen Meilen (circa 1,6 Kilometer) handelte, luchste er 1883 den Nama, einer dort beheimateten Volksgruppe, Gebiete ab, die größer waren, als sie angenommen hatten. Der „Meilenschwindel“ trug Lüderitz den Spottnamen „Lügenfritz“ ein.

Die Besitzungen waren die Keimzelle der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, die von 1884 bis 1915 bestand und heute Namibia heißt. Brutaler ging Carl Peters vor. Der Vorsitzende der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ eignete sich durch „Schutzverträge“ das Kernland des späteren Deutsch-Ostafrika an, aus dem Tansania, Burundi und Ruanda hervorgingen. Zur Grausamkeit seiner Amtsführung als Reichskommissar für das Kilimandscharo-Gebiet gehörte, dass er die Todesstrafe willkürlich anwandte. „Blutige Hand“ und „Hänge-Peters“ wurde er genannt.

Namen aus der Nazi-Zeit

Im „Afrika-Viertel“ in Nippes erinnerten jahrzehntelang die Lüderitzstraße und die Carl-Peters-Straße an die beiden Männer – bis im Oktober 1990 die Bezirksvertretung die Umbenennung beschloss, nachdem sich besonders die Grünen und Dritte-Welt-Gruppen dafür eingesetzt hatten. 1991 wurde aus der Lüderitz- die Usambarastraße (nach den Usambara-Bergen in Tansania), und die Carl-Peters-Straße hieß fortan Namibiastraße.

Die Kölner Afrikanistik-Professorin Marianne Bechhaus-Gerst, Expertin für deutsche Kolonialgeschichte, kritisiert, bei den Namensänderungen habe man die geografischen Bezüge verkehrt: „Lüderitz hatte nichts mit den Usambara-Bergen zu tun und Carl Peters nichts mit Namibia.“ Zudem sei der historische Kontext außer Acht gelassen worden. Die ursprünglichen Namen stammten aus der Nazi-Zeit.

Straßennamen Togostraße

Die Togostraße im Afrika-Viertel in Nippes

Die Benennung der Straßen war dem Anspruch des Nazi-Regimes geschuldet, die verlorenen afrikanischen Kolonien zurückzubekommen. Die Kamerun-, Togo- und Tangastraße haben ihre Namen behalten, ebenso die Gustav-Nachtigal-Straße. Letzterer gilt als „Afrikaforscher“, doch als Reichskommissar für Deutsch-Westafrika war auch er in die Kolonialpolitik eingespannt; er beglaubigte den Landraub von Lüderitz. 1884 stellte er „Togoland“ und Kamerun unter „deutschen Schutz“.

In Berlin ist man weniger nachsichtig mit ihm als in Köln. 2016 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte, den Nachtigalplatz im Wedding umzubenennen; 2018 gab sie bekannt, der Platz solle nach Emily Rudolf Duala Manga Bell benannt werden, die den Widerstand der Duala gegen die deutsche Kolonialherrschaft anführten. Eine Vielzahl von Widersprüchen hat bisher die Namensänderung verhindert.

Gustav-Nachtigall-Straße

Das Schild der Gustav-Nachtigal-Straße wurde aus Protest übersprüht.

Auch im Bezirk Ehrenfeld erinnern Straßennamen an die koloniale Vergangenheit Deutschlands, beispielsweise die Wißmann- und die Gravenreuthstraße. Hermann von Wissmann, auch er als „Afrikaforscher“ bezeichnet, sorgte als Reichskommissar und militärischer Befehlshaber 1889/90 dafür, dass der Widerstand der ostafrikanischen Küstenbevölkerung gebrochen wurde; 1895/96 war er Gouverneur von Deutsch-Ostafrika. Noch zu seinen Lebzeiten, 1888, wurde die Straße in Ehrenfeld nach ihm benannt. Sein Grab befindet sich auf Melaten; als es 100 Jahre nach seinem Tod aufgelöst werden sollte, übernahm der „Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen“ die Patenschaft.

Karl Freiherr von Gravenreuth, der 1891, kurz nach seinem Tod, zum Namensgeber der Straße in Köln wurde, war Kompanieführer der „Wissmann-Truppe“, die jenen Küstenaufstand niederschlug. Zwei Jahre darauf ging er im Auftrag des Deutschen Reichs nach Kamerun, wo er eine paramilitärische Söldnertruppe aufbauen sollte; eigenmächtig stellte er seine Mannschaften vorwiegend aus Sklaven zusammen, die er im Königreich Dahomey ankaufte. Mit ihnen unternahm er Expeditionen gegen einheimische Ethnien. Bei einem Gefecht wurde er tödlich verletzt. Wie Wissmann feierten die Nazis ihn als Kolonialhelden. Bechhaus-Gerst hält beide Männer schlicht für „Kolonialverbrecher“, die eine „Politik der verbrannten Erde“ verfolgt hätten, und plädiert dafür, die Straßen umzubenennen.

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Die Antirassismus-Proteste nach dem Tod von George Floyd in den USA haben dazu geführt, dass sich der Blick auch auf Straßennamen wieder geschärft hat. Das zeigt zum Beispiel die Debatte darüber, ob die Mohrenstraße in der Südstadt umbenannt werden soll. Die Frage des Umgangs mit solchen Namen ist auch in Köln beileibe nicht neu. So fand im Januar 2009 im Stadtmuseum ein entsprechender Themenabend statt, organisiert von der Initiative Köln Postkolonial des Vereins Kopf-Welten – gegen Rassismus und Intoleranz, dessen Initiatorin und Vorsitzende Bechhaus-Gerst ist. Bis zum Februar jenes Jahres war im Bezirksrathaus Nippes eine Ausstellung zu den Straßennamen des Afrika-Viertels zu sehen, ebenfalls von „Köln Postkolonial“ auf die Beine gestellt und kuratiert von Bechhaus-Gerst.

Widerstand gegen die Umbenennung

Angespannt war im März 2010 die Stimmung, als es in der überfüllten Aula der Eichendorff-Realschule in Neuehrenfeld bei einer Podiumsdiskussion um „koloniale Erinnerungskultur“ ging. Der Blick richtete sich hier besonders auf ein anderes Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte: die Beteiligung daran, den „Boxer-Aufstand“ in China zu ersticken. Zuvor war in der Bezirksvertretung Ehrenfeld diskutiert worden, ob unter anderem Straßennamen im „Chinesen-Viertel“ abgeschafft werden sollten. Konkret ging es um den Takuplatz sowie die Taku-, Lans- und Iltisstraße.

Rasch formierte sich Widerstand gegen eine Umbenennung. Manche Gäste der Veranstaltung, an der auch Bechhaus-Gerst teilnahm, erschienen im Kostüm ihres Karnevalsvereins Ihrefelder Chinese, um der Befürchtung Ausdruck zu geben, die Identität ihres Viertels sei bedroht – abgesehen von den Kosten, die anfallen, wenn auf Dokumenten die Adresse geändert werden muss.

1913 hatte die Ehrenfelder Arbeiter-Wohnungsgenossenschaft die fraglichen Namen festgelegt. Korvettenkapitän Wilhelm von Lans war im Jahr 1900 Kommandant des deutschen Kanonenboots „Iltis“, das als Teil alliierter Streitkräfte die Taku-Forts südöstlich von Peking beschoss. Dort hatten sich chinesische Kämpfer verschanzt, die zu der Widerstandsbewegung „In Rechtschaffenheit vereinigte Faustkämpfer“ gehörten; daher kommt die Bezeichnung als „Boxer“. Sie wehrten sich dagegen, dass sich ausländische Mächte im chinesischen Kaiserreich breitmachten. Das deutsche Militär trug dazu bei, dass die Chinesen in diesem Kolonialkrieg unterlagen.

Kiosk Takuplatz Straßennamen

Kiosk und der Platz in Neuehrenfeld tragen einen historisch sehr umstrittenen Namen.

„Mit mir gibt es keine Umbenennung“, sagte Ehrenfelds Bezirksbürgermeister Josef Wirges, der in der Iltisstraße aufgewachsen ist, bei der hitzigen Podiumsdiskussion und sprach damit für die große Mehrheit, darunter die Ihrefelder Chinese und die Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft Ehrenfeld. Die „Richtlinien des Rates für die Neu- und Umbenennung von Straßen und Plätzen“ sehen vor, dass die Stadt die amtlichen Namen auf Beschluss der jeweiligen Bezirksvertretung vergibt. Im „Chinese-Veedel“ blieb alles beim Alten – das heißt: fast alles.

Nach der Diskussion bildete sich ein Runder Tisch, der sich auf etwas einigte, das Bechhaus-Gerst „Minimalkonsens“ nennt: Am Takuplatz wurde 2011 an einer Hauswand ein Gedenkschild angebracht, auf dem zu lesen ist, der Angriff auf die Forts sei der „Beginn eines blutigen Kolonialkrieges“ gewesen und das Ereignis in Deutschland „als ruhmreiche Kolonialgeschichte heroisiert“ worden. Zum Schluss heißt es: „Die Anwohner sind heute stolz auf ihr in 100 Jahren gewachsenes »Veedel«.“