Köln – „Ein Bordell geht natürlich mit dem Zeitgeist“, sagt Armin Lobscheid. Für sein Pascha heißt Zeitgeist, nur so zum Beispiel: Immer mehr künstliche Brüste und Lippen. Es heißt: Betriebsfeiern, Konzerte, Lesungen, Theater, also möglichst bürgerlich. Und Zeitgeist heißt: Billig, billig. „Wir können nichts dagegen tun, dass die Preise immer weiter sinken“, sagt Lobscheid, im dunkelroten Funzellicht des Vorraums zum Laufhaus sitzend, das dunkle Funktions-T-Shirt in der Hose, Wildlederschuhe, bergischer Slang, maximal bürgerlich. „Dass mit den gesunkenen Preisen kommt durch die Öffnung Ost-Europas, die Konkurrenz ist größer geworden.“
Die Frauen, die ins Pascha kommen, um ihren Körper zu verkaufen, können verlangen, was sie wollen – Lobscheid interessiert nur die Tagesmiete für das Zimmer, 160 Euro. „Der Rest“, sagt der 59-Jährige, „ist ihre Sache.“ Ob die Frau, die eben neben einem Glatzkopf mit Bodybuilder-Statur aus einem weißen Audi A8 gestiegen ist, freiwillig hier ist – „können wir nicht kontrollieren“. Der Zeitgeist und die Zeitläufe machen das Geschäft nicht leichter für die Frauen, sie reißen aber auch nicht alles mit. Die weichen Teppiche, das Dämmerlicht, die süßliche Luft, die blondierten Haare, die Pop-Songs aus den 80ern, die suchenden Blicke der Männer, klein, groß, dick, dünn, Maßanzug, Jogginganzug, sehr durchschnittsbürgerlich, alles wie immer.
Veggie, bio, teuer
„Natürlich müssen wir auch mit dem Zeitgeist gehen“, sagt auch Lobscheids Nachbar Güven Temizkul. Für seinen Drive-In-Döner-Restaurant bedeutet das, nur so zum Beispiel: Dönerburger statt nur Sandwiches mit Falafel. Schnell, schnell, billig, billig. „Wir waren 2011 der erste Drive-In-Dönerladen Kölns“, sagt Temizkul. „Und das passt zur Zeit, nach wie vor.“ Aber es gebe auch eine andere Richtung, sagt der 48-Jährige, und aus der wehe der Wind. Diese Zeitgeistrichtung heißt „vegetarisch“, bio, bio, ruhig etwas teurer.
Der Wind kommt auch vom Odonien, einem der schillerndsten Kölner Orte der Subkultur, wo jedes Jahr ein Street-Food-Festival stattfindet, mit vielen Hundert Menschen, vegane Burger werden dort immer beliebter. „Vielleicht bieten wir irgendwann auch Bio-Burger an“, sagt Temizkul. Viele seiner Kunden kommen aus dem Odonien und den zwei Bordellen. „Ich bin auf alle angewiesen“, sagt der Mann mit den melancholischen Augen. Gäbe es die Etablissement nicht, dann gäbe es auch keinen Drive-In-Döner in dieser Industriewüste, in der es noch den Großhandel Möllers gibt, bei dem Lobscheid und Temizkul und das Odonien Kunden sind; ein Fleischverwerter ist auch noch auf dem Schlachthof-Gelände, die meisten der Hallen rotten vor sich hin.
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Odonien-Chef Odo Rumpf liebt das „verruchte an dem Ort“. Er führt Gäste gern über sein Gelände und zeigt Sachen aus versunkenen Zeiten. Der 54-jährige muss nicht mit dem Zeitgeist gehen, er bewahrt ihn auf. Er sammelt nicht Geweihe wie der eingefleischte Jäger Lobscheid in seinem holzvertäfelten Büro im zehnten Stock des Pascha, sondern das, was andere für Schrott halten. Rumpf macht aus Altmetall einen Solarvogel oder einen Weihnachtsbaum, Figuren aus rostigem Eisen, die gemahnen: Lasst uns den Sinn für unsere Herkunft nicht verlieren, bewahren wir die Dinge, lieber mal langsam machen, statt wegwerfen und schnell, schnell, billig, billig.
Wenn Odo Rumpf durch sein Reich führt, sieht man Stützpfeiler der so genannten Idiotenbrücke über die Innere Kanalstraße, an der immer mal wieder die Lastwagen hängen blieben, man sieht einen Bus aus den 1970er Jahren mit wunderbaren weinroten Kunstledersitzen und die alten Hallen der ehemaligen Baustellensiedlung der Deutschen Bahn; in einer der Hallen schweißt Rumpf seit zehn Jahren seine Skulpturen, in einer anderen Höhle finden jede Woche Technopartys statt. 150 Veranstaltungen gibt es jährlich im Odonien. Draußen geht der Blick auf das Pascha, das Bild einer Frau in Dessous, zehn Stockwerke groß, man guckt auf Kräne und Schrottberge, Bahnen ächzen vorbei, die Kälte kriecht in jeden Stein.
Odo Rumpf ist Vater von zwei Kindern, Armin Lobscheid hat auch zwei Kinder, sie erzählen gern von ihnen. Beide sind sozusagen fachfremd: Rumpf ist gelernter Maschinenbauer, Lobscheid normaler Vertriebler. Sie verstehen sich gut. „Super Nachbarn“, sagt Rumpf. „Beste Nachbarschaft“, sagt Lobscheid. Bis 2014 haben sie mit Pfarrer Hans Mörtter die Abschlussveranstaltung des Sommerblutfestivals in Odonien organisiert, Mörtter hat mit Gästen über Sexarbeit gesprochen, Frauen aus dem Table-Dance-Club des Pascha haben in Odonien getanzt. Es ging in der Diskussion auch um die Schablonen in unseren Köpfen, „die gesellschaftliche Ächtung von Prostituierten“, wie Lobscheid sagt. Es ging um die Paradoxie eines Gewerbes mit bürgerlichen Kunden und Frauen, die immer wieder zu Opfern von Schleppern und Zuhältern werden. Er habe sich „aus gesundheitlichen Gründen vor zwei Jahren vom Sommerblut-Festival zurückgezogen“, sagt Lobscheid.
50 Meter Köln heißt unsere Serie, in der die Redaktion die Vielfalt der Stadt ergründet. Nachbarn, die dem ersten Anschein nach Welten trennen, sprechen über ihren Alltag – regelmäßig im Lokalteil. (uk)
Es gab auch Ärger. Mitorganisatoren des Festivals kritisierten die Zusammenarbeit mit dem Bordell. Es ging wie immer um den Vorwurf des Menschenhandels, zu dem Lobscheid mantraartig wiederholt: „Die Frauen kommen freiwillig zu uns. Wir überprüfen ihre Arbeitserlaubnis und ihre Pässe und verschaffen ihnen ein Arbeitsklima, in dem sie sich wohlfühlen können. Was außerhalb des Hauses passiert, darauf haben wir leider keinen Einfluss. Wenn wir den Verdacht haben, dass Frauen nicht freiwillig hier sind, rufen wir die Polizei.“
Einer, der weiß, ob die Frauen freiwillig da sind, ist Anderson Schwarz. Der 41-Jährige ist seit 16 Jahren Friseur im Pascha, er wäscht der Transsexuellen Eva-Pamela die Haare und sagt, sehr soft: „Die Frauen erzählen mir alles. Was Männer verlangen, sie zeigen mir auch Bilder oder Videos. Oh weh.“ Er lacht, Eva-Pamela schmunzelt. Auch sie zeigt ihr Reich, 15 Quadratmeter, Ketten über dem Bett, viel Lack und Gummi. Sie lebe 30 Tage hier und zwei Wochen in Kiel, seit neun Jahren mache sie das: „freiwillig“. „Aber es gibt auch viele traurige Geschichten“, sagt Schwarz.
Wenn Armin Lobscheid durch sein Reich führt, sieht man Frauen in Dessous, Bilder mit lachenden Frauen, in den winzigen Aufzügen Frauen in Unterwäsche mit großen Brüsten, Lobscheid ist sehr nett zu allen. Sein Büro mit den Geweihen und dem Foto mit den Jagdhunden: um Meilen spießiger als Odo Rumpfs Werkhalle. Der Künstler erzählt Geschichten aus einer wilden Welt. Der Pascha-Chef erzählt Geschichten aus einer bürgerlichen Welt, zu der käuflicher Sex gehört wie Döner oder Rehe jagen.
Zum 20. Jubiläum im Januar wird das Theater der Keller im Pascha „Tschick“ aufführen. Die Domstürmer und Kuhl un de Gäng werden spielen, bei einer Herrensitzung treten die Funky Marys auf, Jazz und Kabarett sind geplant. Das Bordell geht dann wieder mit dem Zeitgeist, wie das Odonien mit seinen Technopartys und der Drive-In mit seinen Dönerburgern. Ausnahmsweise dürfen dann zu den Konzerten und Theaterstücken auch Frauen ins Pascha – als Gäste.