Das lange Zaudern und Zögern bei der Entscheidung über den Ausbau der Ost-West-Stadtbahn ist für den Geschäftsführer des Rheingold-Instituts nur ein Beispiel für eine Stadtpolitik der „gekonnten Unentschiedenheit“.
Die Lage in der viertgrößten Stadt DeutschlandsStephan Grünewald:„Köln ist Weltmeister in Sachen Wankelmut“
Der Fahrplan steht. In der letzten Sitzung des Stadtrates vor den Sommerferien am Donnerstag, 27. Juni, soll die Entscheidung fallen: Kommt die U-Bahn-Lösung für die Ost-West-Achse oder der oberirdische Ausbau? Am Mittwoch hat die Stadtverwaltung die Beschlussvorlage veröffentlicht, die noch einmal Vor- und Nachteile beider Varianten aufzeigt. Ein Großprojekt, das wie so viele andere in Köln nach jahrelangen Diskussionen politisch höchst umstritten ist. Ausgeschlossen ist nichts. Denkbar sogar, dass die Entscheidung erneut vertagt wird. Bis nach der Kommunalwahl im Herbst 2025. Wir haben mit dem Kölner Psychologen Stephan Grünewald (63), Geschäftsführer des Rheingold-Instituts, der auf als Kolumnist für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt, über die Frage gesprochen, warum in Köln große Projekte kaum vorankommen oder auf den letzten Metern scheitern.
Herr Grünewald, Sie haben schon vor Jahren Köln auf die Couch gelegt, das Seelenleben der Stadt aufgeklappt. Nach Opernsanierung und der kürzlich einkassierten Historischen Mitte steht vor der Sommerpause die nächste eine wichtige Entscheidung an. Nach sechs Jahren Vorplanung. Soll die Ost-West-Stadtbahn zwischen Heumarkt und Aachener Weiher unter der Erde verschwinden oder nicht? Warum tun sich die Kölner mit Großprojekten so schwer?
Die Kölner haben schon immer zwei Seelen in ihrer Brust. Zum einen ist da der Größenanspruch, den ich mal als Metropolenseele bezeichnen möchte. Projekte, die in Köln wachsen, haben grundsätzlich die Tendenz, überdimensioniert zu werden. Auf der anderen Seite steht die Kaffeebud-Seele, die auf Gemütlichkeit und Aufwandslosigkeit setzt. Das ist ein unauflösbarer Konflikt. Megaprojekte erfordern besonders viel Aufwand und Hingabe. Da ist Schluss mit Gemütlichkeit. Die Kölner Seele will sich möglichst beide Optionen offenhalten, den Metropolenanspruch nicht beerdigen, aber auch nicht in die Härte der Umsetzung geraten.
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So kommt man aber keinen Schritt weiter.
Dieser Mechanismus ist eine Kölner Besonderheit, die ich gern als gekonnte Unentschiedenheit bezeichne. Man schunkelt zwischen zwei Möglichkeiten hin und her, kann sich einfach nicht festlegen. Köln ist Weltmeister in Sachen Wankelmut. Am Beispiel der Historischen Mitte ist das besonders gut zu erkennen. Das war ein großer und kühner Entwurf, der aber wieder vertagt und am Ende wohl gar nicht umgesetzt wird.
Den letzten Anstoß zum zumindest vorläufigen Aus war die Entscheidung Hohen Domkirche, aus finanziellen Gründen aus dem Projekt auszusteigen.
Ich behaupte mal, es der Stadt gut ins Konzept gepasst hat, dass man ihnen die Entscheidung abgenommen hat. Sie hatte selbst große Zweifel, ob sie das stemmen können. Jetzt können sie sich darauf berufen: Wir waren das nicht. Wir hatten damit nichts zu tun.
Bei der Historischen Mitte ging es am Ende doch nur noch um die Frage: Bauen oder beerdigen? Ist der Ausbau der Ost-West-Achse nicht das Meisterstück kölscher Wankelmütigkeit? Nach dem Motto: Wir planen einfach parallel. Die Straßenbahn fürs Dorf und die U-Bahn für die Metropole.
Das kann man so sehen. Die gekonnte Unentschiedenheit hat einen großen Vorteil. Sie verhindert Konflikte. Das kommt den Kölner sehr entgegen. Klare Entscheidungen zu treffen, bedeutet nicht nur viel Aufwand, sondern ist mit Kränkungen und Verletzungen verbunden. Die werden in aller Regel vermieden. Klare Entscheidungen kamen in Köln immer dann zum Tragen, wenn es starke Persönlichkeiten gab. Konrad Adenauer war durch seine Durchsetzungsfähigkeit und seine Souveränität in der Lage, Projekte wie den Grüngürtel durchzuziehen. Oder sie kamen von außen wie bei den Preußen, die ihre Vorstellungen von einer Großstadt einfach rigide durchgedrückt haben.
Mit anderen Worten: Wir leben in einer Stadt des Stillstands.
Das trifft es nicht ganz. Wir leben eher in einem dauerhaften Provisorium. Natürlich will auch Köln keinen kompletten Stillstand. Man will die Option haben, dass es weitergeht. Dieser vage Zustand, nicht genau zu wissen, wohin die Reise geht, ist seelisch viel ausfüllender, weil man der Fantasie freien Lauf lassen kann. Das zeigt die 600-jährige Geschichte des Dombaus. Alle Generationen hatten das Gefühl, das Ding kann irgendwann einmal vollendet werden. Daran hat man immer festgehalten. Ich habe das als das Heimwerker-Momentum beschrieben. Solange man noch an einem Projekt arbeitet, kann man es in alle Richtungen austräumen. Wenn es fertig ist, verfällt man in eine Art postkoituale Depression, weil das Mögliche dann ins Faktische umschlägt. Das ist immer ernüchternd.
Zurück zur Ost-West-Achse. Haben die Kölner nach dem dramatischen Einsturz des Stadtarchivs in Sachen U-Bahn-Bau ein Trauma zurückbehalten?
Es gibt nicht nur den einen Grund. Auch ohne den Archiveinsturz hätte es solche Phänomene wie mit der Historischen Mitte oder dem Hin und Her um den Ausbau des FC-Geländes am Geißbockheim gegeben. Aber natürlich hat diese Katastrophe an der Aura von Mutter Colonia gekratzt, der Stadt, die uns alle nährt und trägt und in der man sich geborgen fühlt. Natürlich ist seither die Sorge größer, was alles drohen könnte, wenn man beim U-Bahn-Bau in die Tiefe geht. Aber das allein ist nicht ausschlaggebend für die Unentschiedenheit.
Mal angenommen, Köln läge, von Zweifeln geplagt, bei Ihnen auf der Couch und klagt: „Das kann ich mit meinen 1,1 Millionen Kindern nicht länger antun.“ Welche Therapie würden Sie empfehlen?
Es braucht mal wieder eine Persönlichkeit, die Schluss macht mit der gekonnten Unentschiedenheit, mit dem Vertagen und dem ewigen Werden. Eine Persönlichkeit, die bereit ist, sich in die Nesseln zu setzen und die Konflikte auszutragen.
Also eine Lichtgestalt, einen Heilsbringer, der alles richtet. Wie Christoph Daum und Lukas Podolski beim 1. FC Köln.
Nein. Das wäre fatal, weil ein Heilsbringer die Rettung von außen ohne eigenes Zutun verspricht. Dieser Erlösungsgedanke mag tröstlich sein, weil er keine eigene Anstrengung und keinen eigenen Aufwand bedeutet. Das ist zwar bequem, führt am Ende aber in die Unmündigkeit. Ein Abstieg ist immer schmerzlich, kann aber einen Korrekturbewegung einläuten. Man räumt auf, schafft klare Strukturen und arbeitet sich durch ein langfristiges Konzept wieder nach vorn.
Der FC mag ja noch zu retten sein. Aber die Oper? Da kann doch nur noch ein Heilsbringer helfen.
Ich glaube nicht mehr daran, dass die jemals fertig wird. Dass in Köln Projekte aufgrund der beschriebenen Konstruktionen und der gekonnten Unentschiedenheit länger dauern, wäre ja zu noch verkraften, wenn dieses Austarieren, dieses „alle ins Boot holen“ zu einem guten Ergebnis führen würde. Bei der Oper sehe ich das nicht. Wir sind jetzt schon bei Kosten von 1,1 Milliarden Euro. Das ist ein Schauspiel, das sich selbst als Schauspiel aufführt.
Sie leben schon lange in Köln. Geht Ihnen diese gekonnte Unentschiedenheit nicht auch auf die Nerven?
Ich sage mal: Düsseldorf ist anders. Köln hat eine konzentrische, kreiselnde, spiralförmige Struktur. Das Schunkeln und das Wankelmütige ist im Stadtbild schon angelegt. Düsseldorf ist straight, geradlinig, konsequent. Das schafft auch eine andere Atmosphäre. Es ist dann aber auch nicht so gemütlich und karnevalesk. Köln muss ein Maß finden. Köln braucht mehr Entschiedenheit. Es braucht eine Gestalt an der Stadtspitze, die sagt, ich bin bereit in den Kampf zu ziehen und eine Sache durchzusetzen, auch wenn mich das die politische Loyalität auf der einen oder anderen Seite kostet.
Muss Köln etwas mehr Düsseldorf werden?
Das nicht. Köln hat eine gewachsene Identität. Es läuft nicht Gefahr, wenn es mal entschieden vorgeht, zu einem Düsseldorf oder gar zu einer preußischen Metropole zu verkommen. Die Stadt ist so gefestigt, dass sie es verkraftet, wenn mal mehr durchgegriffen wird. Zum Beispiel in Sachen Sauberkeit. Sie muss nicht geleckt sein. Dann wäre das Ungezwungene, das allzu Menschliche, das Köln ja zelebriert wird, dahin. Der Toleranz-Spielraum muss erhalten bleiben. Wenn man alles auf Perfektion und Glanz trimmt, gehen Qualitäten verloren. Die Gefahr sehe ich nicht. Auf der anderen Seite darf das Wohlfühlambiente nicht in Verwahrlosung umkippen. Dann ist zu spät reagiert worden.
Oben oder unten? Wie stehen Sie zum Ausbau der Ost-West-Achse?
Ich bin schon begeistert, wie Düsseldorf es geschafft hat, den gesamten Verkehr nach unten zu verbannen und die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu verbessern. Von daher liebäugele ich mit der U-Bahn-Variante.