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Täglich 18 vermisste Kölner„Bei Minderjährigen gehen wir immer von Gefährdung aus“

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Hunderte Menschen werden in Deutschland täglich als vermisst gemeldet – in Köln allein 18.

  1. Jeden Tag werden der Kölner Polizei im Schnitt 18 Kölner als vermisst gemeldet. Wie geht die Polizei vor, wenn sie Vermisstenmeldungen bekommt? Der „Kölner Stadt-Anzeiger” hat mit Martin Werner, der die Vermisstenstelle bei der Polizei leitet, gesprochen. Er erklärt, wie bei vermissten Kindern umgegangen wird, wie viele Fälle seit 15 Jahren oder mehr ungelöst sind und warum ein ungelöster Fall nie geschlossen wird. Ein Artikel aus unserer „Best of"-Reihe.

Jeden Tag gehen bei Ihnen im Durchschnitt ungefähr 18 neue Vermisstenfälle ein. Hinter wie vielen steckt ein Verbrechen?

Martin Werner: Da sprechen wir von einem äußerst geringen Anteil. Das Gros der Fälle sind Jugendliche, die aus Heimen, von zu Hause oder aus Krankenhäusern ausgerissen sind. Von 6404 Vermissten im Vorjahr waren 5204 unter 18 Jahre alt. Immer mal wieder gibt es auch Schulkinder, die sich mit ihrem schlechten Zeugnis erstmal nicht nach Hause trauen. Bei minderjährigen Vermissten wird automatisch eine Gefährdung unterstellt. Da handeln wir sofort.

Warum verschwinden Erwachsene plötzlich?

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Bei den Erwachsenen haben wir es häufig mit Demenzkranken zu tun, die orientierungslos sind, und mit Menschen, die aus Krankenhäusern oder Landeskliniken abgängig sind, obwohl die Behandlung noch nicht abgeschlossen ist. Mehr als die Hälfte aller Vermissten taucht innerhalb der ersten 24 Stunden wieder auf.

Angenommen, ein Mann meldet seine Ehefrau als vermisst – ein Fall für die Polizei?

Grundsätzlich kann jeder Erwachsene tun und lassen, was er will. Er kann auch die gemeinsame Wohnung verlassen und gehen, wohin er möchte. Damit wir tätig werden können, müssen Anhaltspunkte für eine Gefährdung hinzukommen, die auch konkret beschrieben werden müssen – eine Gefährdung entweder für den Betroffenen selbst oder für andere Personen. Hin und wieder wird aber auch versucht, die Polizei zu instrumentalisieren.

Inwiefern?

Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Da will ein Ehemann wissen, wo seine Frau ist. Wir informieren uns und stellen fest, dass es in der Nacht einen Polizeieinsatz gegeben hat, weil er sie geschlagen hat und wir die Frau an einem sicheren Ort untergebracht haben. Den erfährt er dann von uns natürlich nicht.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein vermisstes Kind suchen?

Es gibt keine Checkliste und kein Raster. Jeder Fall ist anders. Wir befragen die Eltern, Freunde, Schulkameraden, Lehrer. Wir suchen nach Gründen, warum und wohin sich das Kind entfernt haben könnte und versuchen herauszufinden, wo und wann es zuletzt gesehen wurde. Parallel beginnen wir mit der Suche im nahen Umfeld – im Haus, im Keller, auf dem Dachboden. Wir machen eine Weg-Zeit-Berechnung und schauen, ob man den räumlichen Bereich eingrenzen kann und überlegen: Ist es je nach Umstand sinnvoll, einen Hubschrauber einzusetzen, Spürhunde oder eine Hundertschaft?

Wie viele Fälle klären Sie auf?

96 Prozent der Vermisstenfälle können in den in den ersten zwei Wochen geklärt werden. Der Rest sind zunächst ungeklärte Fälle, die in einem Zeitraum von bis zu einem Monat noch nicht geklärt werden konnten – wobei man das relativieren muss.

Was heißt das?

Es gibt zum Beispiel zahlreiche Personen, insbesondere Minderjährige, die aus dem Ausland anreisen und dann vielleicht hier Straftaten begehen. Wenn die erwischt werden oder bei Kontrollen auffallen, werden sie in einer Jugendeinrichtung untergebracht, die sie durch die Hintertür gleich wieder verlassen, weil man sie nicht gegen ihren Willen festhalten darf. Viele können sich nicht einmal ausweisen. Aber auch das ist dann ein Vermisstenfall. Weitere Fälle klären sich im Zeitraum bis zu drei Monaten nach dem Verschwinden.

Wie viele Fälle sind seit 15 Jahren oder mehr ungelöst?

Es handelt sich dabei um so genannte Langzeitvermisste. Die Anzahl bewegt sich im Bereich unter 20. Aber auch hier muss man genau hinschauen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Eine Frau, die aus Asien nach Deutschland gekommen ist, hier geheiratet hat, mit dieser Zweisamkeit aber nicht ganz zufrieden ist, packt von jetzt auf gleich ihre Koffer und reist ab. Die ist dann weg. Irgendwo in Asien verschwunden.

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Das wäre ein Fall, den wir wahrscheinlich nie klären. Oder jemand ist im Ausland tödlich verunglückt – dann müssen DNA-Proben oder Gebissvergleiche genommen werden, um den- oder diejenige sicher zu identifizieren. Aber die Kommunikation mit den Behörden in anderen Ländern ist in dieser Hinsicht nicht immer leicht und nicht immer sehr zügig.

Wann schließen Sie eine Akte?

Nie. Wir halten es so, dass wir uns regelmäßig sämtliche offenen Fälle noch mal ansehen und gucken, ob sich neue Aspekte ergeben haben, denen wir nachgehen müssen. Wir sind für jeden einzelnen Zeugenhinweis dankbar. Es muss ja nur der eine dabei sein, der zutrifft. Und es gibt nichts Schöneres, als einer Familie sagen zu können: Wir haben Ihr Kind gefunden.

Diese Fälle bleiben ein Rätsel

Bis heute beschäftigt die Kölner Polizei der Vermisstenfall Henriette und David Lück. Vor 29 Jahren, am 18. April 1990, machte die damals 39 Jahre alte Mutter mit ihrem einjährigen Sohn einen Spaziergang durch den Königsforst. Sie schob den Kinderwagen vor sich her – und verschwand in den Wäldern. Zuletzt wurden beide an der KVB-Haltestelle „Lustheider Straße“ gesehen – danach nie wieder. Die Polizei suchte Seen, Wälder und Friedhöfe ab. Jagdbomber mit Wärmebildkameras donnerten über das Gebiet hinweg. Eine Spur fand sich nie.

Ebenfalls noch vermisst werden Herbert Frank (52) und sein Lebensgefährte Volker Puschkeit (26). Die beiden Kölner waren 1994 überstürzt nach Las Vegas aufgebrochen. In einem Casino gewannen sie 10 000 Dollar. Tage später wurde ihr Leihwagen gefunden, in der Wüste von Nevada – leer.

Rätselhaft auch das Verschwinden von Rudolf Wierschem. 1994 stürzte der 44-jährige Kölner Pilot mit seiner Cessna in den Bodensee. Vier Passagiere wurden tot geborgen, nur von Wierschem fehlt bis heute jede Spur. Die Absturzursache ist ungeklärt. (ts)