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„frank&frei“ zu jüdischer IdentitätNatan Sznaider und Navid Kermani diskutieren Nahost-Konflikt

Lesezeit 4 Minuten
Navid Kermani und Natan Sznaider diskutieren mit Joachim Frank in dessen Talkreihe frank&frei

Navid Kermani (v.l.n.r) und Natan Sznaider diskutieren mit Joachim Frank in dessen Talkreihe frank&frei in der Karl-Rahner-Akademie.

Bei „frank&frei“ diskutierten der Autor Natan Sznaider und der Publizist Navid Kermani Fragen, die sich aus Sznaiders neuem Buch „Die jüdische Wunde“ ergeben.

Was ist die jüdische Identität? In der Talkrunde „frank&frei“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in der Kölner Karl-Rahner-Akademie ging es am Montag, 14. Oktober, um das Selbstverständnis von Jüdinnen und Juden, aber auch um den Nahost-Konflikt. KStA-Chefkorrespondent Joachim Frank sprach mit dem israelischen Soziologen Natan Sznaider und dem Kölner Schriftsteller Navid Kermani. Anlass für das Gespräch war Sznaiders neues Buch „Die jüdische Wunde“, in dem es um das Dilemma zwischen Anpassung und Autonomie geht.

Ein eigener, sicherer Staat

Den Juden seien immer wieder Versprechen gemacht worden, sagte Sznaider, dessen Großeltern dem Holocaust zum Opfer fielen. Eines dieser Versprechen lautete, dass Jüdinnen und Juden einen eigenen Staat bekämen, in dem „die Ausübung jüdischer Nationalität“ möglich sei. Dieses und andere Versprechen konnten jedoch laut Sznaider nicht eingehalten werden – und das beschreibe die jüdische Wunde.

Die Autonomie Israels, sagte Sznaider im Gespräch, sei von anderen Staaten in der Region nie anerkannt worden. Jüdinnen und Juden könnten ihre Unabhängigkeit nur „prekär“ ausleben, weil sie sich ständig verteidigen müssten. Seit dem 7. Oktober 2023 befinde sich das Versprechen eines sicheren Staates Israel endgültig „unter Beschuss“ - im wahrsten Sinne des Wortes.

Kermani, der eine schon vor vielen Jahren geführte Korrespondenz mit Sznaider 2023 gemeinsam mit ihm in dem Buch „Israel“ veröffentlichte, signalisierte Verständnis für die Sicht seines langjährigen Freundes. Er warf aber während der Podiumsdiskussion immer wieder ein, wie traumatisch der Krieg auch für Palästinenserinnen und Palästinenser sei. Israels Kriegsführung nannte er selbst im Hinblick auf Israels Interesse an Souveränität „verheerend“.

Politisch gibt es keine Lösung mehr

Sznaider beschrieb das Vorgehen Israels ebenfalls als grausam und erzählte von den Demonstrationen gegen die israelische Regierung, auf die er „schon viel zu lange“ gehe. Fortgehen? Für ihn keine Option. Er fühle sich dem Land und den Menschen verpflichtet und merke auch, wie er sich dort entspanne. Auch Sznaiders in Israel geborene Tochter sei in der linken „fahrradfahrenden Bubble“ von Tel Aviv zu Hause – so, wie sie es vermutlich in anderen Großstädten der Welt wäre. Aber im Ausland fühle sie sich die Israelin wie „ein Fisch, der aus dem Wasser geworfen wurde“.

Daraufhin entgegnete Kermani, Sznaiders „fahrradfahrendes Israel“ habe einen Finanzminister, der offen befürworte, dass die Menschen im Gazastreifen sterben. Außerdem werde Israel regiert von rechtsextremen Ministern. „Ist Israel stark genug gegen die, die es zu einem Staat machen wollen, zu dem man nicht gehören will?“

Dass es politisch keine Lösung mehr gebe für den Krieg, auch weil Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keine Strategie habe, darin waren sich Sznaider und Kermani einig.

Doch könnte nicht die israelische Gesellschaft aus der von Sznaider und Kermani beschriebenen Verzweiflung heraus stärker auf ein Ende des Krieges pochen? Das fragte Frank die beiden Gäste gegen Ende des Gesprächs. ,„Die Dynamik ist da“, antwortete Sznaider, „aber sie ist sehr schwach, weil das Land permanent beschossen wird. Dass es in so einer Situation überhaupt noch Demos gibt, grenzt an ein Wunder.“

Ob er noch an Wunder glaube, wollte Frank dann von Sznaider wissen. Während er sich eine Antwort überlegte, rief ihm ein Gast aus dem bis zum letzten Platz gefüllten Saal zu: „Denken Sie an Ihren Großvater, der war orthodox und glaubte daran!“

Da nickte Natan Sznaider und sagte: „Ja, vielleicht. Aber er ist verbrannt worden. Von den Großvätern hier.“

Zu den Personen

Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Er hat die deutsche und die iranische Staatsangehörigkeit. Zusammen mit Natan Sznaider hat er das Buch „Israel. Eine Korrespondenz“ geschrieben, worin die beiden Freunde über den Nahost-Konflikt sprechen.

Natan Sznaider, geboren 1954 in Mannheim als Kind von Holocaust-Überlebenden, ging mit 20 Jahren nach Israel. Er lehrte viele Jahre Soziologie an der Akademischen Hochschule in Tel Aviv. Zuletzt hat er das Buch „Die jüdische Wunde – Leben zwischen Anpassung und Autonomie“ veröffentlicht.