Köln – Tanja Wolters hat uns vorgewarnt: „Kölner werdet ihr hier keine finden. Die fahren nicht mit der Bimmelbahn.“ Wäre ja auch irgendwie sinnlos, sich an der Burgmauer im Schatten des Doms in einen der Waggons zu quetschen, um sich auf die Weihnachtsmarktrunde zu begeben.
Der Kölner kennt den Neumarkt, die Altstadt und das Schokomuseum, „aber erklären Sie mal einem Touristen, wie er von hier zum Weihnachtsmarkt auf den Neumarkt kommt. Die meisten kapieren das nicht“, sagt die Bimmelbahn-Chefin.
Und es wäre auch irgendwie kaum zu schaffen, mit drei Kindern, vier Erwachsenen und einem Buggy, am dritten Adventssamstag. Selbst wenn man wie die Familien Parvathy und Rasesh aus der indischen Fünf-Millionen-Metropole Chennai stammt, die früher Madras hieß und Köln im Advents-Ausnahmezustand als „sehr schön und sehr lebendig“ bezeichnet. Lebendig. Das sagen die Inder, wenn man auf der Domplatte keine Platte mehr sieht.
Aber Schildergasse und Hohe Straße um kurz vor drei? Da wird es selbst dem Inder zu voll. Wobei das mit der Beinfreiheit in der Bimmelbahn, die durch die Altstadt Richtung Schokomuseum („Next Stop Chocolate Factory“) schaukelt, auch so eine Sache ist. Frau Parvathy genießt die Tour in vollen Zügen, aus dem Lautsprecher singt eine Band, die jeder Kölner, so er denn an Bord wäre, eindeutig als Brings identifizieren würde, irgendwas von „Janz allein“ und „Bethlehem“. Wobei sich „Bethlehem“ auf der Rheinuferpromenade unter der Deutzer Brücke untergeht: keine Chance gegen den Ghettoblaster der dort versammelten Gothic-Szene.
Die vier Holländerinnen auf der Sitzbank gegenüber stört das alles nicht. Drei Tage Köln und mindestens sechs Weihnachtsmärkte sind die Folgen eines Geburtstagsgeschenks, das Geertje ihrer Mutter gemacht hat. Ein Vogelhäuschen, einen kleinen Engel, silberne Christbaumkugeln als Ohrhänger und eine Weihnachtsfrau werden das Fest im niederländischen 3000-Seelen-Örtchen Beesd bereichern, verbunden mit dem festen Glauben, dass es so etwas nur auf Kölner Weihnachtsmärkten gibt. Oder höchstens noch in Maastricht. Dass der Engel eine weite Reise aus einer indischen Fabrik hinter sich hat, die möglicherweise ganz in der Nähe von Chennai liegt, das früher Madras hieß, kann die Glückseligkeit in der Bimmelbahn nicht stören. Zumal die Inder an der Haltestelle in der Altstadt ausgestiegen sind. Aus den Lautsprechern versucht jetzt Chris Rea gegen die Bläsergruppe auf der Promenade anzusingen: Driving home for Christmas.
Keine Betrunkenen, keine Junggesellenabschiedsgruppen
Tanja Wolters hat recht. Keine Kölner, keine Betrunkenen, keine Junggesellenabschiedsgruppen. Mag auf der Cäcilienstraße mitten im Verkehrschaos das Aggressionspotenzial im Angesicht der Bimmelbahn steigen, aus der Waggonsicht hinter den Fensterscheiben sieht das alles einfach nur lustig aus.
Wenn man nicht für ein kurzen Moment eingenickt ist. Wobei man das Mark Schaedel nicht übelnehmen sollte. Selbst für einen New Yorker, der am Stock Exchange gearbeitet hat und jetzt in Amsterdam dafür sorgen muss, dass die Computer die Finanzströme auch verarbeiten könnten, hat das wohlige Schaukeln des Bähnchens, das sich gerade durch die Richmodstraße kämpft, den Touristeneffekt. Schaedels Augen fallen. Seine Frau Jennifer dagegen macht einen putzmunteren Eindruck, erzählt von den Keramik-Häuschen, die sie auf dem Weihnachtsmarkt in der Altstadt erstanden hat. Und davon, dass Köln und Europa für Amerikaner immer wieder eine Reise wert sind. Die Geschichte, die Kultur – und das Bier.
Was wir fast vergessen hätten: Mark und Jennifer sind nicht alleine im Zug: Owen (4), dazu die Zwillinge Anja und Bervehore (2) und Crunchie, der Hund. Merry Christmas to everyone.
Auf knapp tausend Fahrgäste, schätzt Tanja Wolters, wird man an diesem Adventssamstag wohl kommen. Alle sechs Züge sind im Einsatz – im Viertelstunden-Takt zwischen 10.45 und 19.30 Uhr. Natürlich könne sie die Autofahrer verstehen, die es immer eilig haben und dann „hinter diesem Drissding“ herfahren müssen: „Aber schauen Sie sich doch mal um. Die Touristen haben alle ihren Spaß.
Rheinufer ab 2013 tabu
Die sind einfach nur froh, dass sie mit Kind und Kegel nicht laufen müssen und trotzdem zu allen Weihnachtsmärkten kommen.“ Ein Engländer habe sie am Morgen sogar nach der kölschen Weihnachts-CD gefragt, die auf der Runde immer wieder gespielt, sagt die Bimmelbahnchefin. „Ich habe ihm erklärt, dass man sie nicht kaufen kann, weil ich sie selbst zusammengestellt habe.“ Der Mann habe zwar nicht verstanden, aber so lange gebettelt, „bis ich ihm eine gegeben habe“.
Dass die Bimmelbahn ab 2013 nicht mehr am Rheinufer entlangfahren dürfe, kann sie nicht verstehen. Mit den Touristen aus aller Welt durch den Rheinufertunnel gondeln? „Die wollen doch etwas sehen, und wir fahren am Rhein doch nur Schritttempo.“ Kurz vor der Burgmauer, zurück am Dom. Mark Schaedel hat sein Nickerchen beendet. Jetzt habe man doch glatt vergessen, am Neumarkt auszusteigen, sagt er und lacht. Macht nichts. Die Familie wird jetzt die Subway nehmen. Linie fünf, drei Stationen, zum Weihnachtsmarkt am Stadtgarten. Crunchie reckt sich, die Familie friemelt den Dreisitz-Kinderwagen aus dem Bähnchen und verschwindet in der U-Bahn. „Es ist wirklich schade, dass es nicht zum Stadtgarten fährt“, findet Schaedel. Wo doch gerade dieser Weihnachtsmarkt „so lovely“ sein soll.