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Vor dem Rathaus„Man möchte wirklich weinen“ – Entsetzen in Köln bei Türkei-Mahnwache

Lesezeit 3 Minuten
Teilnehmer einer Mahnwache demonstrieren am Mittwochabend (19. März) in Köln gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoğlu.

Teilnehmer einer Mahnwache demonstrieren am Mittwochabend (19. März) in Köln gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoğlu.

Die Ereignisse in der Türkei bewegen auch die Kölner. In der Altstadt versammelten sich Aktivistinnen und Aktivisten sowie Menschen aus der Politik.

„Man möchte wirklich weinen. Es ist unfassbar, was dort passiert“, sagte Bürgermeister Ralph Elster am Mittwochabend mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in der Türkei. Der Christdemokrat gehörte zu den Rednern und Rednerinnen bei der 131. Mahnwache, die der Verein „Stimmen der Solidarität“ veranstaltete.

In der Regel hält er diese Kundgebungen, mit denen er das Schicksal politischer Gefangener in der Türkei ins öffentliche Bewusstsein rückt, an jedem ersten Mittwoch im Monat vor dem Hauptbahnhof ab. Diesmal machte er aus gegebenem Anlass eine Ausnahme. Denn morgens war der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu verhaftet worden, wenige Tage vor seiner geplanten Wahl zum Präsidentschaftskandidaten der sozialdemokratischen Partei CHP.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Korruption und die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor. Kritiker halten dies für einen Vorwand, der dazu dient, den gefährlichsten Rivalen von Präsident Erdoğan aus dem Spiel zu nehmen. Zusammen mit Imamoğlu sind rund 100 weitere Personen festgesetzt worden.

Kölner versammeln sich zu Türkei-Mahnwache vor dem Rathaus

Elster sprach von einem „unglaublichen Verbrechen gegen die Demokratie“, das nicht ungesühnt bleiben dürfe. Deshalb sei es wichtig, zusammenzukommen und ein Signal zu senden. Rund 150 Menschen hatten sich vor dem Historischen Rathaus versammelt. Schon am Morgen hatte sich Oberbürgermeisterin Reker zu Wort gemeldet. Es wirke, als wolle Erdoğan seinen schärfsten Konkurrenten mit den Methoden einer Autokratie ausschalten, schrieb sie auf der Plattform X.

Ähnlich wie sich Reker weiter äußerte, sagte Bürgermeisterin Brigitta von Bülow (Grüne) bei der Mahnwache: „Köln steht solidarisch hinter dem frei gewählten Oberhaupt seiner Partnerstadt Istanbul“. Dessen Inhaftierung reihe sich ein in eine „besorgniserregende Entwicklung“ in der Türkei. Dass Imamoğlu zum Schweigen gebracht werden solle, sei „nicht ein Angriff auf eine einzige Person“, sondern auf die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die freie Meinungsäußerung. Dagegen wolle der Kölner Stadtrat eine gemeinsame Resolution verabschieden; die Fraktionen würden sie gerade vorbereiten.

Kölner SPD-Kandidat Burmester fordert Freiheit für Imamoğlu

„Ich persönlich fordere Freiheit für einen politischen Freund“, sagte Torsten Burmester, OB-Kandidat der SPD. Er habe Imamoğlu in den letzten Jahren vielfach getroffen. Es sei ein erfolgreicher, so populärer wie visionärer Oberbürgermeister, der darüber hinaus eine „Vorstellung von der Entwicklung der Türkei“ habe – eine Vorstellung, die Präsident Erdoğan offenbar nicht passt.

Die frühere NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD), die an vielen Mahnwachen des Vereins teilgenommen und sich wiederholt für politische Gefangene in der Türkei eingesetzt hat, betonte den Wert der Unterstützung von Deutschland aus und erwähnte, dass auch die Istanbuler CHP-Vorsitzende, Canan Kaftancıoğlu, unter Repressionen zu leiden habe. Sie darf sich zurzeit nicht politisch betätigen.

Entsetzen bei Kölner Linken, Grünen und FDP

Jörg Detjen, Ratsherr der Linken, nannte die Verhaftung von Imamoğlu und den 100 weiteren Personen schlicht einen Putsch. „Erdoğan war ein Autokrat und wird jetzt zu einem Tyrannen mit faschistischen Zügen“. Dieser „Putsch“ sei auch eine Kriegsvorbereitung der Türkei: Der Präsident habe vor, weiter in Syrien einzugreifen und die türkische Grenze Stück für Stück zu verschieben.

Hans Schwanitz sprach nicht nur für Ratsfraktion der Grünen, der er angehört, sondern auch im Namen der Grünen OB-Kandidatin Berivan Aymaz, die erkrankt war. Er charakterisierte die Vorgänge als „Putsch in kleinen Schritten“, wahlweise als „Putsch in Zeitlupe“, und warnte davor, Istanbul könne so, wie es bereits in anderen Gegenden der Türkei geschehen sei, unter Zwangsverwaltung gestellt werden.

Ilhan Yıldırım vom CHP-Regionalverband Köln kam ebenso zu Wort wie ein Vertreter der Plattform „TCP“ für politische Gefangene und eine Vertreterin von Tüday, dem Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland. FDP-Ratsfrau Chantal Schalla brachte die Dramatik der Situation am Bosporus so auf den Punkt: „Wenn der Oberbürgermeister einer Großstadt inhaftiert wird, wer ist dann in der Türkei noch sicher?“