Veedels-CheckKölner Dorf-Sheriff für alle Fälle
Köln – Die Frau mit Mütze kippt beinahe von der Bank auf dem Friesenplatz. Reaktionen zeigt sie kaum noch. Ob nur der Alkohol sie so zugerichtet hat oder auch härtere Substanzen – sie kann sich dazu nicht mehr äußern. Vor einer Minute erst ist Andreas Andres mit seinem Polizei-Bulli vorgefahren, nun hat er schon seinen ersten Fall. Er fühlt ihren Puls und ruft den Krankenwagen. Währenddessen wird er von einem Mann mit Mütze und ebenfalls beträchtlichem Alkoholpegel ununterbrochen zugetextet. Kein Problem für Andreas Andres, er bleibt locker: „Jeder hat ein Anrecht, hier zu sein.“
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Wer mit einem Bezirksdienstbeamten der Polizei unterwegs ist, atmet das pralle Kölner Leben in vollen Zügen ein. Auf dem Ring zwischen Christophstraße und Rudolfplatz sowie im Belgischen Viertel ist es vielleicht noch ein bisschen praller als im Rest der Stadt. Hier wird hart gefeiert, hart gearbeitet, schick gewohnt und mit dicken Autos geprahlt, hier ist die ruhebedürftige Oma zu Hause und der feierwütige Student. Das alles auf engstem Raum, nirgendwo sonst ist die Bevölkerungsdichte so groß wie in der Innenstadt mit ihren mehr als 100 000 Einwohnern, dem Revier von Andreas Andres, Bezirksdienstbeamter der Polizei-Inspektion 1 und zuständig für so ziemlich alle Facetten des menschlichen Daseins.
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„Wir geben der Polizei ein Gesicht“, sagt Andres, der seit sechs Jahren die Kölner Mitte bearbeitet, aber auch schon in Kalk und Poll eingesetzt war. Ein Bezirksdienstbeamter sei das Bindeglied zwischen der anonymen Behörde und dem Bürger, sagt er – eine Art Dorf-Sheriff und Schutzmann „op d’r Eck“, der nah dran ist an den Menschen und den Institutionen in seinem Bezirk. Insgesamt 130 Dorf-Sheriffs sind im Groß-Dorf namens Köln im Einsatz – etwa einer pro 10 000 Einwohnern. Insgesamt beschäftigt die Kölner Polizei 4800 Beamte, etwa 1700 davon verteilen sich auf die sechs Inspektionen mit ihren insgesamt elf Wachen.
Wer die Polizei über die Nummer 110 ruft, landet aber zuerst in der Leitstelle im Kalker Polizeipräsidium. Von hier aus wird der nächstgelegene verfügbare Streifenwagen in Gang gesetzt. Schwere Verkehrsunfälle oder Einbrüche, bei denen der Täter noch vor Ort sein könnte, haben Priorität: „Alle anderen Fälle werden nachrangig behandelt“, sagt Polizei-Sprecher Christoph Gilles. Im Durchschnitt gilt es 1000 Einsätze pro Tag abzuarbeiten. Besonders viele davon fallen in der Innenstadt an.
Andreas Andres möchte sein quirliges Revier drei Mal pro Wochen besuchen, aber nicht immer schafft er es. Ein bisschen Büroarbeit gehört nämlich auch zu seinem Job. Anzeigen schreiben, Vorgänge der Staatsanwaltschaft bearbeiten. 70 Prozent draußen, 30 Prozent am Schreibtisch in der Wache an der Stolkgasse – so sollte sich idealerweise seine Arbeitszeit aufteilen. Für Andreas Andres, selbst ernannter „Ruhrpott-Kanake“ mit Oberhausener Wurzeln, gibt es keinen besseren Job: „Den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen – das wäre nichts für mich.“
„Das Elend ist Teil unserer Gesellschaft“
Der 46-Jährige ist ein zugänglicher, redseliger Mensch, der klare Ansagen geben kann, aber auch Verständnis zeigt. Dass der Friesenplatz von vielen Süchtigen frequentiert werde, sei doch nicht verwunderlich: Eine Methadon-Ausgabestelle und zwei Kioske seien hier, das ziehe diese Menschen an. „Auch das Elend ist Teil unserer Gesellschaft.“
Das Ruhrgebiet in ihm harmoniert offenbar hervorragend mit den Rheinländern um ihn herum: „Wir sind beide nicht so verbissen wie die Westfalen“, sagt Andres. Am liebsten seien ihm die Besuche in den Kindergärten und die Senioren-Sprechstunden im Bezirksamt: „Bei den Kleinen und Alten sind wir die Helden, die anderen mögen es nicht so, wenn wir kommen.“ Zum Beispiel diejenigen, bei denen Andres Haftbefehle vollstrecken muss.
Als der Rettungswagen den Friesenplatz verlässt, geht Andres über die Antwerpener Straße in Richtung Brüsseler Platz. Das Belgische Viertel verändere sich, sagt er, immer mehr Wohnungen würden saniert und für horrende Preise vermietet. Ärmere würden verdrängt, ebenso alteingesessene Geschäfte. „Das sind die Leute, die das Viertel kaputt machen“, sagt der Dorf-Sheriff, als er ein paar Anzug-Träger aus einem Hauseingang kommen sieht.
Auf dem Brüsseler Platz trifft Andres Jugendliche mit Baseball-Kappen, die Tischtennis spielen. Einer sitzt auf der Lehne einer Bank und muss sich dafür einen freundlichen Rüffel vom Bezirksdienstbeamten gefallen lassen. Unterm Strich zeigt sich das Veedel an diesem Nachmittag von seiner ruhigen Seite. Aber natürlich weiß auch Andres, dass sein Revier tagsüber ein anderes ist als nachts. Bei Dunkelheit verändere es sein Gesicht, nehme das Partyvolk Fahrt auf. Mit dem Ärger um den Lärm der nächtlichen Open-Air-Partys auf dem Brüsseler Platz habe er aber nur wenig Berührungspunkte.
Shisha-Bars und dicke Schlitten
Über die Maastrichter Straße geht es zurück in Richtung Friesenplatz. Statt lauschiger Restaurants prägen zunehmend Shisha-Bars und dicke Schlitten das Straßenbild. Ein Mann mit Glatze und breiten Schultern passiert Andres auf dem Ring. Er kennt ihn, er sei mal Mitglied einer Rockergruppe gewesen. Zum Schluss seines Rundgangs schaut Andres in der Zwischenebene der U-Bahn-Haltestelle Friesenplatz – zuletzt als neuer Drogen-Hotspot in den Schlagzeilen – nach dem Rechten. Süchtige halten sich zu dieser Zeit hier nicht auf. Die Methadon-Vergabestelle habe jetzt nicht geöffnet, weiß Andres.
Dann wird er zurück auf die Straße gerufen. Ein Mann liege reglos am Boden, heißt es. Es ist Ingo, ziemlich betrunken. Als Andres seinen Oberkörper aufrichtet, wird der junge Mann lebendig und fängt an zu lachen. Diesmal ist kein Rettungswagen nötig.