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Verhaltensökonom über Corona„Geimpfte müssen sofort alle Grundrechte zurückbekommen"

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Symbolbild

  1. Armin Falk ist Verhaltensökonom, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn und Direktor des briq-Instituts für Verhalten und Ungleichheit.
  2. Im Interview erklärt er, warum die Menschen bei Corona nicht mehr kooperationsbereit sind und spricht von Staatsversagen.

Die Bevölkerung ist pandemiemüde, die Stimmung zunehmend gereizt. Was ist Ihre These: Woran liegt das? War es die Debatte die Inzidenzzahlen 50 und 35?Armin Falk: Das war vielleicht der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Aber grundsätzlich war es, so glaube ich, eher die Dauer des Lockdowns und der Belastung in Verbindung mit immer wieder enttäuschten Hoffnungen: Die Realisierung, dass es im Frühjahr doch nicht besser wird, dass es mit dem Impfen nicht klappt und die Schnelltests auch noch nicht da sind. Es ist den Menschen einfach zu viel geworden. Und dann reicht eben ein Auslöser.

Wenn man draußen unterwegs ist, hat man den Eindruck, dass sich immer weniger Menschen an die Regeln halten. Die Gefahr ist, dass ein Dominoeffekt entsteht. Weil sich dann immer mehr Menschen fragen, warum sie sich noch einschränken sollen, wenn es die anderen eh nicht mehr tun. Wie kann man dem entgegenwirken?

Armin Falk

Armin Falk

Verhaltenspsychologisch ist es so, dass wir als Menschen bedingt kooperativ sind. Das heißt, unser Verhalten hängt sehr stark vom Verhalten anderer ab. Das weiß man aus zahllosen Experimenten. Wenn sich andere an Vorschriften halten, halte ich mich auch eher dran. Und eben leider auch umgekehrt. Neben der Aufklärung darüber, warum Kooperation gerade in dieser Phase der Pandemie so wichtig ist, hilft jetzt eigentlich nur noch zweierlei, um die Menschen bei der Stange zu halten: Zum einen endlich die flächendeckende Beschleunigung der Impfung. Es ist viel leichter, sich mit etwas abzufinden, wenn ich weiß, wann es zu Ende ist. Wenn man die Impfperspektive hätte und wüsste, man muss noch acht Wochen die Zähne zusammenbeißen, dann wäre die Kooperationsbereitschaft viel größer. Hier sehe ich ein großes Staatsversagen.

Und das zweite Mittel wären eben die Schnelltests, um Gruppen Freiheiten zu ermöglichen, die sich vorher getestet haben. Das würde den Druck aus dem Kessel nehmen. Aber wir kündigen ja mal wieder nur an, dass es diese Tests gibt. Vor allem NRW ist ganz weit hinten. Dieses erneute administrative Versagen ist absolut fatal und empörend.

Weil eben zum dritten Mal Erwartungen geweckt werden, die dann nicht erfüllt werden: Erst bei den Lockerungen, dann bei den Impfungen, jetzt bei den Schnelltests. Entsteht da nicht ein Verdruss, der zur Gefahr wird für das politische System?

Erwartungsenttäuschung ist für menschliches Verhalten extrem wichtig ist. Nehmen Sie das Beispiel von zwei Menschen, die ein Gespräch bezüglich einer Gehaltserhöhung haben. Einer glaubt, er bekommt keine Erhöhung, der andere erwartet 1000 Euro. Beide bekommen am Ende 500 Euro mehr. Die gleiche Erhöhung also. Aber der eine ist positiv überrascht und der andere tief enttäuscht. Dass mehrmals hintereinander Erwartungen geweckt wurden, die enttäuscht wurden, ist um ein Vielfaches schlimmer als nur nicht zu liefern. Es provoziert Frust und zerstört Vertrauen.

Schon als die Politiker sich überschlagen haben mit der Aussicht auf ein schönes Weihnachten, habe ich mich für dumm verkauft gefühlt. Man muss als Politiker extrem vorsichtig sein, Dinge zu versprechen, von denen man nicht absolut sicher ist, sie einhalten zu können.

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Statt konkrete Versprechungen zu machen wäre es besser, die richtige Balance zu finden zwischen Ermutigung und dem glaubwürdigen Eindruck, dass wirklich alle ihr Möglichstes tun, damit wir da schnell raus kommen. Das würde Kooperationsbereitschaft erhalten. Hoffnung kann ich dadurch schüren, wenn ich sehe, dass etwas vorangeht, und nicht, wenn ich ein Datum ansage oder komplizierte Pläne verkünde, die keiner mehr glaubt.

Statt groß reden, einfach mal seine Arbeit machen und schauen, dass es Tests und Impfungen gibt. Stattdessen sehe ich, dass Gesundheitsämter nach wie vor am Wochenende nicht arbeiten geschweige denn digitalisiert sind. Ich sehe, dass nicht sieben Tage die Woche rund um die Uhr geimpft wird und die Vergabe der Termine in NRW desaströs läuft. Wir bekommen aus Datenschutzgründen keine vernünftige App auf die Reihe und haben jetzt auch noch Korruptionsfälle mit Masken: überall totales Staatsversagen, das Wut schürt.

Dieser deutsche Bürokratismus — das scheint die Pandemie deutlich zu machen –— ist ein riesiges Problem. An allen Ecken stehen wir uns bürokratisch unpragmatisch im Wege.

Unser Bürokratismus fällt uns gerade massiv auf die Füße. Boris Johnson in Großbritannien lässt 24 Stunden am Tag impfen und wir fangen erst mal an, ein kompliziertes Terminvergabesystem aufzulegen. Oder nehmen Sie die Vergabe eines grünen Passes für Geimpfte in Israel. Von diesem Maß an Zupacken und Pragmatismus sind wir Lichtjahre entfernt und das macht mich fassungslos.

Uns steht eine Denke und politische Ängstlichkeit im Weg, die absolut nicht krisentauglich ist. Die ist gut bei der Prüfung von Bausparverträgen, aber nicht bei der Bekämpfung einer Pandemie, bei der Tempo eine wesentliche Rolle spielt und jeden Tag gestorben wird. Und bei der jeder Tag mit Abstimmungsproblemen und Verwaltungsvorbehalten enorme Summen kostet.

Das weiß ja eigentlich auch jeder. Trotzdem scheint die Erkenntnis den Pragmatismus nicht herbeiführen zu können. Haben wir ein Mentalitätsproblem?

Das hat in der Tat eine mentalitätsgeschichtliche Komponente, die gründliche Aufarbeitung erfordert. Die Bereitschaft, Risiken einzugehen und Verantwortung zu übernehmen ist bei uns nicht genug ausgeprägt. Wo sind die Leute, die sagen, wir machen das jetzt einfach? Andere Länder wie Israel und Großbritannien haben diesen Mut und Pragmatismus, diese Entscheidungsfreude. Wir verschanzen uns hinter Gremien, rufen Räte ein vom Ethikrat bis zur ständigen Impfkommission. Statt dass ein wissenschaftlich informierter Stab einfach Entscheidungen trifft und diese dann verantwortet.

Mich hat das selbst auch überrascht. Ich dachte immer: Organisieren das können wir gut. Diese Behäbigkeit ist frustrierend vor dem Hintergrund, dass die Menschen die Geduld verlieren.

„Ich hätte einen Impfzwang in diesem Fall für gerechtfertigt gehalten“

Der entscheidende Ausweg aus der Pandemie ist das Impfen und dass wir die Herdenimmunität schaffen. Nun ist aber gerade das Impfen ein heikles Thema und viele haben Vorbehalte. Was ist Impfen aus verhaltensökonomischer Sicht?

Impfen ist verhaltensökonomisch ein Akt der Kooperation. Indem ich mich impfen lasse, nutze ich anderen. Ich reduziere die Wahrscheinlichkeit, dass andere sich anstecken und leiste einen Beitrag zur Verkürzung der Lockdown-Maßnahmen. Dieser Akt der Solidarität muss öffentlich in den Vordergrund gestellt werden. Wer sich nicht impfen lässt, ist extrem unkooperativ, weil er den Effekt seines Verhaltens auf andere nicht einpreist.

Auch wer auf einem bestimmten Impfstoff besteht, ist extrem unkooperativ und gehört sozial geächtet. In vielen amen Ländern dieser Welt ist vom Impfen nicht mal die Rede. Daher ist es schamlos und selbstherrlich so ein Angebot zurückzuweisen.

Wie kann es gelingen, diese Kooperationsbereitschaft zu fördern?

Ich hätte einen Impfzwang in diesem Fall –— ähnlich wie bei den Masern — für gerechtfertigt gehalten. Weil es schneller aus der Pandemie rausführen würde und Trittbrettfahren verhindern würde. Wenn sich 90 Prozent gegen Masern impfen, können ja die anderen zehn Prozent ihren Bachblütentraum weiter träumen. Aber der Impfzwang war politisch nicht gewünscht. Und darum sind wir auf freiwillige Kooperation angewiesen.

Welche Ansätze propagiert da die Verhaltensökonomie?

Wichtig ist das Vorbild der anderen. Wenn ich sehe, andere — oder noch besser alle — machen das, dann mache ich das auch. Besonders wenn sich Prominente oder hochgeschätzte Persönlichkeiten impfen lassen. Auch Widerspruchslösungen funktionieren laut Studien in diesen Fällen. Wir kooperieren öfter, wenn Kooperation die Regel ist und man sich aktiv gegen Kooperieren entscheiden muss.

Am wirkungsvollsten wäre es aber, geimpften und genesenen Menschen wieder ihre Grundrechte zurückzugeben. Das ist nicht nur gerecht. Es würde auch den größten Anreiz erzeugen, wenn ich weiß, dann kann ich wieder ins Theater oder ins Freibad. Das wäre für viele, die noch unsicher sind, ein wichtiges gutes Argument, sich impfen zu lassen. Wer sich nicht impfen lassen will, der muss dann halt aushalten, noch einen Monat oder zwei zu warten, bis er ins Schwimmbad kann.

Das Gegenargument wäre, dass dies unfair denen gegenüber ist, die ein solches Impfangebot noch nicht erhalten haben.

Diese Diskussion halte ich für vollkommen verfehlt. Derzeit leben wir in einer Welt, in der Menschen Grundrechte vorenthalten werden. Und jetzt soll es begründungsbedürftig sein, wenn sie zurückgegeben werden? Hier ist das Gleichheitsargument völlig deplatziert. Ich stelle andere ja besser ohne mich schlechter zu stellen. Außerdem habe ich als noch nicht Geimpfter dadurch ja auch Vorteile, wenn Wirtschaft und Gesellschaft wieder ans Laufen kommen. Das erhöht das Steueraufkommen, rettet die Restaurants und auch die Theater warten sehnsüchtig darauf: Dann kommen erst mal die Geimpften rein und wenn dann noch freie Plätze sind, können Tests bereitgestellt werden.

Wir würden den Millionen Menschen, die ihre Läden, Restaurants, Bars, Ferienwohnungen und Konzertsäle aufmachen könnten, eine Perspektive geben. Das künstlich noch ein halbes Jahr zurückzuhalten, kostet enorm viel Geld.

Aber das würde natürlich Neid schüren und den gesellschaftlichen Frieden gerade in dieser aufgeheizten Situation gefährden. Ich sehe vor den Arztpraxen schon Prügeleien um den Impfstoff…

Das aus Sorge vor dem Neid der Bürger zu verhindern, kann ja kein guter Grund sein. Man kann doch nur froh sein, wenn Menschen wieder essen gehen. Klar werden sich da Leute darüber aufregen und es wird auch Proteste geben. Aber wenn man sich nur davon leiten lässt: dann gute Nacht Deutschland. Dann sollen doch die, die sich beschweren, bei der Politik Druck machen, dass sie schnell geimpft werden. Das erhöht auch für die Politik den Druck, dass es eben schneller gehen muss.

Auch juristisch ist das nicht nachvollziehbar: Wie will ich denn Geimpfte noch disziplinieren? Mit welchem Recht und auf welcher Grundlage darf einem Geimpften verweigert werden, sich mit drei anderen geimpften Freunden zu treffen. Was ist denn, wenn die klagen? Für mich ist das eine vollkommen irregeleitete Debatte. Wir brauchen maximale Befreiung für jeden Geimpften. Je schneller desto besser.