Verlegung von Corona-Patienten„Köln wird vereinzelt helfen können und müssen“
- Prof. Christian Karagiannidis ist Leiter der Lungenintensivstation der Lungenklinik am Krankenhaus Merheim und Leiter des intensivmedizinischen Melderegisters
- Er hat die Aktivierung des „Kleeblatt-Systems“, in dem Patienten über Landesgrenzen hinweg verlegt werden können, vorangetrieben.
- Im Interview spricht er über Verlegungen von Intensivpatienten durch ganz Deutschland, die Corona-Lage in Köln und die Situation der Pflegekräfte
Köln – Herr Prof. Karagiannidis, im Koalitionsvertrag wird eine Milliardensumme versprochen, um der Pflege sofort zu helfen. Reicht das?
Grundsätzlich bin ich sehr dafür, dass die gesamte Pflege besser vergütet wird. An erster Stelle steht aber die Arbeitsbelastung, nicht nur das Geld. Wenn wir jetzt nur diejenigen Vorteile bekommen, die Covid-Patienten behandeln, dann wird ein Riss durch die Pflege gehen.
Außerdem soll ein Expertenrat im Kanzleramt sitzen. Was halten Sie davon?
Das ist selbstverständlich sinnvoll. Es hätte ihn längst geben müssen, aber: lieber spät als nie. Wichtig ist, dass dieser Expertenrat auch autark öffentlich auftritt und nicht hinter verschlossenen Türen berät.
Akut hilft das nicht. Was kann man tun, um die Pflege noch in diesem Winter zu stärken?
Personaluntergrenzen auf den Stationen sind das A und O. Realistisch gesehen haben wir keine Möglichkeit, in der vierten Welle mehr Pflegekräfte zu bekommen. Wir haben nur die Chance, diejenigen, die noch da sind, nicht völlig zu verbrennen. Wir dürfen nicht wieder die Pflege überlasten und Personaluntergrenzen – wie in vorherigen Wellen – aussetzen. Das ist ein absolutes No-Go. Wir kommen nur dann aus der Krise raus, wenn die Pflegekräfte nicht abends weinend nach Hause gehen, weil sie den Tag nicht geschafft haben.
Im Vergleich zu 2020 fehlen wegen des Personalschwundes mehr als 4000 Intensivbetten. Wie viel hat das mit der aktuellen Notlage zu tun?
Der Personalmangel macht mit Blick auf die Pflege gerade 80 Prozent des Problems aus. Das ist der Hauptgrund für den Notstand in Deutschland. Die Situation ist nicht ausschließlich Corona geschuldet. Das Thema war schon vorher bekannt, es ist durch Corona nur deutlich schlimmer geworden.
Wir sind also einfach zu schlecht vorbereitet?
Nein, gut vorbereitet sind wir im Prinzip schon. Die Intensivstationen arbeiten hochprofessionell. Auf ihrem Rücken wird bloß das strukturelle Problem unseres Gesundheitssystems ausgetragen. Im Übrigen darf man nicht nur auf die Kapazitäten schauen: 30 bis 40 Prozent der Covid-Intensivpatienten sterben auch mit bester Behandlung. Das ist die noch größere Katastrophe. Wir haben in Deutschland jedoch aktuell zumindest regional die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verloren, leider kann längst nicht mehr jede Infektion gemeldet werden.
Was ist anders im Vergleich zur Lage vor einem Jahr?
Das Personal ist vollkommen überlastet, die Pflegenden und auch Ärzte brauchen dringend eine Pause, die sie nicht bekommen. In den ersten drei Wellen gab es noch keinen Impstoff, dadurch war das Problem auf die gesamte Republik verteilt. Jetzt haben wir sehr unterschiedliche Impfquoten in den Bundesländern – und die Lage unterscheidet sich innerhalb Deutschlands drastisch. Blickt man nur auf Köln, dann haben wir hier schon jetzt dank der relativ hohen Impfquote eine gute Chance, das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu halten. Vor allem, wenn es uns gelingt, mit weiteren Schutzmaßnahmen und etwas mehr Erstimpfungen jetzt noch eine kleine Schippe draufzulegen. In Bayern, Thüringen und Sachsen gibt es diese Chance eher nicht.
Deswegen werden Patienten im Kleeblatt-System jetzt quer durch das Land transportiert?
Ja, dies wird jetzt das erste Mal deutschlandweit umgesetzt. Die Kliniken in Sachsen, Thüringen und Bayern sind vollkommen überlastet. Die Situation dort hat eine völlig neue Dimension. Wir haben als Intensivmediziner lange auf die Aktivierung des Kleeblatt-Systems gedrängt, damit Patienten strategisch verlegt werden, um die Belastung zu verteilen. Diese Möglichkeit ist aber auch an den aufnehmenden Kliniken endlich: Aber – die Maßnahme verschafft uns Zeit.
Wie viele Patienten werden jetzt verlegt?
Von 80 Patienten aus Bayern, Sachsen und Thüringen wissen wir jetzt schon, dass wir sie verlegen müssen. Das sind beatmete Menschen, die Intensivstationen über längere Zeit belegen, von denen wir aber wissen, dass wir sie ohne großes Risiko verlegen können. Dabei wird jeder einzelne Patient individuell auf seine Transportfähigkeit geprüft.
Wie viele Patienten wird Köln aufnehmen?
Viel ist da nicht möglich. Köln wird vereinzelt helfen können und müssen, aber wir können leider nicht über Wochen täglich Patienten aus ganz Deutschland aufnehmen. Dafür ist die Kapazität zu eng, auch durch viele medizinische Notfälle wie Schlaganfall oder Herzinfarkt, die in einer Großstadt wie Köln täglich passieren. .
Muss Köln als Standort mit zwei Maximalversorger-Kliniken nicht bereit sein, alles zu tun, was irgendwie geht?
Selbstverständlich machen alle Kölner Kliniken alles möglich, doch wir müssen auch Vorhaltungen für weitere akute lebensbedrohlich erkrankte Patienten einplanen. In anderen Regionen in Nordrhein-Westfalen, wie zum Beispiel im Sauerland, sind auch mal mehr als 20 Prozent der Intensivbetten verfügbar. Wir sollten pragmatisch sein und schauen, dass wir vor allem nach Kapazitäten verlege, aber die beiden Maximalversorger werden sich natürlich beteiligen.
Gibt es für diesen Winter eine Maximalkapazität für Covid-Patienten in Köln? Im vergangenen April lagen 138 auf den Stationen.
Im Maximalfall können wir auch in diesem Winter eine dreistellige Zahl an Covid-Intensivpatienten in Köln versorgen. Dafür müssen die Krankenhäuser erheblich umplanen, was natürlich andere Probleme zur Folge hat. Grundsätzlich sind wir aber in Köln gut aufgestellt.
Wie weit ist Nordrhein-Westfalen insgesamt von einer Lage wie in Bayern entfernt?
Sehr weit. Ich denke nicht, dass wir Patienten in 2021 aus NRW hinaus verlagern werden. Wir liegen bei der Impfquote im Vergleich weit vorne – das macht sich in den Kliniken bemerkbar.
Die Verlegungen sollen eine Triage verhindern. Wird das klappen?
Triage im engeren Sinne bedeutet, dass Mediziner Patienten sterben lassen. Das darf in Deutschland nicht passieren. Es geht eher um die Frage, ob beispielsweise eine große Operation um einen Tag oder um mehrere Wochen verschoben werden muss. Letzteres ist ein großes Problem, das zu vermeiden ist. Die Versorgung ist aktuell nur regional gefährdet.
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Sind wir am Ende dieses Winters – wie von Jens Spahn angekündigt – alle geimpft, genesen oder gestorben?
Ich würde das so nicht formulieren. Denn das Virus wird bleiben, auch im kommenden Jahr müssen wir mit vielen Infektionen rechnen und uns darum deutlich besser in der Politik und Gesellschaft darauf vorbereiten.
Verschwindet das Virus nicht, wenn bald fast alle eine Immunität aufgebaut haben?
Dafür ist der Schutz für Genesene nicht gut genug, diese können sich ohne Impfung irgendwann wieder infizieren.
Hilft also nur eine Impfpflicht?
Ich war lange dagegen, inzwischen bin ich das nicht mehr. Wenn wir die Impfpflicht nicht einführen, dann zieht sich diese Pandemie noch über Jahre. Das will wirklich niemand. Bevor man so etwas in die Wege leitet, muss man es allerdings transparent kommunizieren und einen runden Tisch organisieren, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen zu Wort kommen, wirklich alle. Befürworter und Gegner. Zuallererst sollten die politisch Verantwortlichen aber jetzt den Ethikrat anrufen und um eine Stellungnahme bitten.
Könnte eine Impfpflicht im Gesundheitswesen auch schon helfen?
Eine berufsbezogene Impfpflicht halte ich nicht für sinnvoll. Wenn, dann muss die Pflicht einrichtungsbezogen gelten. Dafür würde ich mich aussprechen, denn wir haben die Verpflichtung, die Ungeschützten in den Kliniken zu schützen.
Ist ein Lockdown für Geimpfte auszuschließen?
Ein Lockdown in Köln oder Bremen ließe sich aktuell nicht rechtfertigen. Wir müssen weiter regional bewerten und entscheiden. Dass ein Lockdown in Bayern oder Sachsen notwendig werden könnte, das ist jedoch nachvollziehbar. Bundesweit wäre das nicht in Ordnung. Denn ein Lockdown löst das Problem ja nicht nachhaltig, er verschafft nur Zeit.