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Volker Weininger im Gespräch„Systemrelevant ist für mich das Unwort des Jahres“

Lesezeit 11 Minuten
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Kajuja-Präsident ist Volker Weininger privat und im Ehrenamt.

  1. Volker Weininger steht normalerweise als Kabarettist und Büttenredner auf der Bühne. Bespaßt sein Publikum. Doch aufgrund der Corona-Krise kann er seinen Beruf nicht mehr ausüben.
  2. In seiner Rolle als betrunkener Sitzungspräsident veröffentlicht er aktuell Videos auf Facebook. Doch Geld verdient er damit nicht.
  3. Mit uns hat er im Interview über Humor in Corona-Zeiten, seine Sorgen in der Zwangspause und sein persönliches Unwort des Jahres gesprochen.

Herr Weininger, wie ist die Laune gerade?

Wie sie halt so ist in diesen herausfordernden Zeiten – war schon mal besser. Corona ist ein Thema, das mich auch gedanklich fest im Griff hat. Ich spüre es dauernd, dass das gerade eine nicht normale Zeit ist. Es gelingt mir eher selten, dieses etwas diffuse Gefühl mal auszuschalten.

Man ist nicht infiziert, aber der Virus ist trotzdem in einem drin?

Sicher, es hat uns alle erwischt, und in eine Lage gebracht, die wir so nicht kennen. Es gibt auch im Bekanntenkreis so gut wie kein anderes Thema mehr. Mit einem Freund sind wir im Gespräch irgendwann bei der Frage gelandet, ob die USA überhaupt noch eine Demokratie haben, weil die Präsidentschaftskandidaten fast immer aus superreichen Oberklassen-Familien stammen, aber der Ausgangspunkt ist immer die aktuelle Lage. Mich beschäftigt das sehr.

Wie fließt das in den Alltag?

Mein Alltag hat sich ja ganz stark verändert. Ich hatte vor über zwei Monaten meinen letzten Auftritt. Am 4. März habe ich in Eschweiler im Talbahnhof gespielt. Da wurde zwar über Corona gesprochen, aber zu dem Zeitpunkt haben die Leute es noch nicht so richtig ernst genommen. Viele haben das eher belächelt. Inklusive mir. „Ich weiß gar nicht so genau, warum die Leute sich so aufregen, Grippe haben wir doch jedes Jahr, da wird auch nicht so ein Aufheben drum gemacht…“ – so haben viele gedacht. Dann ist das ganz schnell gekippt. Auf einmal hat man das sehr ernst genommen, alles wurde geschlossen, eine Woche später war die Schule zu. Dann wurden schrittweise alle Veranstaltungen abgesagt. Das ging so schnell. Die Maßnahmen habe ich von Anfang an für richtig gehalten und unterstützt, wenngleich man Details sicher diskutieren kann. Aber seitdem kann ich meinen Beruf nicht mehr ausüben. Auftritte sind nicht mehr möglich. Ich hätte eigentlich meine Frühjahrstour gespielt, die fast ausverkauft war. Da hatte ich mich natürlich drauf gefreut – und dann bricht das alles weg. Ich sitze zuhause, und da sitzen Leute, die da sonst tagsüber auch nicht gesessen haben (lacht). Meine Frau ist im Homeoffice, und mein Sohn muss beschult werden. Das ist ungewohnt.

Zur Person

Volker Weininger ist Kabarettist und als „Der Sitzungspräsident“ einer der erfolgreichsten Büttenredner im Karneval. Der 49-Jährige ist verheiratet und Vater eines Sohnes.

www.facebook.com/Sitzungspraesident/

Was heißt das für Ihre Arbeit?

Normalerweise würde man sagen, Auftreten kannste nicht, Geld verdienen kannste nicht, also nutz die Zeit vernünftig, schreib was. Aber ich habe festgestellt, dass ich da im Kopf zumindest momentan oft gar nicht zu bereit bin. In den ersten Wochen war das Schreiben fast unmöglich, weil ich mich erst an die Situation gewöhnen musste.

Liegt das an dem Lustigen?

Nein, eher generell. Also Buchhaltung geht, aber die ist nebenbei bemerkt gerade auch schnell abgearbeitet (lacht). Ich funktioniere auch sonst gut. Aber wenn ich kreativ sein muss, dann merke ich, dass mein Kopf da nicht so empfänglich für ist. Die zuständigen Synapsen sind offenbar auch in Kurzarbeit. Ich gehe sonst zum Schreiben gerne in Bibliotheken, aber die hatten ja auch alle zu. Mein Alltag ist weg, und das ist für mich nicht so einfach. Ich glaube, ich bin ein Gewohnheitstier und da muss ich jetzt lernen, mich umzustellen.

Was beschäftigt Sie?

Die Sorge, krank zu werden, spielt für mich persönlich eher eine untergeordnete Rolle, für viele ist das aber natürlich sehr wohl etwas, was ihnen große Sorgen bereitet. Als Selbstständiger denkt man naturgemäß viel über die Auswirkungen auf den Beruf nach. Aber auch über die gesellschaftliche Situation, die Isolation, die für viele Menschen ja ein schwer zu ertragender Zustand ist. Alte und Kranke, die ganz lange Zeit ohne Besuch auskommen mussten, Menschen, die in Krankenhäusern und Heimen alleine gestorben sind. Und auch, was diese Krise in den Köpfen der Leute anrichtet, was das alles mit unserer Gesellschaft macht, auch langfristig.

Ein Freund von mir, der Bücher schreibt, sagt auch, dass er im Moment nicht schreiben kann.

Ich glaube, das ist eine Mentalitätssache. Ein Freund sagte unlängst zu mir: „Es ist eine großartige Zeit für mich. Wir haben auf der Arbeit nicht so viel zu tun, haben aber auch keine Kurzarbeit. Ich treffe Freunde im Rahmen des Möglichen, habe ganz viel Zeit für mich.“ Ne schöne Einstellung, wenn man das so für sich hinkriegt. Ich finde so was wirklich gut. Ich bin eigentlich auch ein optimistischer, zuversichtlicher Mensch, aber ich grüble zur Zeit schon viel.

Also eher ausgebremst als entschleunigt?

Ich kann mich nicht fallenlassen in die Entschleunigung. Wenn ich wüsste, in drei Monaten ist alles vorbei, dann machen die Theater wieder auf, der Karneval findet statt, dann könnte ich diese verordnete Zwangspause annehmen. Ich denke, es geht gerade vielen Menschen so, dass sie eine konkrete Perspektive bräuchten.

Sie gehen also davon aus, in diesem Jahr nicht mehr arbeiten zu können?

Das bleibt abzuwarten. Die Theater in NRW dürfen ja ab 30. Mai wieder aufmachen. Unter strengen Auflagen. Eigentlich eine erfreuliche Nachricht, aber wenn man sich zum Beispiel kleine Häuser anschaut, auch eine unrealistische. Man stelle sich das Atelier-Theater mit seinen 99 Plätzen vor, und stelle gemäß den Auflagen nur jeden vierten oder fünften Stuhl auf – das ist ja wirtschaftlich überhaupt nicht machbar. Und das geht allen freien Häusern so, egal welcher Größenordnung. Viele stehen schon jetzt mit dem Rücken an der Wand. Die können nicht mehr lange. Strenge Hygiene, zusätzliches Personal, kein Umsatz mit der Gastro, eventuell Masken während der Vorstellung. Wer würde unter diesen Voraussetzungen überhaupt ins Theater gehen wollen? Von der Angst der Leute vor Ansteckung haben wir da noch gar nicht geredet. Ich denke, bevor es keinen Impfstoff gibt, ist ein Normalbetrieb bei Veranstaltungen, so wie wir ihn vor Corona kannten, nur schwer vorstellbar. Aber ich bin überzeugt: Irgendwann wird es das wieder geben!

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Als Alternative haben die Veranstalter in ihrer Not jetzt Autokinos entdeckt bzw. aufgemacht.

Ja, da mache ich am 29. Mai in Koblenz auch mit. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob das was für mich sein könnte, weil es ja so eine merkwürdige Situation ist. Jetzt ist das ein Abend, den ich nicht alleine bestreite. Die Kollegen Willi & Ernst und Roberto Capitoni sind auch mit dabei. Mein Anteil wären etwa 40 Minuten, und 40 Minuten mit Autos reden – das kann ich mir vorstellen. (lacht) Aber das ist schon ein skurriler Gedanke – Soundcheck beim Gebrauchtwagenhändler. Grundsätzlich natürlich eine kreative Idee, die viel Gutes hat. Sie gibt Künstlern die Möglichkeit aufzutreten. Eine ungewöhnliche Erfahrung zu machen. Aber es ist natürlich nicht etwas, das man sich grundsätzlich wünscht. Gerade als Komiker, der das Publikum mit einbezieht. Es gibt ja immer Interaktion. Das Timing stelle ich mir viel schwieriger vor. Lichthupe statt Lacher. Warte ich dann, bis es weniger blinkt? Man kann nur hoffen, dass nicht allzu viele aus Versehen das Fernlicht einschalten. Gutes Ding, aber keine Dauerlösung.

Eine Reaktion auf den Wunsch der Menschen, die eine Abwechslung brauchen.

Das wird ja offensichtlich gut angenommen. Die Leute wollen unterhalten werden. Eine neue Erfahrung auch fürs Publikum.

Es ist ja die Aufgabe des Clowns, des Komikers, die Menschen von ihren Sorgen abzulenken.

Klar, auch Kinofilme oder Bücher lenken ab vom Alltag, das Abtauchen in die Parallelwelt einer Geschichte, eines Schauspiels, eines Konzerts. Deswegen muss ich ganz klar sagen: Für mich ist „systemrelevant“ das Unwort des Jahres. Ein schlimmes, unglaublich wertendes Wort. Und wenn man in einem System lebt, das einzelne Mitglieder oder sogar große Gruppen als nicht relevant bezeichnet, dann muss man sich fragen, ob so ein System überhaupt relevant ist. Was ist das für ein Gesellschaftsbild, das wir haben, wenn Menschen dort nicht relevant sind.

Ein Beispiel?

Ich höre immer, Kultur ist verzichtbar. Ich möchte die Person, die sagt, Kultur ist nicht systemrelevant, mal im Lockdown sehen – ohne Buch, ohne Serie, ohne Musik, ohne Zeitung, ohne all das, was man als Kultur bezeichnet – und was uns Menschen ja so einzigartig macht – dann bleibt da nicht viel übrig, um so einen Tag rumzubringen. Diese Aussage wertet ganz viele Menschen ab.

Das verletzt Sie auch persönlich.

Ja! Absolut, natürlich. Theater, Kultur, all diese Veranstaltungen seien verzichtbar, wenn ich das höre! Die sind für Hunderttausende eben nicht verzichtbar, weil sie damit sich und ihre Familien ernähren. Mir persönlich geht's da noch ganz gut. Ich will mich nicht beklagen. Aber viele Leute wissen nicht mehr ein, noch aus. Da wünschte ich mir zum Teil mehr Solidarität, auch mehr Verständnis für die Situation anderer. Stattdessen hat man viel Egoismus gesehen. Das fängt bei diesen unseligen Hamsterkäufen an, wo die Leute sich wie die Geisteskranken Klopapier mit nach Hause nehmen, oder Mehl, oder Hefe. Und wie viel Hohn, Neid und mangelnde Empathie man in den sozialen Netzwerken lesen muss, das ist abstoßend und sehr bedenklich. Das macht mir keine große Hoffnung, dass sich daran nach der Krise in unserer Gesellschaft was grundlegend ändert. Gott, ist das pessimistisch, was ich da gerade erzähle (lacht).

Die Kultur ist nicht systemrelevant, aber dem Volk werden die Spiele in Form von Fußball wiedergegeben. Ist das die Dekadenz des 21. Jahrhunderts?

Soweit würde ich nicht gehen. Da gibt es natürlich handfeste wirtschaftliche Interessen. Aber es besteht sicher auch der Wunsch nach ein bisschen Normalität. Ich bin selbst großer Fußballfan, aber vielleicht ist am Ende des Tages einfach die Frage: Wer hat die größere Lobby? Dabei gehen übers Jahr gesehen, man soll es kaum glauben, mehr Menschen ins Theater als ins Stadion. Für die Leute bringt es etwas Beschwichtigung und Ablenkung, sich am Samstagnachmittag wieder Spiele angucken zu können, selbst wenn die ohne Publikum stattfinden. Für mich sind Geisterspiele eher nix.

Was vermissen Sie am meisten?

Ganz viel. Ehemals Selbstverständliches. Ich bin viel spazieren gegangen in der letzten Zeit und habe vermisst, mich zwischendurch mal in einen Biergarten setzen zu können, wenn ich Bock drauf habe. Ohne Masken ins Restaurant oder ein Geschäft zu gehen. Im Supermarkt nicht die Wege der anderen Kunden vorausahnen zu müssen, um sich ja nicht zu nahe zu kommen. Nach Herzenslust zu niesen, ohne dass deine Mitmenschen dich ansehen wie einen Amokläufer. Freunde zu sehen, so, wie man das will, mit Umarmen, ohne Sicherheitsabstand. Und ich will natürlich wieder arbeiten gehen können. Das fehlt mir schon sehr, und da geht’s mir nicht nur ums Geld. Ich will wieder das machen, was mein Beruf, meine Leidenschaft ist. In einem vollen Saal oder Theater spielen, wo die Menschen dicht nebeneinander sitzen und alle zusammen ein tolles Gemeinschaftserlebnis haben. Mal wieder das Gefühl haben: jetzt mache ich etwas Sinnvolles. Irgendwann ist das Unkraut gejätet, der Rasen gemäht, der Keller aufgeräumt. Ich wünsche mir Normalität zurück.

Sie haben gerade ein Video gemacht, in Ihrer Rolle als Sitzungspräsident.

Diese Reihe „Philosophie am Glas“ mache ich schon seit anderthalb Jahren. Kürzlich habe ich einen Spot gemacht über diese verrückten Hefe-Hamsterkäufe von Menschen, die wahrscheinlich noch nie ein Brot gebacken haben. Hefe, die dann am Ende den Brauereien fehlt – da hört bei mir der Spaß auf! Den haben mittlerweile bei Facebook über 140.000 Leute gesehen. Das ist 'ne schöne Abwechslung…

…bringt aber keinen Cent.

Nein, das ist aber auch nicht der Grund, warum ich diese Clips mache. Die waren von Anfang an kostenlos. Es ist eine Möglichkeit, mit den Leuten in Kontakt zu bleiben. Virtuelles Bespaßen. Mein Beruf ist ja zutiefst analog. Der lebt davon, Menschen vor sich zu haben. Der lebt von der Nähe, nicht davon, etwas über einen Bildschirm zu schicken, und als Reaktion maximal einen nach oben gerichteten Daumen oder ein Emoji zu erhalten. Das ist schön, ich freue mich drüber, dass so viele Leute das gucken, aber es ist kein Vergleich zu dem Auftritt vor Publikum – den liebe ich.

Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn hat gesagt, Karneval werde es nächste Session geben – aber anders.

Das ist natürlich grundsätzlich eine gute Aussage. Ich glaube, das hat er erstmal symbolisch gemeint: Karneval ist in den Herzen der Menschen nicht kaputt zu kriegen, das ist eine Lebenseinstellung. Was das „anders“ bedeutet, müssen wir abwarten. In irgendeiner Form werden die Menschen sicher Karneval feiern. Im Moment können sich wahrscheinlich nur die Wenigsten vorstellen, auf einer großen Sitzung dicht an dicht sitzend zu feiern. Aber das ist mein Beruf, die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich bereite mich vor, als ob es stattfände. Ich würde nicht mit alten Kamellen antreten wollen, sondern was Neues präsentieren. Die Rede zu schreiben wird eine Herausforderung der besonderen Art, denn man kann Corona nicht ignorieren, die Leute wollen aber auch etwas anders hören. Ich sammle Ideen und hoffe, dass mit den ersten Lockerungen auch die Gedanken wieder freier werden.

Ihr Traum zum Ende der Krise?

Freunde einladen, ein Fass anschlagen und richtig feiern. Die Fässer müssen ja weg jetzt, bevor sie schlecht werden. (grinst) Da muss man auch mal trinken, wenn man keinen Durst hat…