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Kölner Wähler befragt„Deswegen wählen wir zum ersten Mal die AfD“

Lesezeit 8 Minuten
Wahlberechtigte stehen in einem Wahllokal in einem Gewächshaus eines Gartenbaubetriebs in Köln-Hahnwald.

Die Wahlberechtigten zweier Stimmbezirke in Köln-Hahnwald geben ihre Stimmen am Sonntag in einem Gewächshaus des Gartencenters Pflanzen Mohr ab.

Wem haben Kölnerinnen und Kölner ihre Stimme gegeben – und warum? Wir haben vor den Wahllokalen nachgefragt. Eine Auswahl.

Warum wählen Kölnerinnen und Kölner wie sie wählen? Was treibt sie an? Was beschäftigt sie? Wir haben vor einigen Kölner Wahllokalen nachgefragt.

Ehrenfeld: Hans und Rosemarie Franzen und Birgit Krahforst sind Nachbarn in Ehrenfeld. Sie stehen vor dem Eingang der Rheinischen Stiftung für Bildung in der Vogelsanger Straße und sind sich einig: Zeit für einen Politikwechsel. Höchste. „Die Regierung hat viel versprochen in den vergangenen drei Jahren, aber wenig gemacht“, sagt Birgit Krahforst, die bei Wahlen „immer gern früh dran ist“.

Was vor allem nicht gemacht worden sei? „Zu wenig Wohnungsbau, kein Wirtschaftswachstum, auch das Thema Migration haben die nicht in den Griff gekriegt“, sagt Krahforst. „Die Reichen werden immer reicher, und die Armen ärmer“, sagt Rosemarie Franzen. Ein Mann mit leuchtend orangefarbener Winterjacke gesellt sich zu den Früh-Wählern. „Na, wisst ihr schon, wo ihr euer Kreuz macht, Birgit, Hans?“ – „Klar, und du?“

Die ersten Wähler am Wahlsonntag: Die Ehrenfelder Nachbarn Winfried Schmitt, Rosemarie Franzen, Birgit Krahforst und Hans Franzen gaben schon früh am Morgen ihre Stimmen ab.

Die ersten Wähler am Wahlsonntag: Die Ehrenfelder Nachbarn Winfried Schmitt, Rosemarie Franzen, Birgit Krahforst und Hans Franzen geben schon früh am Morgen ihre Stimmen ab.

Auch Winfried Schmitt hofft auf einen Wechsel. Er berichtet von Asylbewerbern, die bei der Wohnungssuche angeblich bevorzugt würden. „Ob aber die AfD ne Alternative ist? Eher nicht“, gibt er in die Runde. „Sicher nicht“, sagt Krahforst. „Wählen ist auf jeden Fall Bürgerpflicht. Genau wie der FC“, sagt sie und lacht. Später geht sie ins Stadion. „Derby. Auch wichtig!“

Andere Sorgen hat um 8 Uhr vor dem Wahllokal Michael. Er ist Arzt und muss gleich zum 24-Stunden-Dienst ins St. Elisabeth-Krankenhaus. Eines seiner Kinder hat seinen Briefwahlzettel eingerissen, eine Wahlhelferin bestätigt ihm, dass „der so nicht angenommen werden kann“. „Wir leben in einer Demokratie“, sagt Michael. „Es ist mir fast egal, ob meine Partei gewinnt oder nicht – Hauptsache, es gibt eine stabile demokratische Mehrheit, die die Dinge anpackt. Es gibt ja gerade viel zu tun!“ Sagt er, verschwindet ins Wahllokal und eilt fünf Minuten später Richtung Krankenhaus.

Ein zerrissener Wahlumschlag: Michael muss nun noch persönlich vor seiner Schicht im Krankenhaus seine Stimme abgeben.

Ein zerrissener Wahlumschlag: Michael muss nun noch persönlich vor seiner Schicht im Krankenhaus seine Stimme abgeben.


Lindweiler: Ungewöhnlich, dass Wahlleiterin Andrea Blome für ihren ersten offiziellen Termin des Tages Station am Unnauer Weg in Lindweiler macht. Hier, in einer Halle des Kinder- und Jugendzirkus Linoluckynelli, stehen die Wahlberechtigten vor einem quietschbunten Zelt Schlange. Wahlvorsteher Thomas Riedel lobt seinen kreisrunden Arbeitsplatz, biete er doch einen fast perfekten Sichtschutz für die Wahlkabinen.

Ein ganz besonderes Wahlgebäude: Die Wahlleiterin Andrea Blome besuchte das Zirkuszelt Linoclub in Lindweiler, in dem am Sonntag gewählt wurde.

Ein ganz besonderes Wahlgebäude: Selbst die Wahlleiterin Andrea Blome lässt sich einen Besuch beim Zirkuszelt Linoclub in Lindweiler nicht nehmen.


Bickendorf: Daniel Drechsler kommt im Ornat der Fidelen Kaufleute zum Wahllokal im Montessori-Gymnasium. Wenn er gewählt habe, werde er sich zu Hause den Plaggen (Fahne) seiner Karnevalsgesellschaft schnappen und Richtung Sartory-Saal aufbrechen. Dort beginnt um 15.30 Uhr die Kostümsitzung der Fidelen Kaufleute. Um kurz nach 18 Uhr, wenn die Prognose zur Wahl kommt, wird eine Tanzgruppe auf der Bühne stehen. „Zwischen den vielen Ohs und Ahs bei der tollen Show werden ein paar mehr Seufzer nicht auffallen, wenn die Leute auf ihr Smartphone spinksen und die Ergebnisse sehen.“

Wahlsonntag an der Montessori Grundschule in Bickendorf zur Bundestagswahl 2025: Daniel Drechsler von der KG Fidele Kaufleute geht im Ornat wählen.

Wahlsonntag an der Montessori Grundschule in Bickendorf zur Bundestagswahl 2025: Daniel Drechsler von der KG Fidele Kaufleute geht im Ornat wählen.

Als Vater von zwei Töchtern bereite ihm die Situation im Land und in der Welt Sorgen. „Ich möchte, dass Deutschland nach der Wahl ein liebens- und lebenswertes Land bleibt. Deswegen gehe ich wählen.“ Bei seiner KG, dessen Zweiter Vorsitzender Drechsler ist, schätze er, dass es „sehr familiär und eher unpolitisch zugeht. Natürlich aber dürfe und müsse der Karneval politisch sein: „Das wird sicher auch heute auf der Bühne nicht ausgeklammert.“

Als der 46-Jährige seine zwei Kreuze machen will, ist das erstmal nicht möglich – die Wählerin vor ihm hat den Kugelschreiber mitgenommen, Drechsler eilt ihr hinterher. Zwei Minuten später ist das staatsbürgerliche Pflichtprogramm erfüllt – das karnevalistische kann beginnen.


Stammheim: Stella Kerlin ist noch etwas verschlafen. Am Vortag hat sie ihren 18. Geburtstag nachgefeiert. Nun sitzt sie in der Aula der Grundschule Ricard-Huch-Straße und kümmert sich um die Bundestagswahl. Stella Kerlin ist die jüngste Wahlhelferin Kölns. „Ich interessiere mich für Politik“, sagt die Schülerin, die auch schon bei der vergangenen Europawahl geholfen hat. Um die Demokratie mache sie sich durchaus Sorgen.

Mit 18 Jahren ist Stella Kerlin Kölns jüngste Wahlhelferin bei der Bundestagswahl 2025.

Mit 18 Jahren ist Stella Kerlin Kölns jüngste Wahlhelferin bei der Bundestagswahl 2025.


Innenstadt: Am Busbahnhof Breslauer Platz sind vor allem die Menschen verkleidet, die Essen ausgeben: Die „Streetangels Cologne“ haben zu einem karnevalistischen Essen samt Auftritt der Band Fiasko eingeladen, und rund 200 sozial benachteiligte Menschen sind gekommen. Thorsten und Christine sind seit bald zehn Jahren verheiratet und auf Bürgergeld angewiesen. „Der Merz will das Bürgergeld abschaffen, das finde ich idiotisch“, sagt Thorsten. „Die Politiker reden alle immer nur“, sagt seine Frau. „Deswegen wählen wir dieses Mal zum ersten Mal die AfD.“

René, der am Stehtisch neben dem Ehepaar Würstchen, Nudelsalat und Mettbrötchen isst, sagt, dass die „Politik dringend mehr für den Sozialbereich tun muss. Es kann nicht sein, dass Menschen ihr Leben lang arbeiten und als Rentner Flaschen sammeln müssen“.

Der Verein Street Angels Cologne organisiert am Sonntag unter dem Motto„ Kölle Alaaf auch für die Schwächsten!“ eine Karnevalsverteilung für Obdachlose am Bushahnhof Breslauer Platz.

Der Verein Street Angels Cologne organisiert am Sonntag unter dem Motto„ Kölle Alaaf auch für die Schwächsten!“ eine Karnevalsverteilung für Obdachlose am Bushahnhof Breslauer Platz.

Inga Weber, Vorsitzende der Streetangels, befürchtet, dass benachteiligte Menschen für die Parteien einfach nicht relevant genug seien. „Hier am Platz“, sagt sie, „werden wir geduldet, bekommen aber keinen Strom und kein Wasser. Die Politiker kommen höchstens vor den Kommunalwahlen mal vorbei – dabei laden wir sie immer wieder ein. Aber nur mal vor Wahlen ein Foto machen und sagen, man setze sich ein für die Armen, das reicht eben nicht.“

Die Quittung, glauben hier nicht wenige, bekämen die etablierten Parteien an diesem Abend. „Ich habe auch die AfD gewählt“, sagt Chris, der viele Jahre obdachlos und drogensüchtig war. „Ich glaube, dass die anderen Parteien mal einen vor den Bug brauchen. Aber ich will keine Diktatur wie in Russland oder wie bei den Nazis früher.“


12.53 Uhr, Müngersdorf: Mit Kölsch in der Hand genießen an der Jahnwiese drei FC-Fans die Mittagssonne vor dem Rhein-Derby gegen Fortuna Düsseldorf. „Diesmal habe ich mich für die Briefwahl entschieden. Gestern Karnevalssitzung. Jetzt hier schon wieder ein Kölsch“, sagt Markus (36). „Ich kenne mich. Das war mir einfach zu riskant.“


Godorf: Lydia Mörs-Plattes bewacht gerade die Wahlurne, als Oberbürgermeisterin Henriette Reker den Raum betritt und ihr ein großes Kompliment macht: „Es ist sagenhaft, was Sie hier für eine Leistung bringen. Sie sind ein richtiges Vorbild“, sagt Reker. Aber Lydia Mörs-Plattes, mit 100 Jahren die älteste Wahlhelferin Kölns, gibt sich bescheiden: „Wir wollen nicht übertreiben. Ich mache das gerne.“ Die Rekord-Helferin bekommt von Reker den ersten Karnevalsorden der Oberbürgermeisterin in dieser Session umgehängt, etwas Süßes zum Naschen gibt's obendrein. Die so Geehrte wiederum überreicht Reker eine Tüte mit trinkbarem Inhalt: „Ich habe auch an Sie gedacht.“

Die Oberbürgermeisterin Henriette Reker besucht Kölns älteste Wahlhelferin Lydia Mörs-Plattes (100 Jahre alt) in ihrem Wahllokal.

Die Oberbürgermeisterin Henriette Reker besucht Kölns älteste Wahlhelferin Lydia Mörs-Plattes (100 Jahre alt) in ihrem Wahllokal.

Lydia Mörs-Plattes, Jahrgang 1924, ist um 7.30 Uhr mit dem Taxi zum Wahllokal in der Godorfer Johannes-Gutenberg-Realschule gefahren, um ihren Job anzutreten. Denn mit dem Laufen klappt es nicht mehr so gut. Ansonsten ist die gebürtige Kölnerin hellwach und ziemlich schlagfertig. Schon fünf Wahlen habe sie ehrenamtlich betreut. „Weil ich mich für Politik interessiere.“ Und sie treffe gern Leute. Sie hoffe, dass sich die Politik nach der Wahl für Frieden und Völkerverständigung einsetzt.


Innenstadt: Die Heimreise für die Fortuna-Fans, die mit der Bahn gekommen sind, steht unter keinem guten Stern. Der Hauptbahnhof wird wegen Signalarbeiten ab 16 Uhr bis Montagfrüh für den Zugverkehr gesperrt und jetzt noch das. Wer jetzt in Düsseldorf noch wählen will, könnte ein Problem kriegen.

Das Bild zeigt die Einkaufsstraße "Schildergasse" in der Kölner Innenstadt.

Die Einkaufsstrasse "Schildergasse" in der Kölner Innenstadt. Foto: Alexander Schwaiger


Deutz: Am Nachmittag geben OB Reker und Wahlleiterin Blome im Congress-Centrum Ost der Messe den Startschuss zum Öffnen der Wahlbriefe: Rund 280.000 Kölnerinnen und Kölner hatten sich bis Samstag per Briefwahl an der Bundestagswahl beteiligt. Das entspricht einer Quote von fast 40 Prozent. Nur bei der Wahl in Pandemiezeiten lag die Briefwahlquote höher. Das erfordert eine „Mammutorganisation“, sagt Blome.

Über 4200 Menschen sitzen in der riesigen Messehalle an Biertischen, um beim Auszählen zu helfen. Einige haben sich Kuchen mitgebracht, ein paar sind verkleidet, so wie Torsten Böhm. Das sei doch eine „jecke Wahl“, meint er. Man müsse auch als Karnevalist Farbe bekennen und in der Welt, die scheinbar durchdrehe, „für die Freiheit einstehen“. „Demokratie geht in jedem Aufzug“, lobt die Oberbürgermeisterin die Verkleideten. „Toll, dass Sie ihren freien Sonntag als Wahlhelfer hergeben.“

Das Briefwahlzentrum der Stadt Köln befindet sich erneut in der Kölnmesse. Hier werden ab 18 Uhr abertausende Stimmzettel aus der Briefwahl zur Bundestagswahl 2025 ausgezählt und sortiert.

Das Briefwahlzentrum der Stadt Köln befindet sich erneut in der Kölnmesse. Hier werden ab 18 Uhr abertausende Stimmzettel aus der Briefwahl zur Bundestagswahl 2025 ausgezählt und sortiert.

Daniela Hesse hat sich dafür entschieden, ihren Geburtstag im Briefwahlzentrum zu verbringen. Kann man sich da nichts Besseres vorstellen? „Das wird in jedem Fall ein Geburtstag, den ich nicht vergessen werde“, sagt die 63-Jährige. Außerdem sei sie ja nicht allein. Ihr Mann und ihre Tochter feiern und zählen mit.

Bei vergangenen Wahlen hat die Stadt nicht selten heftig dafür werben müssen, dass sich genügend Wahlhelferinnen und -helfer melden. Das ist diesmal anders: Rund 15.000 hätten sich gemeldet, so Reker. 6500 Menschen habe man absagen müssen. In Köln wird der Wahlkampf weiter gehen, denn im September wird die Oberbürgermeisterin ihre Amtskette an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin weitergeben. Einer der OB-Kandidaten zählt im Briefwahlzentrum mit: SPD-Mann Torsten Burmeister hat sich als ehrenamtlicher Wahlhelfer gemeldet, während seine Partei Karneval feiert.


Niehl: Cem erreicht das Wahlbüro auf der Flemingstraße kurz bevor es die Türen schließt. Eilig kommt er in seinem Auto angefahren, parkt ein paar Meter weiter und hastet die Straße entlang. „Ich war bis eben auf der Arbeit“, sagt der 29-jährige Kellner. „Von da aus bin ich hierher gerast. Es geht um viel für meine Familie und mich.“ Migrations- und Wirtschaftspolitik bewegten ihn besonders. Daher erhofft sich Cem, mit seiner Wahl etwas bewirken zu können. Umso bitterer ist es für ihn, als er einige Minuten später das Wahllokal verlässt, ohne gewählt zu haben. „Ich bin zum falschen Wahlbüro gefahren.“