Aktuelle Daten geben Aufschluss darüber, wie groß der Pflegebedarf in der Stadt in den nächsten 25 Jahren sein wird.
Kölner PflegeberichtIn diesen Veedeln leben 2050 die meisten und die wenigsten Pflegebedürftigen in Köln
2050 werden in Köln etwa 72.570 Menschen mit Pflegebedarf leben. Das geht aus einer Bevölkerungsprognose hervor, die dem dritten kommunalen Pflegebericht der Stadt zugrunde liegt. Wie das beauftragte Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) zeigt, steigt der Anteil an pflegebedürftigen Kölnerinnen und Kölnern in den nächsten 25 Jahren damit um ganze 19 Prozent. Bis zum Jahresende 2021 hatten in Köln noch rund 61.206 Pflegebedürftige gelebt, was rund 5,7 Prozent der Gesamtbevölkerung der Stadt entspricht.
„Die Daten weisen in die Zukunft und machen künftige Hilfe- und Pflegebedarfe unter Berücksichtigung des demografischen Wandels deutlich“, kommentiert Sozialdezernent Harald Rau im Vorwort den Bericht. Man wolle „mittel- bis langfristig Bedingungen schaffen, die die Anforderungen an altengerechte Quartiere in unserer Stadt für alle Menschen erfüllen“, so Rau.
Experte lehnt Bevölkerungsprognosen kategorisch ab
Dabei gibt es große Unterschiede in der Art der in Anspruch genommenen Pflegeleistung. Denn von den rund 55.000 Menschen, die in Köln 2021 Leistungen aus der Pflegeversicherung erhielten, nahmen 68,7 Prozent Pflegegeld in Anspruch, 13,5 Prozent stationäre Pflege und 17,8 Prozent ambulante Pflege. Michael Isfort, Professor für Pflegewissenschaft am Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung mit Sitz in Köln, sieht die Berechnungen der Bedarfe auf Grundlage von Bevölkerungsprognosen deshalb kritisch.
„Die Bedarfe und auch die Realisierung der Bedarfe orientieren sich aber nicht an der Bevölkerungsentwicklung, sondern an den sozialrechtlichen und finanzrechtlichen Strömungen, die es gibt. Es geht darum, welche Personen Zugang zum Leistungsrecht und damit Anspruch auf Pflegegeld und Betreuung haben“, sagt er.
So haben seit der neuen Pflegebegutachtung, die 2017 eingeführt wurde, viel mehr Menschen Anspruch auf Pflegegeld. Je nachdem, wie diese Regelungen angepasst werden, verändert sich auch die Zahl der auf dem Papier Pflegebedürftigen. „Insofern sind für 2050 bezifferte Bedarfe Zahlenspielerei, ich lehne solche Prognosen kategorisch ab“, so Isfort.
Die meisten Pflegebedürftigen in Lindenthal, die wenigsten in Chorweiler
Die Prognose des ISG trifft aber auch Aussagen über die Verteilung der Pflegebedürftigen in Köln nach Stadtteil. So wird es 2050 die meisten Pflegebedürftigen in Lindenthal geben, gefolgt von Mülheim und Porz. Chorweiler hingegen wird die niedrigste Anzahl an Pflegebedürftigen aufweisen. Sich die Situationen in den einzelnen Veedeln genauer anzusehen und die Netzwerke und Hilfsangebote für Senioren lokal auszubauen, hält Michael Isfort für eine sinnvolle Strategie der Stadt. „Wir können nicht nur in professioneller Pflege denken, denn die massiven Personalprobleme, die wir haben, werden sich in Zukunft nicht verbessern. Und das, obwohl Pflege ein gefragter Beruf ist“, sagt er. „Köln hat mit 700 Auszubildenden ein hohes Ausbildungsvolumen. Aber wir brauchen jenseits professioneller Pflege eine ergänzende Infrastruktur.“
Im Pflegebericht wird der Schlüssel für die Betreuungsarten ambulante Pflege, Tagespflege, Kurzzeitpflege und stationäre Pflege aufgeführt. Auffällig dabei: Köln liegt bei allen Betreuungsarten unter dem Landes- und Bundesschnitt. 164 ambulante Pflegedienste gibt es in Köln, statistisch kommen 6,4 Mitarbeitende auf 100 Kölner ab 80 Jahren. In NRW sind es 7,5 Mitarbeitende pro 100 Ältere. In den 24 Tagespflegeeinrichtungen in Köln gibt es 384 Plätze, was gerade einmal 0,6 Plätzen je 100 Menschen ab 80 Jahren entspricht. Das liegt nicht nur deutlich unter dem NRW-Wert (1,0 Plätze pro 100), sondern noch deutlicher unter dem Bundesschnitt von 1,6 Plätzen pro 100 Ältere.
Köln liegt bei Pflegeangeboten unter Landes- und Bundesschnitt
Besser sieht es bei der Kurzzeitpflege in Köln aus. Alle Angebote in der Stadt zusammengerechnet stehen hier 0,9 Plätze pro 100 Menschen ab 80 zur Verfügung, das liegt über dem Landes- und Bundesschnitt von 0,4 Plätzen. Unterdurchschnittlich steht Köln hingegen bei der vollstationären Pflege da. Hier stehen 11,4 Plätze pro 100 Ältere zur Verfügung, in NRW sind es 13,7 und im Bund 14,4, Plätze. Kölns Angebot ist hier in den letzten Jahren auch noch zurückgegangen – 2019 lag die Quote noch bei 12,3 Plätzen pro 100 Menschen ab 80 Jahren.
Laut Michael Isfort sollten sich die Bemühungen der Stadt um eine bessere pflegerische Situation aber nicht zu sehr an den Vergleichen mit Land und Bund orientieren. „Die Verweise zu den Landes- und Bundesdurchschnitten in der Versorgungsdichte halte ich für wenig aussagekräftig, weil diese Quoten nichts über die tatsächliche Qualität der Betreuung aussagen“, sagt der Pflegeexperte. „Man kann nicht sagen: Wir müssen nur diesen Wert erreichen, dann ist die Versorgung gesichert. Wir bauen jetzt einfach in Ehrenfeld oder Lindenthal noch einmal zwei Altenheime mit je 200 stationären Plätzen. Ein reines Ausbauen bringt nichts, weil der Schlüssel in der Personalsituation liegt. Neue Einrichtungen könnten gar nicht betrieben werden, weil es nicht genug Pflegekräfte gibt.“
Die wenigsten stationären Pflegeplätze gibt es in Mülheim
Dementsprechend kritisch sieht der Experte auch die einzeln berechneten Quoten der pflegerischen Angebote in den einzelnen Stadtteilen. Zum Beispiel bei der vollstationären Pflege: Hier weist die Innenstadt mit 15,2 Plätzen pro 100 Menschen ab 80 Jahren die höchste Versorgungsquote auf. Auch Nippes (14,9) und Ehrenfeld (14,0) stehen gut da. Leicht unterdurchschnittlich liegen Rodenkirchen, Chorweiler und Porz (je rund 10 Plätze pro 100), in Mülheim hingegen gibt es 759 Dauerpflegeplätze, mit 8,8 Plätzen pro 100 Ältere ist das die niedrigste Versorgungsquote im Kölner Stadtgebiet.
„Es stellt sich die Frage, welchen Mehrwert es bietet, die genaue Betreuungsrate für Nippes oder Mülheim aufzuschlüsseln. Denn am Ende kann niemand den Anspruch darauf haben, einen Platz in dem Stadtteil zu bekommen, in dem man gerade wohnt“, sagt Isfort. „Ich würde sogar davor warnen, diese Illusion aufzubauen, das immer alle Versorgungsformen wohnortnah angeboten werden können. Am Ende zählt die gesamtstädtische Versorgung.“
Köln soll bei Pflege auf Quartiersentwicklung setzen
Sinnvoller sei da eine umfassendere Quartiersentwicklung. Diese hat die Stadt sich laut dem kommunalen Pflegebericht auch selbst verordnet und orientiert sich dabei an den sechs Handlungsfeldern, die das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) definiert hat: Wohnumfeld, Pflege, Alltagshilfen, Soziales, Beratung und Wohnen. Michael Isfort sieht in Köln gute Voraussetzungen für die Quartiersentwicklung. „Niedrigschwellige Angebote wie eine Friedhofsbegleitung, Kulturbegleitung, Lebensmittellieferdienste, solche Strukturen gibt es in kleineren Ortschaften nicht.“
Zudem müsse das Thema Pflege „aus der Schmuddelecke“ geholt werden. „Schon mit Mitte 50 sollte ich mir überlegen, habe ich ein Netzwerk, das ich für Hilfe kontaktieren kann? Bin ich gut eingebunden?“, so der Experte. „Die große demografische Welle der Alterung erreicht uns ab 2035. Wir haben also noch einige Jahre Zeit, uns Strukturen zu überlegen, mit denen wir darauf reagieren.“