Wie die Schulpsychologen vom Kölner Zeugnistelefon bei schlechten Zensuren helfen können und welche Kinder immer noch mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen haben.
Interview Zeugnistelefon„Die Anforderung so anpassen, dass das Kind wieder erfolgreich sein kann“
Frau Schnell-Micka, Sie sind als Bereichsleiterin des Schulpsychologischen Dienstes auch für das Zeugnistelefon der Stadt Köln verantwortlich. Was sind die größten Sorgen, die Ihnen da dieser Tage begegnen?
Ute Schnell-Micka: Da gibt es natürlich diejenigen Kinder, die sich wegen ihres Zeugnisses nicht mehr nach Hause trauen, weil sie Angst haben, ihre Eltern könnten sehr wütend oder aggressiv reagieren. Manchmal melden sich auch die Lehrkräfte, die Sorgen haben, die Kinder könnten mit ihren schlechten Ergebnissen und den damit verbundenen Sorgen in den Ferien allein sein. Einfach, weil sie niemanden zum Reden haben. Wir haben aber auch viele Anrufe von Eltern, die sich Sorgen machen, weil eine Wiederholung droht, deren Kind sich verschließt, vielleicht gar nicht mehr zur Schule geht. Auch Grundschuleltern rufen vermehrt an.
Sind das Eltern, die Sorge haben, ihr Kind könnte es nicht aufs Gymnasium schaffen?
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Auch, aber Eltern melden sich heute wesentlich früher als noch vor 25 Jahren, als ich als Schulpsychologin in Köln angefangen habe. Oft schon in der ersten oder zweiten Klasse. Das ist eine positive Entwicklung. Je früher um Hilfe gebeten wird, umso besser. Je länger man wartet, umso eingeschränkter sind die Handlungsoptionen, da sich Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben, Rechnen und in der Konzentration bereits verfestigt haben können.
Wie können Sie einem Kind helfen, das Angst vor der Reaktion der Eltern hat?
Das ist natürlich sehr individuell. Wir stellen viele Fragen. Zum Beispiel, ob dem Kind ein Stützsystem einfällt, also eine Person, der es sich anvertrauen kann. Manchmal kann das die Mutter eines Freundes oder einer Freundin sein. Wir ermutigen in jedem Fall auch, mit der Lehrkraft zu sprechen, dieser seine Sorgen mitzuteilen. In manchen Fällen kommen wir zu solchen Gesprächen auch dazu.
Gibt es Kinder, die ernsthaft in Gefahr sind?
Ja, das kommt vor. Wenn wir den Verdacht haben, das Kindeswohl könnte gefährdet sein, dann müssen wir das Jugendamt einschalten. Das Kindeswohl steht immer an erster Stelle. Häufig gelingt es aber auch, mit den Eltern zu sprechen, sie einzuladen und mit ihnen gemeinsam ein Schutzkonzept zu erarbeiten. Schließlich ist Gewalt in der Familie meist für alle Beteiligten eine Belastung. Auch bei den Eltern herrscht da Leidensdruck und es geht um die Frage: Welche Unterstützung brauchen sie, um gut mit ihrem Kind umgehen zu können?
Wie beraten Sie, wenn alle einfach nur sauer und ratlos sind, weil die Zensuren so schlecht sind?
Dann laden wir Eltern und Kind ein und führen gegebenenfalls eine Diagnostik durch. Wir versuchen also herauszufinden, warum es Schwierigkeiten gibt. Sind die erforderlichen intellektuellen Fähigkeiten vorhanden? Ist das Kind auf der richtigen Schulform, wo es Erfolge erzielen kann? Liegt eine Lern- oder Leistungsschwäche vor, die man gezielt behandeln kann?
Häufig hat auch die Arbeitsgeschwindigkeit eines Kindes großen Einfluss auf den Schulerfolg. Manche Kinder sind einfach sehr langsam und kommen nicht mit. Manche schreiben beispielsweise auch sehr langsam, weil sie das feinmotorisch schlecht hinbekommen. Summieren sich schlechte Leistungen, dann fällt das Lernen zunehmend schwer. Es bildet sich eine Tendenz zum Misserfolg aus.
Und wenn der Schüler oder die Schülerin einfach nur faul ist?
Natürlich gibt es Entwicklungsphasen, da liegt der Fokus von Jugendlichen nicht auf dem Unterricht. Sondern zum Beispiel in erhöhtem Medienkonsum. Dann muss man da wieder die Waage finden. Aber in der Regel sind Kinder immer motiviert, wenn sie die Erfahrung machen, dass sie die an sie gestellten Anforderungen erfüllen können.
Zeugnistelefon Stadt Köln: Am Donnerstag und Freitag, 4. und 5. Juli, sind Mitarbeiter des Schulpsychologischen Dienstes von neun bis 17 Uhr unter der Nummer 0221/221-29001 oder 0221/22129002 zu erreichen. Das Angebot richtet sich an Schüler, Eltern und Lehrer. Erreichbar ist der Schulpsychologische Dienst grundsätzlich das ganze Jahr, auch während der Ferien und auch per E-Mail. Dann kann es aber sein, dass Ratsuchende einige Tage auf eine Antwort warten müssen.
Ist die Lösung bei Fünfen im Zeugnis dann oft ein Schulformwechsel?
Das kann man natürlich nicht pauschal sagen. Was aber richtig ist: Kinder sollten immer die Schulform besuchen, auf der sie zum jetzigen Zeitpunkt erfolgreich sein können. Manche können das auf dem Gymnasium im Moment eben nicht. Was nicht bedeutet, dass das Kind sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht in die Richtung entwickeln kann. Aber erstmal muss man die Anforderungen so anpassen, dass das Kind wieder erfolgreich sein kann. Dafür ist manchmal ein Schulformwechsel nötig.
Besser wäre natürlich das von Beginn an zu bedenken. Viele Eltern haben schon in der dritten Klasse das Abitur für ihr Kind vor Augen, das ist ja auch verständlich, schließlich wünschen sie sich für den Sohn oder die Tochter den bestmöglichen Bildungsabschluss. Sie sehen aber dadurch manchmal nicht, wo ihr Kind im Moment steht. Das führt in einigen Fällen dann zu einer Kette von Misserfolgen an einer überfordernden Schulform, irgendwann landet das Kind dann mit Fünfen beim Zeugnistelefon. Eine andere Schulform hätte das vielleicht verhindert. Und das Kind hätte sein Abi dann trotzdem machen können – zum Beispiel auf dem Berufskolleg.
Welche Veränderungen beobachten Sie?
Insgesamt jedenfalls eine Zunahme an Beratungsbedarf. 2023 hatten wir 13 Prozent mehr Anfragen als ein Jahr zuvor. Ein Grund ist sicher auch in der Corona-Pandemie zu suchen. Wir beobachten, dass die Kinder, die damals in der ersten Klasse waren und wenig Präsenzunterricht hatten, deutlich größere Schwierigkeiten im Unterricht haben. Auch Gewalt in der Schule hat seither zugenommen. Die Kinder hatten einfach weniger Möglichkeiten, Konfliktbewältigungsstrategien zu erproben.
Schreibt das Zeugnistelefon auch schöne Geschichten?
Die schönste Geschichte ist, dass wir immer wieder helfen können. Sei es, indem wir Veränderungen im Elternhaus oder in der Schule herbeiführen, oder eben auch beim Schüler oder der Schülerin selbst. Letzteres stärkt die Selbstwirksamkeit enorm. Viele wissen zum Beispiel gar nicht, wie man effizient lernt. Da können wir unterstützen. Ebenso wie bei Prüfungsangst oder Konzentrationsschwierigkeiten. Nichts ist hilfreicher, als wenn das Kind oder der Jugendliche merkt, dass er seine Situation selbst verbessern kann.