Herr Pagel, der Kölner Zoo hat dramatische Wochen hinter sich. Am 15. März ist im Regenwaldhaus ein Feuer ausgebrochen, mehr als 130 Tiere sind gestorben. Wie haben Sie den Abend erlebt?Pagel:Ich war auf der Autobahn unterwegs, als mich die Feuerwehr anrief. Wenige Minuten später war ich im Zoo. Ich war neben dem Nachtwächter und der Feuerwehr einer der Ersten vor Ort – und bin auch als Letzter geblieben.
Nein, es qualmte zu stark. Wir mussten zunächst abwarten, um keine Menschenleben zu gefährden. Über unsere Notfallapp sind in kürzester Zeit 30 Mitarbeiter des Zoos reingekommen. Ich habe das Regenwaldhaus mit gebaut, ich kenne es in- und auswendig. Darum konnte ich der Feuerwehr genaue Hinweise geben, als wir endlich rein durften.
Wie genau sind die Tiere gestorben?
Der Brand ist ja in der Mehrzweckhalle unterhalb der Tropenhalle entstanden. Als das Alarmsystem anging, haben sich die Fenster automatisch geöffnet. Dadurch ist der Rauch vermehrt von der Brandstelle zu den Tieren in die Tropenhalle gezogen. Die Tiere, die oben in den Bäumen geschlafen haben, haben so die meiste Rauchlast abbekommen und waren nicht mehr zu retten.
Wie fängt man Flughunde oder Vögel in so einer Notsituation?
Ich habe diese zum Teil mit der Hand gefangen. Ich bin ja schon lange Tiergärtner und ich weiß, wie das geht. Die meisten anderen Tiere haben wir mit Netzen oder Keschern gefangen und in speziellen Transportkisten verbracht. Das war eine großartige Teamleistung. Ich bin stolz auf mein Team und was es dort geleistet hat. Es war sogar eine Tierärztin aus dem Zoo Krefeld dabei, um zu helfen. Sie hatte auch schon beim Brand im Krefelder Zoo in der Silvesternacht 2019/2020 geholfen.
Wie lange wird der Zoo beeinträchtigt sein?
Das Tropenhaus wird lange geschlossen bleiben müssen. Die Mehrzweckhalle ist schon bis fast auf den Rohbau entkernt. Da muss alles raus. Die Tropenhalle wird derzeit gesäubert. Auch da muss alles, was Geruch aufgenommen hat, ausgewechselt werden. Wir gehen mittlerweile nicht mehr von Wochen, sondern von Monaten aus, bis die Halle wieder zugänglich ist für Besucher. Zumal wir jetzt prüfen, was wir im Zuge der Arbeiten für unsere Tiere und Gäste noch verbessern können. Es steht noch nicht ganz fest, wie weit wir mit dem Rückbau in der Halle gehen müssen. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass die großen Bäume und die großen Pflanzen bleiben können. Aber wir werden ein Stück von der oberen Erdschicht entfernen müssen. Das wird eine sehr umfängliche Sanierung.
Welche Tiere mussten Sie für die Arbeiten evakuieren?
Die Tiere, die frei in der Halle herumgeflogen sind oder in den abgesperrten Bereichen hinter Netzen gelebt haben. Die Krallenotter, die Gibbons oder die Hornvögel etwa, die sind alle raus. In den Bereichen sind nur noch Pflanzen, und auch die müssen alle gereinigt werden. Auch das Wasser aus dem Teich muss komplett ausgewechselt werden.
Wo sind die Tiere untergekommen?
Die Amphibien und Reptilien haben wir im Quarantäne-Bereich im Aquarium untergebracht. Die Vögel sind umgezogen in die Fasanerie und auch in Quarantänestationen. Die Gibbons leben jetzt im alten Elefantenhaus.
Mehr als 130 Tiere sind umgekommen. Um welche tut es Ihnen besonders leid?
Um alle. Aber es gibt höchst bedrohte Tierarten, von denen es in der Wildnis und in Zoos nur noch wenige gibt. Wir züchten etwa den Balistar. Solche Tiere zu verlieren, das tut sehr weh. Tatsächlich konnten von den Arten, die unwiderbringlich verloren gewesen wären, alle gerettet werden. Einige Paradiesvögel etwa hätten wir nicht wieder ersetzen können, weil es einfach zu wenige weltweit gibt. Das gleiche gilt für das Matschie-Baumkänguru, wir haben das einzige in Europa in Köln. Wir sind wirklich mit einem blauen Auge davongekommen, 80 Prozent der Tiere konnten wir retten.
Nur zwei Tage nach dem Feuer kam es dann zu einem schweren Kampf im Elefantengehege. Der Elefantenbulle Bindu verletzte die Elefantenkuh Maejaruad so schwer, dass sie am Morgen danach eingeschläfert werden musste. Wie haben Sie dieses Drama erlebt?
Ich bin am späten Nachmittag angerufen worden, dass einer der Elefanten blutet. Die Mitarbeiter des Elefantenparks haben mir dann bestätigt, dass es eine Auseinandersetzung gegeben hat. Man hatte noch vergeblich versucht, die Elefanten zu trennen. Wir haben die Tiere dann ins Haus gerufen, nur Maejaruad blieb draußen stehen. Es war offensichtlich, dass sie am hinteren rechten Bein verletzt war, wir wussten aber nichts über die Schwere der Verletzung. Sie hat dann zunächst viel Schmerzmittel bekommen. Zwei von uns sind über Nacht geblieben, um sie zu beobachten. Ich war am nächsten Morgen zurück mit einem ausgewiesenen Elefantenspezialisten aus Wuppertal und unserer Tierärztin. Das Röntgenbild war leider, aber auch Gott sei Dank sehr eindeutig. Mae hatte das Schienen- und Wadenbein gebrochen und verschoben. Da war klar: Da kann man bei einem 3,8 Tonnen schweren Elefanten nichts machen. Das ist das Todesurteil.
Treffen Sie als Direktor die letzte Entscheidung?
Nein, eine solche treffen wir immer im Team, aber am Ende entscheidet letztlich die Tierärztin unseres Zoos über Leben oder Tod.
Was haben Sie mit dem eingeschläferten Tier gemacht?
Ich habe kein Gerät im Zoo, mit dem ich 3,8 Tonnen bewegen kann. Wir haben umgehend eine Spezialfirma angerufen, mit der wir normalerweise lebende Elefanten transportieren und haben gefragt, ob sie morgens früh einen Kran stellen können. Damit wurde die Kuh dann in einen Container verladen und in die Pathologie gebracht. Die Pathologie hat dann bestätigt, was wir schon durch einen Ultraschall wussten, nämlich, dass Mae unfruchtbar war. Danach ging es dann in die Tierkörperbeseitigungsanstalt, wo der Körper verbrannt wurde.
Wie hat die Herde auf den Tod der Kuh reagiert?
Das war für auch uns die spannende Frage. Aber tatsächlich hat nur einer der Jungbullen, um den sich Mae als Tante gekümmert hat, sich morgens auffällig oft umgeschaut. Der Rest der Herde hat gar nicht reagiert, was für uns gut war. Denn das hat gezeigt, dass Mae als Kuh keinen solchen Rang in der Herde hatte, dass es durch ihren Verlust zu weiteren Rangauseinandersetzungen gekommen wäre. Wenn sie die Leitkuh gewesen wäre, hätte man damit rechnen müssen, dass es weitere Rangkämpfe in der Herde gibt.
Tierschutzorganisationen kritisieren, die beengten Bedingungen und das unnatürliche Zusammenleben auch mit nicht verwandten Artgenossen führt zu Aggression unter den Elefanten. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?
Das ist falsch. Wenn berechtigte Kritik kommt, nehmen wir die gerne an, aber nicht von Organisationen, die allein das Ziel haben, Zoos abzuschaffen. Bei Elefanten kommt es immer wieder zu Rangeleien, auch die Erziehung bei Elefanten ist alles andere als antiautoritär. Bindu hat über 16 Jahre friedlich mit der Herde zusammengelebt, bevor er mit Mae so aneinandergeraten ist. Normalerweise gehen Kühe weg, wenn ein Bulle an sie herantritt. Aber Mae ist in diesem Fall nicht weggegangen. Dann hat er sie bei der Auseinandersetzung von hinten in die rechte Wade getreten. Und Bindu wiegt nun mal fünfeinhalb Tonnen. Er ist einer der größten und ältesten Elefantenbullen Europas.
Wie funktioniert das Gefüge innerhalb einer Elefantenherde?
Es gibt eine Leitkuh, die mit ihren Freundinnen und verwandten Kühen und deren Jungtieren umherzieht. Und es gibt die Bullen, die in der Wildnis dann gelegentlich auf Kühe treffen. Und genau das können wir in Köln nachbauen mit unseren drei Außenanlagen. Wir haben zwei Zuchtbullen, die wir abwechselnd zur Herde lassen. Wir versuchen, möglichst viele Interaktionen zu ermöglichen, um die Tiere auch sozial zu fordern. Wir lassen die Bullen also nicht nur dann zur Herde, wenn sie Nachwuchs zeugen sollen.
2012 gab es schon mal einen Kampf zwischen Elefanten im Kölner Zoo, der tödlich endete. Damals kämpften zwei Kühe untereinander. Kommen Kämpfe unter Kühen häufiger vor?
Ja, weil die Kühe die Kerngruppe bilden und sich häufiger mit der sozialen Rangfolge auseinandersetzen müssen. In der Vergangenheit haben wir, wenn es in der Kuhherde Ärger gab, einen von den Bullen zur Herde gelassen. Dann war da Ruhe, weil das Ranking höher ist und die Bullen den Kühen körperlich deutlich überlegen sind.
Der 53-jährige Bindu ist nach der Auseinandersetzung von der Herde getrennt worden. Wie geht es mit ihm weiter?
Bindu hat sich jetzt genügend fortgepflanzt und ist im Rentenalter. Er wird seine Rente bei uns verbringen dürfen, wir wollen aber kein Risiko eingehen. Darum wird er seinen Lebensabend getrennt von den anderen verbringen, damit sich so etwas nicht wiederholen kann.
Ist das für Bindu ein Problem? Elefanten sind doch gesellige Tiere.
Die meisten Bullen werden im zunehmenden Alter ohnehin zu Einzelgängern, auch in der Wildnis. Und wir packen Bindu ja nicht in eine „Einzelzelle“, weit weg von allen anderen Elefanten. Er wird weiter in Kontakt mit der Herde bleiben können. Die Tiere können ja durch die Absperrungen hinweg rüsseln und miteinander interagieren.
1984 hat Bindu in seinem Zoo in England einen Tierpfleger erdrückt, der in sein Gehege kam. War das ein Fehler des Tierpflegers oder ein Hinweis auf ein mögliches Aggressionspotential von Bindu?
Auch Hunde beißen ihre Herrchen manchmal. Trotzdem haben sie nicht unbedingt einen bösen oder schlechten Charakter. Bei Elefanten ist das genauso, nur sind die Konsequenzen beim größten Landsäugetier der Welt potentiell gefährlicher. Dass Bindu damals seinen Pfleger dort getötet hat, war damals im Kölner Zoo für uns der Auslöser dafür, nur noch in den geschützten Kontakt mit unseren Elefanten zu gehen. Mittlerweile gilt das in Zoos in ganz Europa. Trotzdem möchte ich betonen, dass die meisten Unfälle im Kontakt mit Tieren im Reitsport passieren oder in der Landwirtschaft. Der Vorfall mit Bindu ist ein ganz seltener Fall.
Können Sie den Unterschied beschreiben zwischen dem Umgang mit Elefanten früher und einem geschützten Kontakt?
Vollkontakt ist das, was Sie aus dem Zirkus kennen oder aus dem Thailand-Urlaub, wo man auf dem Elefanten reitet. Im geschützten Kontakt ist es so, dass wir mit den Tieren zwar arbeiten und sie auch weiterhin Kommandos lernen, die uns in die Lage versetzen, von ihnen Urinproben zu bekommen oder die Füße zu kontrollieren. Aber man steht immer auf der anderen Seite einer Barriere, nicht mehr direkt am Tier. Wir haben in vielen Bereichen die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Und auch die Vorschriften sind strenger geworden. Früher hat man Gorillas auf den Arm genommen, um sie aus dem Gehege zu bringen. Heute wäre ich als Direktor quasi „mit einem Fuß im Gefängnis“, wenn ich das von einem Pfleger verlangen würde.
Die Sicherheitsstandards im Zoo sind auch nach dem tragischen Vorfall 2012 erhöht worden. Sie mussten einen Tiger erschießen, der eine Ihrer Tierpflegerin angefallen hatte. Leider konnten Sie Ihre Kollegin nicht retten. Wie ging es Ihnen in der Zeit danach?
Das war sicherlich die schwerste Zeit meiner Karriere. Ich habe meinen Beruf gewählt, um Tiere zu retten und nicht, um sie zu erlegen. Aber es war klar: Wenn wir eine Chance haben, einen Menschen zu retten, ist immer das Menschenleben wichtiger. Los werde ich das nie, aber ich muss damit leben. Zum Glück hat das Team danach unglaublich zusammengestanden. Die Zoo-Familie hat sich gegenseitig in den Arm genommen. Und tatsächlich haben wir mittlerweile weitere Sicherheitssysteme eingebaut, die damals noch gar nicht verfügbar waren. Was aber nicht heißt, dass man den Menschen, die im Zoo arbeiten, die Selbstverantwortung abnimmt. Das geht gar nicht.
Sie haben damals sehr unterschiedliche Reaktionen erhalten, von Empathie bis Hass. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe in einem Fall Anzeige erstattet, dem die Polizei auch nachgegangen ist, weil da eine Grenze überschritten wurde.
Sie sind jetzt 61 Jahre alt, seit 1991 beim Kölner Zoo angestellt, seit 2007 sind Sie Direktor. Gibt es Dinge, die Sie im Zoo nicht mehr machen, weil es rein körperlich nicht mehr geht?
Nein. Höchstens von oben irgendwo runterspringen, das würde ich nicht mehr machen. Das macht mein Rücken nicht mit.
Als Sie im Zoo angefangen haben: An welchen Geruch mussten Sie sich am meisten gewöhnen?
Es gibt zwei Gerüche, die man nicht vergisst: Das eine sind die Gorillas, den man am ehesten mit Zwiebeln vergleichen kann. Der andere sind Elefanten, die einen sehr starken Eigengeruch haben. Wir sagen scherzhaft immer, dass Elefantenpfleger die treuesten Partner sind. Die können gar nicht fremdgehen, weil das geruchlich nicht verborgen bleiben würde. Trotz gründlicher Dusche.
Welches Tier ist eigentlich das glücklichste im Kölner Zoo?